0 - Die Kälte des Drachen

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Verlorene Hoffnung
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Prolog

Er spürte die zitternden Hände, die nicht ganz sicher waren, ob sie den letzten Abstand überbrücken sollten

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Er spürte die zitternden Hände, die nicht ganz sicher waren, ob sie den letzten Abstand überbrücken sollten. Ein hohler Klang ertönte, als sie endlich auf der roten Oberfläche abgelegt wurden und sanft darüber strichen. Sie war nachdenklich. Das war sie immer, wenn sie in seiner Nähe war.

Er hörte das Knistern ihrer Magie, jeden Tag ein bisschen stärker. Eine Erinnerung war nahezu immer präsent. Warme Hände auf seiner rot-goldenen Rüstung und eine Verbindung zwischen ihr und ihm, jung und erfrischend und mächtig. Wenige Sekunden hatte jener Augenblick angedauert, doch er reichte, um ihn seither pausenlos zu beschäftigen. Damals hatte sein Herz so schnell geschlagen, dass es ihm beinahe Angst gemacht hätte, wäre da nicht die Euphorie gewesen, die ihn bis in alle Fasern seines Seins erfüllt hatte.

Er hatte noch niemals das Meer gesehen und doch wusste er aus einem ihm unbekannten Grund, wie sich Wasser auf seiner Haut anfühlte, wie dunkel es in den Tiefen des Meeres werden konnte, dort, wo sich niemals ein zögerlicher Strahl der heißen Sonne hinwagte. Beinahe glaubte er, an ebenjenem Ort zu sein, denn es war dunkel und feucht und kalt.

Da war nur Dunkelheit um ihn herum, doch als er, getragen von den bebenden Händen, warme Luft um sich herum spürte, glaubte er auch, dass es ein wenig heller wurde. Vielleicht war es endlich an der Zeit, dass er sich von der Finsternis löste und das Sonnenlicht erreichte. An einigen Tagen fühlte er sich stark genug, so mächtig, dass er das Gefängnis aufsprengen konnte. Dann wiederum verspürte er großen Unwillen, sich zu befreien, denn er wusste, dass draußen das Mädchen auf ihn warten würde. Paradoxerweise fühlte er sich bei ihr sehr wohl, jedoch mindestens ebenso schuldig. Aufgeladene Sünde und er wusste nicht, was er getan hatte.

Sie sprach nicht mit ihm. Das tat sie nie. Einst hatte er Worte von ihr gehört, gedämpft durch sein Gefängnis, gesprochen mit eisiger Verachtung. Er kannte diese Worte nicht, doch er erinnerte sich an ihre Stimme. Aufbrausend wie das wilde Meer und so kalt und scharf, dass sie wie ein Eismesser in seine Seele schnitt, wann immer er sich ihrer erinnerte. Und dies tat er fast ununterbrochen. Nur, wenn eine andere Erinnerung sich in sein Bewusstsein drängte, hörte er für einen kurzen Moment auf, an ihre Ablehnung zu denken.

Da war ein riesiger Turm, eine Nacht um ihn herum, nicht ganz so finster wie in seinem Gefängnis, und unbeschreiblicher Schmerz. Da waren andere Drachen in seiner Erinnerung, aber sobald er den Gedanken an diese ausblendete, war er allein. Allein in der Dunkelheit.

Nur das Atmen des Mädchens vertrieb die Einsamkeit, so sehr ihre Gesellschaft ihn auch schmerzte. Weil sie nicht mit ihm sprechen würde, lauschte er ihrem Atem. Er verriet viel über sie. Laut nahm er ihn neben seinem Gefängnis wahr. Sie atmete ein, schwer, tief, seufzte, atmete wieder ein. Ein erzwungener Atemzug nach dem anderen, obwohl ihr das Luftholen so schwerfiel. In Momenten wie diesen wünschte er sich, bei ihr sein zu können, ihren Schmerz zu lindern, doch er wusste, dass er ihn nur schlimmer machen würde.

Ihr stoisches Durchhaltevermögen wie auch der zögerlich flackernde Mut, der heiß lodernde Mut, ehrten ihn. Ihre Stärke war seine Inspiration. Ihre Gedanken sein Feuer. Ihm wurde langsam warm, so lange wie er nun schon von der schwülen Luft umgeben war. Sein Herz schlug schneller und er hoffte, dass sie ihn bemerken würde, ihm helfen, ihn retten. Er vertraute ihr.

Und tatsächlich. Er vernahm, wie sie ein weiteres Mal seufzte, dann aufstand und ihn wieder auf ihre Hände nahm.

