Familie...

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Ich betrat das Hotel und schlenderte zum Aufzug. Ich war zu müde und zu kaputt um jetzt die Stufen zu nehmen.
Verdammt es ist schon kurz vor Mitternacht! Bitte, lass meinen Bruder nicht schon da sein!
Nervös legte ich mir mögliche Ausreden zurecht. Ich wusste, ich könnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Er würde sofort unsere Mutter anrufen, die würde total hysterisch werden und mich sofort heimholen.
Ein fremder Mann.. in einem fremden Land.. ohne ihrer Aufsicht.. ohne ihrer Kontrolle.. das würde sie nicht verkraften, ungeachtet meines Alters und dem Erwachsenen-Status den ich in der Welt bereits hatte. Für sie war ich nach wie vor ein Kind.
Ich sah sie bildlich vor mir, wie sie mir Vortrag, für Vortrag, für Vortrag hielt und ich keine Chance bekommen würde es zu erklären.
Wie naiv ich doch sei.. und wie gefährlich alles ist.. und wenn dies ist und jenes ist...
Ich schauderte, darauf konnte ich getrost verzichten.
'Ping!'
Die Aufzugtüren öffneten sich und ich machte mich vorsichtig und hoffend in richtung Zimmer auf.
Ich lauschte an der Zimmertür meines Bruders, doch konnte nichts auffälliges hören.
Erleichterung machte sich in mir breit.
Behutsam rettete ich mich in mein Zimmer, duschte mich und kuschelte mich in mein Bett.

Es war bereits kurz vor 2 Uhr nachts und ich vernahm Schritte und Geflüster am Gang.
Ich wusste, dass gleich die Zimmertür aufgehen würde.
"Wir sind wieder da", flüsterte mein Bruder.
"Schön für euch! Interessiert mich leider nicht!", zischte ich zurück.
Beschwichtigend hob er die Hände und zog sich aus meinem Zimmer zurück.
Er muss bei mir genauso wenig Rechenschaft ablegen wie ich bei ihm. Was sollte das? Hat er mir Bescheid gesagt das ich keine Angst bekomme? Lächerlich! Oder nur um mich zu informieren, dass ich ab jetzt nicht mehr tun und lassen kann was ich will? Dass ich mich wieder an- und abmelden müsse?
Ich unterdrückte meine Wut und versuchte den Kopf frei zu bekommen.
Ich dachte an Sebastian, seinen besorgten Blick, seine ruhige Stimme, seine zuvorkommende Art und glitt dabei ins Land der Träume..

Die Sonne kitzelte mich. Ich öffnete langsam die Augen und streckte mich soweit ich nur konnte. Mit einem tiefen Seufzer richtete ich mich auf und ließ die Beine aus dem Bett baumeln. Immer das selbe Ritual, jeden Morgen. Mit dem Unterschied, dass ich heute ungewöhnlich motiviert war.
Ich schlürfte ins Badezimmer und schmiss mich in frische Anziehsachen, danach machte ich mich auf den Weg zum Frühstück.
Mein Bruder und sein Freund waren bereits dort und für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich warten sollte bis sie fertig sind. Doch dann überkam mich der Hunger und ich nahm ihre Anwesenheit in Kauf.
"Guten Morgen", begrüßte ich sie mit falscher Freundlichkeit.
"Morgen"
Ich setzte mich an den Tisch und schmierte mir, wie jeden Tag, meine Marmeladensemmel.
"Du könntest hier ruhig auch mal was anderes essen", informierte mich mein Bruder mit fahlem Unterton.
Und du könntest deine Gene ändern und bei einer anderen Familie unterkommen! Doch ich schluckte diesen Gedanken hinunter und murrte ihm ein einfaches "Mhm" zurück.
Es war für einige Minuten still am Tisch und ich genoss die Ruhe.
"Wo warst du gestern am Abend eigentlich?", versuchte mein Bruder mich beiläufig auszuquetschen.
Und vorüber war meine Motivation.. und meine Freude.. und mein Hunger. Was blieb war die Wut.
"Wann? Du warst doch gar nicht hier"
"Thomas hat seine Geldbörse vergessen, die sind wir so um 20 Uhr holen gekommen. Und du warst nicht da. Also, wo warst du?"
"Verdammt ich hab dir schon mal gesagt, dass dich das nicht zu interessieren hat!"
Sein Blick verriet mir, dass er sobald ich außer Sichtweite bin, unsere Mutter anrufen würde.
"Ich war spazieren ok? Bist du jetzt zufrieden?!"
"Du bist oft 'spazieren'. Noch dazu am Abend? Allein?"
"Ich war nicht weit weg! Nur eine Runde um den Block"
"Genau zu dem Zeitpunkt als wir das Geld holen waren?" Er glaubte mir kein Wort, dass wusste ich.
"Du. Bist. Echt. Anstrengend" sagte ich in so ruhigem Ton als würde ich mit einem Kind sprechen und betonte jedes einzelne Wort.
Die Wut kochte in mir und ich konnte sie nicht mehr lange halten.
Ein bisschen zu energisch stand ich auf und verließ so schnell es ging das Hotel.
Ich wollte in das begehrte Shoppingviertel um etwas auslüften zu können. Somit studierte ich den Busfahrplan und postierte mich an einer Haltestelle.

I'm Sebastian StanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt