5 - Rouge en blanc

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Als diese Prozedur mit den Vorstellungen ein Ende genommen hatte durfte ich mit dem Trainerstab zu Abendessen, was mir überhaupt nicht gefiel. Ich war einfach komplett fehl am Platz. Sie sprachen alle wirres Zeug über Passverhalten, Ecken, Elfmeter und hatten hundert verschiedene Begriffe für Sprints, die ich wirklich noch nie im Leben gehört hatte. Alles echt seltsam.
Dazu kam, dass mich einige der Spieler ständig musterten, was bestimmt meinen zwei geflochtenen Boxerbraids und dem Adidasanzug zu verschulden war. Ich fühlte mich wie ein bunter Klecks Farbe auf einem komplett schwarzweißen Gemälde. Einfach falsch.
Wenn ich einen erwischte, der mich blöd ansah, versuchte ich einfach den Blick abzuwenden und schlürfte brav meine Suppe. Wie konnte Didier mich in einen reinen Männerhaufen stecken? Das konnte doch nur schiefgehen.
„Hast du gehört Julie?" wandte sich Didier an mich, was mich so dermaßen erschrak, dass ich schlagartig meine Arme zur Seite riss, den Teller dabei erwischte und die gesamte Suppe sich über meinem weißen Trainingsanzug ergoss. Dass es Tomatensuppe war, war das mildere Übel.
Der stechende Schmerz der glühend heißen Suppe in meinem Schritt war schlimmer. Viel Schlimmer.
Durch den Krach den ich veranstaltet hatte, lagen nun alle Blicke auf mir. Sofort sprang ich wie von der Tarantelgestochen auf und versuchte die Suppe irgendwie abzubekommen, nur leider gelang das eher mäßig. Zudem war die Hitze an meinen Beinen so stark zu spüren, dass die Tränen nur so in meine Augen schossen.
„Pardon, ich...", stammelte ich, während ich nervös mit Servietten an mir herumdrückte. Ich hob meinen Blick an und traf auf einerseits geschockte, andererseits amüsierte Gesichter. Wie peinlich!
„Ist alles okay, Julie? Die Suppe ist sehr heiß, wenn du ärztliche Hilfe brauchst, wir haben einen hier", schlug mir jemand vom Trainerstab vor, doch ich schüttelte nur meinen Kopf. Wenn jetzt noch ein Arzt an mir herumdoktorte, dann konnte ich mir gleich ein Loch in der Wiese graben und mich verstecken gehen.
„Ich...ich gehe auf mein Zimmer", presste ich hervor. Ohne noch einen weiteren Moment in dieser Peinlichkeit verbringen zu müssen, stürmte ich nach draußen in den Gang zu der altmodischen Treppe und gab ein seltsames Stöhngeräusch von mir. Jetzt war der Trainingsanzug komplett ruiniert. Das bekäme ich nie wieder sauber.
Um den Schmerz wegzudenken schloss ich kurz die Augen, öffnete sie jedoch schnell wieder als die Tür zum Speisesaal aufging und mich Paul Pogba entdeckte.
„Ça va?" fragte er dreist.
„Wie soll es mir schon gehen?!" fuhr ich ihn wütend an.
„Wohow ganz ruhig", mahnte er und hob die Hände in die Luft. „Wollte nur nachsehen ob alles passt." Gezwungenermaßen nickte ich, denn diese Blöße wollte ich mir keinesfalls geben. Das hatte ich von meinem Vater geerbt.
„Ich geh auf mein Zimmer", brummte ich und stieg mit schmerzverzerrtem Gesicht die enge Treppe hoch.
„Bist du sicher, dass du keine Hilfe brauchst?" rief Paul von unten und ich schüttelte den Kopf. Dass die Hose gerade an den leicht verbrannten Stellen rieb machte es nicht besonders einfach die Treppen nach oben zu gehen.
„Bist du dir ganz sicher?" tauchte seine Stimme nun hinter mir auf. Den wurde ich bestimmt nicht los.
„Ja. Ganz sicher. Auch wenn du mich noch einhundertmal fragst!"
Ich ging möglichst normal den langen Flur entlang, fischte nach dem Schlüssel für mein Zimmer in der Jackentasche und schloss die Tür auf.
„Schick, du wohnst ja direkt neben mir", stellte er fest, weshalb mir langsam wirklich der Kragen platzte. Hatte ich ja gar nicht bemerkt dass mich sein aufgedrucktes Bild jeden Tag ansah.
„Sorry, aber dein Gerede kann ich grade echt nicht gebrauchen!"
„Warum so zickig, jolie?"
„Ich heiße Julie, nicht Jolie", motzte ich und ließ mich langsam auf dem Bettrand nieder. Paul machte keine Anstalten sich entfernen zu wollen.
„Aber du bist sehr jolie...also bist du ab heute Jolie für mich", erklärte er, „außerdem glaube ich, dass Jolie sehr wohl ziemliche Schmerzen hat und rate ihr dazu, das von einem Arzt ansehen zu lassen. Wenn du willst kann ich ihn holen?" schlug er vor.
„Ich brauche keinen Arzt..."
„Sicher ist sicher. Lauf nicht weg, Jolie", sagte er und zwinkerte. Na toll. Warum musste denn genau der in mich hineinlaufen?

Wenig später fand ich mich mit dem Mannschaftsarzt an meinem Bett wieder, er hatte eine Salbe auf die wunden Stellen geschmiert und einen provisorischen Verband angelegt. Es war nicht so schlimm, aber es wäre besser wenn über Nacht der Haut geholfen werde, meinte er. Somit lag ich wütend mit einem Verband am rechten Bein in meinem Bett, die dreckige Hose vor mir und ich wollte nicht aufstehen, weil der Verband eben nur provisorisch war und ich aufpassen sollte, dass er nicht verrutschte bis er ein passendes Tape gefunden hatte.
„Jolie, wie sieht's aus?" hörte ich Paul fragen, doch gott sei dank kam er nicht alleine. Er hatte Kanté im Schlepptau. Pogba riss überrascht die Augen auf, weil ich nur in einer Unterhose und Verband auf dem Bett saß, Kanté hingegen wandte sofort seinen Blick ab.
„Der liebe Golo wollte wissen wie es dir geht, ist grad ungünstig oder?" fragte Paul.
„Ja, ist ungünstig. Sie hat doch nichts an, Paul", murmelte Kanté leise. Irgendwie verhielt er sich niedlich.
„Mir geht es besser, danke. Ist ja nicht so wild, war nur im ersten Moment ziemlich heiß", erklärte ich mehr ihm als Paul.
„Zum Glück ist es nur auf dein Bein gegangen", er wackelte mit seinen Augenbrauen.
„Paul!" mahnte Kanté und schlug ihn mit dem Ellbogen.
„Ja was denn? Stimmt doch! Wenn die dran gewesen wäre, dann..."
„Paul!" diesmal war er energischer.
„Julie, sollen wir deine Hose zum Waschen bringen? Wenn jeder Grasfleck rausgeht, dann sollte eine Tomatensuppe auch gut rausgehen", schlug der kleine Kerl vor, der um einiges Älter als ich war. Das hatte mir Google nämlich verraten.
„Das wäre wirklich lieb, danke." Dass ich noch immer in Unterwäsche hier lag, direkt vor einem Fußballspieler, der dumme Kommentare abgab, machte mir gerade nichts aus. Kanté konnte das ja nicht ahnen.
Dieser hob auch im selben Moment meine Hose vom Boden auf, wünschte mir eine gute Nacht und zog Pogba grob hinter sich her, welcher mehr widerwillig folgte.
„Warum ist die zu dir so nett und zu mir nicht?" fragte er im Flur so laut, dass ich es noch verstehen konnte.
„Weil du einfach dumm bist", schimpfte Kanté, was mich zum Schmunzeln brachte. Ich mochte ihn. Selbst beim Zeichnen seiner Tür fand ich sein Lächeln schon so niedlich, dass ich am liebsten Stunden damit verbracht hätte noch einige weitere Anfertigungen zu machen.
„So Julie", riss mich der Arzt aus den Gedanken, „Ich fixier das noch, dann bist du morgen auch wieder fit."
Zum Glück.

Julie ~ A.GriezmannOù les histoires vivent. Découvrez maintenant