Bewegung verriet ihm, dass sie ihn woanders hinbrachte. Er wusste, wohin, sobald er die Präsenz der Pflanzen wahrnahm und des Künstlichen, das sie umhüllte. Dort war sie schon oft gewesen, als sei es ein Ort für sie, an dem sie ihren Erinnerungen freien Lauf lassen konnte. Auch hier war es warm, jedoch nicht so unangenehm wie zuvor.

Wenngleich er versuchte, sich zu entspannen, spürte er mit einem Mal etwas Fremdes in der Luft. Es war, als knisterten heiße Blitze um ihn herum und er war nicht fähig, diese zu sehen. Und doch fühlte er, was Meilen entfernt von ihm geschah. Wie sich überschlagende Wogen hatten die Ströme der Magie sich gekreuzt, weit entfernt, doch für ihn und das Mädchen deutlich spürbar.

Hoffnung durchströmte sie beide, als sie fühlten, wie neues Leben entstand, während die Welt erwachte. Es war, als käme mit ihm eine Melodie, die die Natur sang und zu ihnen trug, bis alle Lebewesen, die zuhörten, davon wussten. Wie eine längst vergessene, fremde Sprache, unverständlich, doch von süßlichen Klängen. Es schien, als erwache die Natur, doch die sporadisch ertönenden und langsam anschwellenden Herzschläge stammten von den himmlischen Wesen mit Augen so funkelnd wie flüssiges Gold und einem Atem heißer als Feuer.

Da war Magie unter Wasser, in der Luft, im Wald und an jenen Orten wuchs ein kleines Wesen, umhüllt von goldenen Strängen, heran, umschlossen von undurchdringlichen Schuppen und einer Schale so hart wie Adamant. Obwohl ihnen kein Ton entfloh, erhoben sich laute Stimmen der Vergangenheit.

Ob jede Person in dem Königreich diese hörte, war ungewiss, doch auch jene, die ihr Herz vor jeglicher Magie verschlossen haben, mussten zumindest ein leichtes Prickeln auf ihrer Haut verspüren oder einen wispernden Windhauch, den sie kurz darauf gefühlt zu haben verleugneten.

Es sprach niemand darüber, was geschah, denn es in Worte zu fassen war schier unmöglich. Doch dass niemand das Gefühl einer Geburt eines ewigen Wesens vergessen würde, war wahrscheinlich. Irgendwann, wenn man Worte dafür fand, würde man die Erfahrung warhscheinlich an nachfolgende Generationen weitergeben, doch niemand, der es nicht gespürt hatte, würde je verstehen, wie die Welt von neuen Göttern sang.

Es gab Kunde von einigen Fischern aus dem Osten, die erzählten, dass die Fische an jenem Tag übermutig aus den Wellen sprangen und das Wasser bis zu den Wolken schäumte, sodass Himmel und Erde verschmolzen.

Andere wiederum, die für einen Spaziergang in den Wald gegangen waren, sprachen davon, dass die Erde sich unter ihnen bewegte, als Wurzeln der riesigen Bäume sich unter ihnen streckten und uralte Geschichten erzählten.

Auch der König des Landes oder Personen aus der Nähe des Schlosses meinten, gesehen zu haben, dass die Wolken sich golden färbten und die Form von einst verachteten Wesen annahmen, die einander über das Himmelsgewölbe jagten. Ob all diese Geschichten der Wahrheit entsprachen, war fragwürdig, doch dass etwas derart Magisches geschehen war, war nicht zu leugnen.

Es wurde gelacht, gesungen, es wurde geweint, sich gefürchtet.

Magie war freigebrochen, bahnte sich ihren Weg durch wogendes Wasser und dichtbebaute Wege, durch frische Grashalme und kräftigen Wind, bis es anfing zu regnen. Noch immer sang die Erde, doch die Normalität kehrte zurück. Das Lied der Magie hatte nur wenige Minuten angedauert und hallte vielen noch in die letzte Faser ihrer Körper nach, bis sie schlussendlich entwich. Die Regentropfen fielen leise, dann heftig und laut, küssten die ausgetrocknete Erde und füllten die Flüsse und Seen mit neuer Frische.

Und dann konnte er sie spüren. Die goldene Kraft, die sein komplettes Umfeld erfüllte und die Luft zum Knistern brachte. Verglichen mit dem, was er zuvor gespürt hatte, glich dies nun einem Orkan, nicht länger einer sanften Brise.

Mit einem Mal erschauderte er.

Es war kalt geworden.

Der Fall des Drachen [2] - Verlorene HoffnungWhere stories live. Discover now