* Tiefes Tal der Tränen *

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Am Anfang war alles super und dann kam unser kleiner Engel auf die Welt. Auch da war alles bilderbuchmäßig. Es gab keine Komplikationen, Lisa schien top fit zu sein, doch dann änderte sich alles innerhalb von Tagen. Sie war gerade eine Woche alt geworden, so langsam hatten wir uns darauf eingestellt Eltern zu sein und dann bekam sie einfach keine Luft mehr. Es war der schlimmste Anblick, der sich mir je geboten hat. Sie lief blau an, aus Verzweiflung klopfte ich ihr auf den Rücken, doch alles half nichts. Ich war so hilflos, als mich diese Hilfesuchenden Augen anschauten. Es zerbrach mir das Herz und meine Schreie gingen Tom durch Herz und Mark. Der gerufene Notarzt, der nach erst 15 Minuten eintraf, konnte nur noch den Tot feststellen. Es war einer der dunkelsten Tage in meinem Leben. Ich wusste nicht, wie es weiter gehen sollte. Ich sah in allem keinen Sinn mehr und die Babysachen die überall im Haus standen, machten mich nur noch trauriger. Tom bereinigte über Nacht alles und brachte alle Sachen auf den Dachboden, sodass ich nicht bei jedem mal vorbei gehen wieder an die schönen Momente erinnert wurde. Jo trauerte innerlich. Er zeigte nicht gerne Gefühle und versuchte mich Tag für Tag aufzubauen. Er redete mir immer wieder ein, dass Lisa es nicht gewollt hätte, dass ich so traurig bin. Doch was wusste er schon? Selbst Lisa kannte uns gerade mal eine Woche und ihr süßes Babylächeln ging mir nicht aus dem Kopf. Sie fehlte mir, was selbst verständlich ist.
Einer musste aber stark bleiben und das war Jo. Inwiefern er sich mit Tom über die Sache unterhalten hat, weiß ich nicht, denn Thema Lisa war durch für mich. Ich schwor mir nie wieder ein Kind zu bekommen, da ich wahrscheinlich so eine Art Helikopter Mum werden würde, die die ganze Zeit ihr Kind auf Schritt und Tritt verfolgt, einfach aus Angst und das hat ein Kind nicht verdient. Es soll im Sand spielen und ja auch mal Dreck essen, es soll von der Schaukel fallen und weinen, das alles sind Situationen, mit dem ein Kind umgehen können muss, was meins aber nie könnte, weil eben die Angst so groß ist.

Knapp ein Jahr später war alles halbwegs verdaut, klar huschte uns die kleine immer noch durch den Kopf, aber das wird wohl immer so bleiben. Immerhin war sie unsere Tochter. Sie hatte das bekommen, was sie verdient hatte - ein wunderschönes Grab, mit vielen Plüschtieren, Blumen und Kerzen. Ich glaube auch die Gespräche zu ihr am Grab, haben mir über die schwere Zeit geholfen, aber auch Jo, der immer die Fassung bewahrte und wahrscheinlich der einzige Mensch in meinem Leben war, der mich aus Löchern holen konnte.
Die Vorbereitungen auf die Hochzeit liefen wieder auf Hochtouren, alles war so gut wie fertig und endlich bekam ich mein Kleid.
Es ist übrigens auch das Kleidungsstück, was ich immer aus dem Schrank hole, um mich an meine große Liebe zu erinnern.
Es waren noch drei Tage bis zu unserem großen Tag, bis auf die Blumen war der Raum, in dem gefeiert werden sollte, schon fertig dekoriert. Da ich den Heiratsantrag in Norwegen bekam, war alles sehr nordisch rustikal dekoriert auch mit kleinen Elchen. Eine sehr untypische Deko, doch wir waren dafür bekannt Feiern so zu planen, organisieren und umzusetzen, dass sie einmalig sind. Das Kleid kam gerade vom Schneider mit den ganzen Veränderungen, damit es auch perfekt sitzt, die Frisur war abgesprochen und das Eheversprechen war auch auf Zetteln niedergeschrieben. Auch die Torte war verkostet und nach unseren Vorstellungen in Arbeit. Ich will nicht sagen unsere Planung war perfekt, aber das war sie doch irgendwie, denn zeitlich gab es keine Probleme oder Stress. Doch dann die Wendung.
Ich kam mit Tom vom Einkaufen nach Hause und suchte nach Jo. Als ich im Schlafzimmer nach schaute schien es so, als würde er schlafen, sodass ich leise die Tür schloss und wieder ins Wohnzimmer ging. Doch es war anders, als es schien. Das Leben meinte es zu diesem Zeitpunkt wieder einmal nicht gut zu mir.
Nach knapp zwei Stunden wollte ich ihn doch langsam wecken, denn wenn er tagsüber schlief, brachte er Nachts kein Auge zu und wälzte sich von rechts nach links und hielt mich damit ebenfalls wach.
Auf jeden Fall machte ich mich wieder auf den Weg ins Schlafzimmer und er hatte seine Position nicht geändert, was im Nachhinein betrachtet schon ganz merkwürdig war, trotzdem ließ ich mich nicht irritieren und machte das, was ich immer tat, um ihn unsanft aus dem Schlaf zu wecken. Ich schmiss mich einfach auf ihn, doch es folgte keine Reaktion.
Am Anfang dachte ich noch, gleich erwacht er und kitzelt mich durch, aber nix. Ich schaute ihn an und in seinen geöffneten leeren Augen sah ich das selbe wie bei Lisa damals.
Ich wollte schreien, doch nichts kam aus mir raus, ich war stumm, gelähmt, verzweifelt, innerlich tot.
Was hatte ich der Welt angetan?
Auch dieses mal konnte der Notarzt nur den Tot feststellen und uns wurde erklärt, dass Jo einen Herzfehler hatte, den bisher niemand bemerkte und sein Herz einfach aufgehört hatte zu schlagen.
Ich konnte einfach nicht damit umgehen in kurzer Zeit zwei geliebte Menschen zu verlieren. Ich verzweifelte immer mehr und zog mich zurück. Allerdings wurde die Bindung zu meinem Bruder immer stärker, wahrscheinlich war ich da auch getrieben von der Angst die ich hatte, auch noch den letzten überbleibenden Menschen zu verlieren. Mein Leben ging den Bach runter... Ich ging nicht mehr auf Arbeit, obwohl ich zwischenzeitlich eine gefunden hatte und das Schlafzimmer betrat ich auch nicht mehr.
Auch im Ort konnte ich mich nicht mehr bewegen, denn jede noch so kleine Straßenecke erinnerte mich an irgendeine Situation mit Jo.
Ich hatte schon das Verlangen mich selbst zu verletzen, doch sinnvoll war das nicht. Ich schaffte es auch nicht. Vielleicht war doch noch etwas Lebensmut in mir. Auf jeden Fall war ich ab diesem Zeitpunkt ein gebrochener Mensch und machte mir Vorwürfe. Vielleicht hätte ich ihn schon mal zum Arzt schicken sollen, da er doch sehr kurzatmig war, doch wir schoben es immer nur darauf, dass er unsportlich war. Wir waren naiv. Oder ich, hätte ihn mehr treiben müssen. Ich weiß es nicht. Aber letztendlich war ich der große Verlierer momentan, weil ich alles verloren habe, was es nur gab...

Dann stand er einfach so da... (Alligatoah Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt