24 - Vite, Vite, Julie.

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„Eins von dem Hühnchenfleisch, bitte", richtete ich an den Koch, der mir das frisch gegrillte Stück Fleisch auf den Teller legte und Pauline es mir gleich tat. Bisher war ich noch nicht dazu gekommen sie auf die Sache mit Paul anzusprechen, natürlich indirekt, ohne anzudeuten, dass ich Bescheid wusste.
„Übermorgen ist es soweit, dann ist das Finale", sagte sie glücklich und warf einen Teil ihrer glatten Haare hinter die Schulter, damit sie nicht im Salat hingen. Ich hingegen trug sie von Hausaus in einer Hochsteckfrisur, die ich einmal von Maman gelernt hatte. Wir beide trugen lockere Sommerkleidung, nur die Mannschaft war dazu angehalten immer in ihrer Teamkleidung zu erscheinen.
„Ich kann kaum glauben, dass das alles schon vorbei ist", seufzend legte ich mir ein wenig Salat zu dem Stück Fleisch, ignorierte dabei meinen Finger, in dem ich seit zwei Tagen keinerlei Gefühl mehr hatte. Im Grunde sollte es mich besorgen, doch ich kümmerte mich mehr um meine Arbeit als das Fingerproblem. Da ging ich zum Orthopäden und ließ mich einrenken, dann wäre der Nerv locker und ich spürte ihn wieder.
„Ich bin froh dich kennengelernt zu haben", erzählte Pauline zufrieden als wir zu einem der Tische gingen. „Du bist wirklich eine gute Freundin."
„Danke Pauline, ich hoffe wir sehen uns danach auch noch ab und zu." Sie nickte eifrig, dann schlug sie mir - irgendwie schien mir das ein Tick von ihr zu sein - mit dem Ellbogen in die Seite und murmelte: „Lass uns zu denen gehen, dort ist noch genug Platz und ich bin mir sicher, dass wir gern gesehen sind." Ich entdeckte einen Tisch bestehend aus Paul, Mendy, Olivier und Benjamin. Alle in ein angeregtes Gespräch vertieft, was nach außen sehr ernst wirkte.
„Bonsoir Monsieurs", begrüßten wir sie, Pauline zog ohne mit der Wimper zu zucken den Stuhl neben Pogba heraus und platzierte sich unauffällig auffällig neben ihrer kleinen Romanze. Niemand wusste davon, nur ich.
Ich zögerte damit mich zu setzen. Die Angst, dass es auffallen könnte breitete sich in mir aus.
„Du solltest deine Freundin nicht um Stich lassen", wurde mir ins Ohr geflüstert, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Antoine zwinkerte mir zu, setzte sich neben Benjamin und klopfte auf den leeren Stuhl zwischen ihm und Pauline. Die Pariserin wurde von Paul schon wieder in ein Gespräch verwickelt, bei dem sie andauernd sehr laut loslachte und die beiden sich ständig seltsame Blicke zuwarfen. Es war verdammt auffällig.
„Und Julie, bist du bereit das Finale mit uns zu feiern?" fragte Benjamin, einer der jüngeren Spieler, der ein besonders wichtiges Tor geschossen hatte und sich ansonsten immer sehr zurück hielt. Auch Olivier wartete auf meine Antwort während er aus seinem Glas trank.
„Ich wünsche mir ehrlich gesagt, dass es noch ewig weitergeht", gab ich verlegen zu und stopfte mir ein riesiges Salatblatt in den Mund. Die Kontrolle meiner Gabel fiel mit dem schlaffen Finger nicht besonders leicht.
„Wirklich?" Olivier musterte mich.
„Ja, es ist sehr abwechslungsreich zu meinem Zuhause. Dort sitze ich den ganzen Tag im Atelier, verkaufe Bilder oder zeichne welche", erklärte ich, „ziemlich monoton das Ganze."
„Kein Wunder, dass einige Wochen mit der französischen Nationalmannschaft wie ein Abenteuer für dich ist", scherzte Antoine und grinste mich an. Ja, abenteuerlich traf das alles gut.
„Ihr versteht gar nicht wie viel Spaß es mir macht. Ich mache zwar jeden Tag nur Fotos aber ständig lerne ich einen von euch besser kennen, darf auf Ausflüge mit und vergesse die stupide Langeweile es ist einfach... erfrischend." Als ich merkte, dass Antoine mich die ganze Zeit beim sprechen beobachtete, strich ich mir eilig eine Strähne hinters Ohr und versuchte damit von der aufsteigenden Röte abzulenken.
„Für uns warst du auch sehr erfrischend", sagte Giroud. „Man kann Spaß mit dir haben, solltest du dir die nächsten Tage nicht nehmen lassen auch wenn du wahrscheinlich in zwei Tagen deinen letzten Abend bei uns hast", fuhr er fort. Leider stimmte das. Die Tatsache nur noch das Finale und die eventuelle Feier danach zu erleben, machte mich ziemlich traurig. Danach war mein Abenteuer WM nämlich vorbei. Ich war ab dann nicht mehr mit eingeplant, nur noch Louis, der jeden Schritt filmen würde. Falls es zu einer Feier kommen sollte. Das entschied das anstehende Spiel.
„Ja, da hat er recht. Du wirst sicherlich von dem ein oder anderen noch hören", versicherte mir Benjamin und ich nickte schüchtern. Das zweifelte ich an, wollte es nur nicht so direkt sagen.
„Klar, ich komm zum Bild kaufen vorbei", mischte sich nun Pogba ein. „Das Portrait wird nicht das Letzte sein!"
„Ich auch", lachte Olivier. „Ich hätte gern ein Bild für mein Wohnzimmer. Riesengroß. Bezahlung wird vermutlich auch sehr angemessen." Sie scherzten, das wusste ich.
„Oder eins für die Flure..."
„Ich glaube, dass wir dich alle ein klein wenig vermissen werden", gab Benjamin lächelnd zu, was ich erwiderte. Ich würde sie auch alle vermissen. Unheimlich.

Nach dem Essen ließen es sich einige nicht nehmen erneut eine kleine Tanzparty am Lagerfeuer zu veranstalten. Didier hatte gesagt, dass das eine Teambuildingmaßnahme sein sollte, damit alle nochmals auf eine gleiche Ebene kommen würden und wie eine Einheit fungieren konnten. Sein Erfolgsrezept für das Finale.
Nach seiner Ansprache verabschiedete sich der Trainerstab und nur die Betreuer, sowie Physios blieben an ihren Plätzen sitzen. Aus einer der Wireless-Lautsprecher drang laute Musik. Es war ausgelassen und locker, hatte nicht den Flair einer Zwangsveranstaltung. Plötzlich wurde nach meiner Hand gegriffen, die gemeinsam mit meiner anderen in meinem Schoß geruht hatte, während ich Pauline mit den Kerlen beobachtete. Sie macht sich einen Spaß aus ihrer Heimlichtuerei und ich konnte sie da schon ein wenig verstehen.
Überrascht blickte ich auf die Hand, die meine genommen hatte. Man erkannte sofort wem sie gehörte, die einzelnen Buchstaben des Wortes Hope zeigten sich deutlich.
„Wie wär's mit einem Tanz, Julie?" fragte er mich.
„Oh nein, lieber nicht, ich...mir ist nicht so nach tanzen", log ich und wollte ihm meine Hand entziehen, jedoch unklammerte er sie nun fester.
„Du musst aber noch die Tänze von Pog lernen, damit du übermorgen nicht blöd am Rand stehst." Als ich aufsah traf ich auf die Augen, die mir am Anfang nur Kälte entgegen gebracht hatten. Sie waren wirklich täglich eiskalt gewesen und jetzt? Jetzt erinnerten sie mich an einen kleinen See in der Nähe von Lyon. Im Sommer war ich oft mit meinem Bruder dort gewesen, denn er lag in einem Wald und Maman und Papa durften nie davon erfahren. Ein Geheimnis sozusagen. Nicolas hatte mich mit dem Fahrrad dorthin geführt. Das Wasser dieses See's sah aus wie seine Augen, da war ich mir ganz sicher.
„Vite, vite. Sonst ist der Song vorbei!" Grinsend zerrte er mich hoch, was ich widerwillig über mich ergehen ließ. Hatte ich denn eine Wahl?

Antoine erklärte mir, welchen Schritt ich wann zu machen hatte, inwiefern ich mich vorlehnen sollte oder eben nicht. Es war anstrengender als der Tanzkurs in der zehnten Klasse für diesen bekloppen Ball, den unsere Schule für uns organisiert hatte. Kaum bestand man den BAG stand ein Ball an.
Außer Puste befolgte ich nochmals die Schritte, bevor Antoine meine Hand nahm und leise sagte: „Das Lied ist gleich vorbei, du musst dich noch bei deinen Zuschauern verneigen." Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Pog und Pauline uns die ganze Zeit über beobachtet hatten.
„Ich will mich nicht verneigen", murmelte ich zurück und er lachte kurz auf.
„Du hast keine Wahl, die schöne Tanzpartnerin muss sich immer mitverneigen, immerhin steht sie ja mehr im Fokus. Alors. Trois, deux, un", zählte er herunter, verneigte sich theatralisch vor Pauline und Pog, die peinlich losgrölten und bevor ich rot wie eine Tomate anlief verneigte ich mich dann doch.
„Ich hasse dich dafür", zischte ich ihm zu.
„Also mir hat es Spaß gemacht", antwortete er weiterhin grinsend, erhob sich wieder und entließ mich aus der peinlichen Situation.
Weil Pogba mit seinem Kumpel gleich weiter tanzte, begab ich mich zu Pauline, die nur abwartend die Brauen hob.
„Was geht denn da bei euch?" fragte sie neckisch.
„Du solltest nicht von dich auf andere schließen Pauline", war alles was ich dazu sagte und ließ mich vom tanzen nassgeschwitzt in einen der bequemen Sessel fallen.
„Ohhh! Du weißt es!" Aufgeregt schmiss sie sich in den Sessel neben meinem, spielte mit einer Strähne herum und betrachtete verträumt den tanzenden Kerl mitten in der Fläche. Sie erzählte wie sie darauf kam, dass er es war, dass sie Emmanuel vergessen würde. Sie würde einen Neustart wagen, alles dafür tun. Und was tat ich? Während sie plapperte und ihren Lover beobachtete, erwischte ich mich dabei, wie ich meine Augen nicht von einem bestimmten Franzosen lassen konnte. Dem kleinen Griesgram mit der Sieben.

Julie ~ A.GriezmannWhere stories live. Discover now