Verräter

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Mein Blick hing an dem Fernseher.
Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Plötzlich nichts zu fühlen. Meine Trauer, mein kaputtes Dasein, das alles wollte ich nicht und dennoch erinnerte es mich daran, dass ich eine unfassbare Zeit mit einem besonderen Menschen hatte.
Ich fühlte mich als hätte mich mein Körper betrogen, indem er mir meine Gefühle nahm und somit auch meine wertvollen Erinnerungen.
Ich wollte wieder normal funktionieren, normal weiterleben, aber um nichts in der Welt hätte ich gewollt, dass meine Gefühle für Sebastian in Vergessenheit geraten.
Jede Bewegung die Sebastian machte folgten meine Augen instinktiv, bei jedem Wort das er sprach hing ich an seinen Lippen, doch so sehr ich mich auch bemühte, ich fühlte nichts...

Mittlerweile war es später Nachmittag geworden, doch es wirkte nicht so als würde diese Talkshow ein Ende nehmen.
Obwohl es mein letzter Tag hier in New York war, würde ich heute definitiv nichts anderes machen als in diesen Fernseher zu starren.
Für mich war es der letzte Tag den ich gemeinsam mit Sebastian verbringen konnte, wenn auch nicht persönlich.
Immer wieder verlor ich mich in einer Art Trance. Die Stimme die aus dem Fernseher kam, drang in meinen Kopf und meine Augen sahen auch den Fernseher, in dessen Mitte Sebastian sich befand, doch mein Kopf, mein Geist, hing in der Vergangenheit. Beinahe in Dauerschleife wiederholte sich unsere gemeinsame Zeit immer wieder und umso öfter es sich wiederholte, umso absurder wurde es. Ich glaube nicht an Bestimmung oder ähnlichen Quatsch und dennoch glaubte ich an uns, an das was wir erlebt haben. So etwas findet man normalerweise nicht im echten Leben.
Ich hatte nie ein Problem damit alleine zu sein. Ich hatte auch keine Angst, nie eine Familie gründen zu können, oder Angst davor mich nie zu verlieben.
Liebe war für mich nicht essentiell und in der heutigen Zeit ohnehin etwas, dass viel zu schnell weggeworfen wird.

Eine Werbepause unterbrach die Talkshow, nicht jedoch meine Gedanken.
Mein Geist hing noch eine Zeit lang fest, ehe etwas mich aus diesem Sumpf zog.
Der Wetterbericht wurde eingespielt, genauer gesagt eine Unwetterwarnung.
Es folgten Bilder von peitschendem Regen der bereits erste Überschwemmungen verursachte, von orkanartigen Windböen und Hagelkörner so groß wie Tennisbälle.
Mir stockte der Atem als ich sah, dass unser Flughafen mitten in der Unwetterzone lag.
Hätte Thomas und mein Bruder recht behalten und wir wären tatsächlich heute nach Hause geflogen,...wir würden zu diesem Zeitpunkt im Flieger sitzen.
Dem Wetterbericht zufolge wurde die Gefahr des Unwetters unterschätzt und aus diesem Grund der Flugverkehr viel zu spät gestoppt.
Ich sah aus dem Hotelfenster hinaus in den verdunkelten Himmel. Wir waren einige Kilometer von der Unwetterzone entfernt und ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht dankbarer sein. Hier regnete es nach wie vor etwas und der Wind trug den Nebel langsam schleichend durch die Straßen. Aber es war nicht zu vergleichen mit den Bildern, die ich gerade eben zu sehen bekommen habe.

In dem einen Moment waren noch, vor dem Unwetter, panisch flüchtende Menschen zu sehen und im nächsten Moment war die Werbepause vorbei und die Kamera schwenkte langsam durch das Talkshow-Studio. Es herrschte noch wildes herumgewusel und es saßen noch nicht alle auf ihren Plätzen. Scheinbar ist das offizielle Go, zum fortführen der Sendung noch nicht ganz durchgedrungen. Als Sebastian sein Handy mitten auf der Couch zückte, bestätigte mich das nur in meiner Annahme. Sie alle dachten, sie wären noch in der Werbepause, unwissend, dass bereits wieder tausende von Zusehern alles hören und sehen konnten was in dem Studio vor sich ging.
Sebastian saß mittlerweile mit dem Rücken zu der bereits aktiven Kamera, die sich langsam schleichend an ihn heranbahnte. Würde es der Kameramann wagen einen Blick auf Sebastians Display zu werfen?
Ich war mir sicher, er würde damit irgendeine Regel, in irgendeinem Vertrag brechen. Eine der tausend Regeln, in einem der hundert Verträge, die all diese Stars und Sternchen mit sich herumschleppten - natürlich nur im übertragenen Sinn.
Die Kamera rollte immer näher und Sebastian dürfte sie bis jetzt noch nicht bemerkt haben. Er tippte zügig auf seinem Smartphone herum.
Man konnte erkennen, dass er eine Nachricht schrieb.... und auch an wen die Nachricht adressiert war.
Ich konnte nicht glauben an wen er diese Nachricht schicken würde.
Plötzlich drang ein einziges Gefühl vehement an die Oberfläche. Von einer Sekunde zur anderen nahm es meinen kompletten Körper in seinen Besitz.
Wut.
Unfassbare Wut.
Ich war in Rage.
Meine Hände krallten sich unwillkürlich in die Bettdecke, so fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten.
Ich biss die Zähne zusammen und meine Kiefermuskeln spannten sich an.
Ja, ich wollte wieder etwas fühlen - aber nicht so, nicht etwas so negatives, so intensiv.
Der Kontakt an den diese Nachricht adressiert war, hatte Sebastian nur mit einem allzu bekannten Kosenamen eingespeichert.
Prinzessin.

Ich hatte so recht mit allem.
Ich war nie von Bedeutung für Sebastian.
In dieser kurzen Zeit hatte er bereits eine Andere gefunden. Eine Andere der er diesen Kosenamen geben konnte. Eine Andere die jetzt für ihn wichtig ist, so wichtig, um in einer Livesendung eine Nachricht an sie zu schreiben.
Erneut fühlte ich mich von Sebastian hintergangen und verraten. Ich dachte, zumindest der Kosename würde mir bleiben und mich in gewisser Weise mit ihm verbinden.
Die Kamera schwenkte leider nicht weit genug nach unten, um die restliche Nachricht sehen zu können.
Doch ich sah, was ich verdient hatte zu sehen, verdient um endlich vernünftig abschließen zu können.
Ohne ein weiteres Mal zu zögern, betätigte ich den roten Knopf auf der Fernbedienung und sah zu wie Sebastian in einem Hauch von nichts verschwand.
Der Gedanke, dass er bereits eine Neue hatte, war nicht annähernd so verletzend wie das Wissen, dass wir uns bereits jetzt den Kosenamen teilten.
Es sollte mich nicht berühren und schon gar nicht wütend machen, doch ich konnte nicht anders.
Wenn ich nichts kaputt machen wollte, müsste ich jetzt schleunigst eine Runde joggen gehen, dessen war ich mir bewusst.
Ich band mir die Laufschuhe fertig und war gerade dabei das Zimmer zu verlassen, als sich mein Handy auf dem Nachttisch mit einem Piepsen zu Wort meldete.
Die Tür halb offen, mit einem Bein auf dem Flur hielt ich inne.
Ich blickte auf den Nachttisch, minutenlang.
Sollte ich nachschauen?
Nein, ich würde mich nur lächerlich machen...
Aber was wäre wenn er doch... nein, das kann nicht sein.

(Anmerkung: ich möchte mich ausdrücklich entschuldigen, trotz der vielen netten Nachrichten habe ich euch bis jetzt warten lassen. Ich hoffe, ihr seid alle gesund und habt weiterhin Freude an der Geschichte.)

I'm Sebastian StanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt