* Enttäuschendes Neukölln *

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Nach dem Tag hatten wir einige Male per WhatsApp Kontakt, aber gesehen haben wir uns ein paar Wochen nicht. Ich wusste nicht woran es lag... War ich ihm doch zu kaputt? War seine Arbeit schuld?
Es lag aber auch nicht in meiner Natur mich aufzuzwängen, lieber wartete ich ab, bis er wieder auf mich zukommen würde.
So vergingen also die Minuten, Stunden, Tage und Wochen, bis ich eines Tages den Drang hatte etwas zu tun, doch Tom war wieder einmal mit jemanden auf Tour.
So saß ich im Haus rum, alles war aufgeräumt und geputzt und ich wusste nix mit mir anzufangen.
Ich war bisher einmal kurz bei Lukas, weil er etwas vergessen hatte und so entschloss ich mich auf den Weg zu ihm zu machen, mit der Hoffnung, dass er zu Hause sei. Natürlich sagte ich ihm nix von meinen Plänen, es sollte schließlich eine Überraschung werden.
Ich fuhr mit Bahn und Bus bis nach Neukölln, ich hasste dieses Viertel. Ich fühlte mich unsicher und garnicht wohl, doch immerhin hatte ich eine Mission zu erfüllen.
Da es schon Nachmittag war und die Sonne langsam hinter den großen Plattenbauten verschwand, fühlte ich mich noch unwohler. Es ist wohl ein offenes Geheimnis, dass Neukölln nicht gerade der sicherste Bezirk Berlins war.
Es waren noch einige hundert Meter zu laufen, da der letzte Bus, den ich eigentlich nehmen wollte, ausfiel. Doch bevor ich ganz erfror, entschloss ich mich zu laufen.
Die orangenen Straßenlaternen brauchten die Gehwege da eigentlich nicht, die die Neon Beleuchtung von diversen Döner- und Handyläden, ließ alles hell erstrahlen.
Immer wieder schaute ich die Blöcke hoch und die vollgeparkten Straßen und überlegte mir, wie man hier nur wohnen könne. Klar ist man immer dabei, mitten drin, doch ich bevorzugte die Ruhe, die mir mein Randbezirk gab.
Ein kalter Wind zog auf und ich zog mir meine Jacke höher ins Gesicht. Trotz der Kälte waren noch unglaubliche viele Personen unterwegs. Was soll ich dazu sagen? Dit is halt Berlin, wa? Überall an den Shops standen zwielichtige Personen, die rauchten und mein Gang wurde schneller. Ich wollte einfach nur am Ziel ankommen und hoffte immer mehr darauf, dass Lukas auch zu Hause war. Hier lang zurück laufen? Für mich war das ausgeschlossen, dann würde ich lieber so lange warten, bis endlich wieder ein Bus fahren würde.
Ich bog in meine Zielstraße ein und war plötzlich abseits von der lauten Hauptstraße, wo hupen und Gebrüll anscheinend normal war.
Da stand ich also an einem Eckhaus, ich durchstöberte die Klingeln und da stand es: Strobel. In Großbuchstaben stand darüber Hinterhaus.
Na Applaus.... Wie sollte ich nur dahin gelangen? Ich wollte einfach nicht klingeln an der Front und dann ins Hinterhaus vordringen. Ihr wisst ja, immerhin sollte es eine Überraschung sein.
Während ich noch überlegte, öffnete sich die Tür und eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern kam heraus. Ich nutzte meine Chance und hielt die Tür auf, um dann geschickt zum Hinterhaus zu kommen. Immerhin war hier alles sehr anonym, hier kannte eh keiner jemanden, sodass ich unbemerkt ins Haus gelangen konnte, ohne, dass sich die Familie Gedanken machen würde, dass ich schlechtes im Sinn hätte.
Da stand ich nun auf dem Hinterhof und schaute der Wand an dem sechs Geschosser hoch. Ich wusste, dass er in der dritten Etage wohnen würde, dass hatte er mal erwähnt und ich schien Glück zu haben, denn es brannte Licht.
Gerade wollte ich mich auf den Weg zur Haustür im Hinterhaus machen, durch den begrünten kleinen Garten, da sah ich Lukas im Fenster stehen, ich grinste ungewollt und wusste mein Ziel erreicht zu haben, doch dann kam eine Blondine dazu, die ihn herzlich umarmte. Ich schaute geschockt zu dem großen Fenster. Wer war diese Frau? Hatte Lukas etwa eine Freundin, über die er bislang nichts sagte? Wie ein Schock zog sich die Kälte durch meinen Körper.
Ich konnte mir die Tränen nicht zurück halten und viel schneller, als ich bei ihm ankam, war ich auch schon wieder an der Bushaltestelle, auf dem Weg zur S-Bahn, in meinen geliebten Bezirk, in meine kleine süße Wohnstraße mit den alten Einfamilienhäusern.
Auf so einen scheiß, der sich mir hier bot, konnte ich gedrost verzichten.
Ich war irgendwie nicht mehr anwesend. Alles lief standardisiert bis zu Hause ab, alles war ausgeblendet, was war nur mit mir los?
Sollte ich wirklich mehr als nur Freundschaft für ihn übrig haben? Ich konnte es einfach nicht glauben und ich wollte es auch nicht. Wie ich schon oft erwähnte, nie wieder wollte ich einen Mann an meiner Seite haben, alleine würde ich auch schon irgendwie zurecht kommen. Zwar half mir immer noch Tom, doch langsam aber sicher rappelte ich mich ja wieder auf. Oder war auch das ein Trugschluss? Machte ich mir selber etwas vor?
Ich stieg aus der S-Bahn und lief ganz automatisiert nach Hause, dass mein Handy mehrmals vibrierte bekam ich garnicht mit. Was sollte es auch schon wichtiges sein? Tom meldete sich immer frühs und nicht irgendwann am Abend und andere Personen gab es garnicht in meinem Umkreis.
Auch hier in meinem Bezirk leuchteten, wenn auch nicht alle, Straßenlaternen in altbackenen orange. Mein Weg führte durch Einfamilienhäuser, wo Eltern mit ihren Kindern Abendbrot aßen. Ein wenig verfluchte ich diese Menschen innerlich. Sie hatten alles das, was ich nicht mehr hatte, oder ich nie in den Genuss davon kam. An einem Haus blieb ich stehen. Das kleine Mädchen am Tisch hätte Lisa sein können, die freudig ihr Brot in den Rachen schob... Alles hätte schön sein können, aber das Schicksal meinte es nicht gut zu mir. Wer weiß schon, welcher Sinn dahinter steckte. Ich wusste es nicht.
Deprimiert ging ich weiter, an meinem Haus vorbei, wo immer noch ein Teil der Weihnachtsbeleuchtung hing, obwohl es schon lange vorbei war. Das Kopfsteinpflaster wurde unebener und nach ein paar hundert Meter weiter, stand ich nun da. Vor dem Holzzaun, bei dem ich zwei Jahre lang nicht war. Große, kahle Trauerweiden zierten den Eingang. Es war eine gruselige und dennoch ruhige, friedliche Stimmung zugleich. Absolute Ruhe, bis auf das Tor, was ich quietschend öffnete. Da stand ich nun, auf dem Friedhof, den ich nur bei den Trauerfeiern betreten hatte und sonst nicht. Ich schaffte es einfach nicht übers Herz, doch nun war ich da. Ich brauchte jemanden zum Reden, auch wenn es nur zwei nebeneinander liegende Grabsteine waren mit der Gravur des Namens der beiden Menschen, die ich liebte...

Dann stand er einfach so da... (Alligatoah Fan-Fiction)Where stories live. Discover now