15 - Bonne viande!

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Die Tage nach dem Spiel bestanden meistens nur aus Besprechungen und Training, für mich hieß das: Fotos über Fotos überwucherten den begrenzten Speicherplatz meiner Kamera und ich durfte hunderte Male Bilder auf Louis Laptop übertragen.
Dieser saß nämlich entspannt neben mir und beobachtete mich permanent dabei wie ich die Bilder der Spieler schoss, welche von Didier ganz schön rangenommen wurden. Mittlerweile verstand ich nämlich viel mehr wann ein Training wirklich anstrengend sein musste und wann es eher locker war. Manchmal erwischte ich sogar einen guten Moment des Coaches der Natio, wenn er beispielsweise über einen Spielzug triumphierend lächelte und versuchte dies zu unterdrücken, es ihm aber nicht gelang.
Über die Grüße meines Papa's hatte er sich auch sehr gefreut und wollte, dass ich ihm unbedingt mitteilte, wie froh er doch war mich hier dabei haben zu können. Für Didier machte ich wohl gute Arbeit, stand nicht im Weg herum und hatte eine Ahnung von dem was ich tat.
"Du Julie", sprach mich Louis dann an. In diesem Moment schoss ich erneut Fotos von Kylian und biss mir dabei vor Konzentration auf die Zunge.
"Ja?" Diese Antwort war beiläufig, da ich mich unheimlich über meine Arbeit freute. Es machte wirklich Spaß so kleine Momente für die Ewigkeit festzuhalten.
"Warum haben wir seit unserem Essen nichts mehr unternommen?" wollte Louis wissen und ich stoppte abrupt mit meinen Fotos. War es etwa doch ein Date für ihn gewesen? Zwar hatte ich an diesem Abend das Gefühl, dass Louis und ich gut miteinander funktionierten, nur stellte sich mittlerweile immer mehr heraus, dass er und ich viel zu verschieden waren. Er sah meine Begeisterung für gewisse Dinge nicht und wusste sie nicht zu schätzen. Ein Punkt, den ich an ihm nicht leiden konnte.
"Weil es nur ein Abendessen war." Man konnte sehen, dass seinen Körper für eine Sekunde etwas bestimmtes durchzuckte. Bestimmt war er jetzt gekränkt.
"Oh, achso ich dachte", verlegen kratzte er sich am Hals, "dass... also dass wir das nochmal machen könnten, aber ich hab schon verstanden."
Louis wandte seinen Blick ab. Schon tauchte dieses grausame Gefühl in mir auf, wie nannte man das noch gleich? War es nicht das altbekannte Mitleid? Nur sagte ich mir, dass Mitleid unangebracht war, schließlich konnte ich mich zu nichts zwingen, das ich persönlich nicht gut fand. Dennoch legte ich meine Hand auf seinen Schenkel und presste meine Lippen zusammen.
"Tut mir leid, wenn du anderes gedacht hast", versuchte ich es wieder gerade zu biegen.
"Nein, schon okay. Pauline hat sowas auch angedeutet, sie meinte du und Paul würdet euch öfter auf dem Zimmer treffen und..." Jetzt musste ich lauthals lachen.
"Pauline erzählt, dass ich mit Paul was am laufen habe?!" fragte ich ungläubig nach, während ich den dunkelhäutigen Fußballer beobachtete.
"So ähnlich ja, klingt ja ziemlich eindeutig."
"Klar und übermorgen hatte ich dann mit Griezmann was im Stadion, direkt an der VIP-Lounge weil wir gesprochen haben", lachte ich. Das war das absurdeste, das ich seit langem gehört hatte. Außerdem, wo war Pauline überhaupt?

Ich schlenderte durch die Gänge auf den Konferenzraum der Anlage zu, wo ich von weitem schon Paulines Stimme hören konnte. Aufgebracht schimpfte sie in ihre Telefon hinein, während sie ganz vorne auf Didiers Stuhl saß - ich nahm das an, denn wer sonst sollte vorne an dem Whiteboard sitzen?
"Nein, wir wollen kein Hühnchen! Verstehen Sie mich denn nicht?! Bald ist ein Grillabend und wir brauchen Steak! Bonne viande! Hallo? Good meat!" meckerte sie vor sich hin, hielt plötzlich ihr Handy vor sich und wirkte enttäuscht. Der Gesprächspartner hatte bei ihrem Gebrüll wohl aufgelegt.

Leise klopfte ich an die Tür, weshalb sie einmal ein Ruck durchzog und sie zu mir aufsah. Tiefe Augenringe zierten ihr Gesicht, die Haare standen Kreuz und quer von ihrem Zopf ab und wirkten daher mehr wie ein Vogelnest als ein schöner Pferdeschwanz. Chaotisch.
"Ach du bist es. Dachte schon der Koch kommt wieder", murmelte sie erleichtert und erhob sich von ihrem Platz um mich mit Küsschen links und rechts zu begrüßen.
"Warum bist du hier?" Pauline sah von Nahem noch miserabler aus als von der Ferne. Ihre Augen waren nicht einmal komplett geöffnet, als hätte sie stundenlang geweint, ihre Haut war fahl und sie wirkte unglücklich. Einfach pure Überarbeitung.
"Ich wollte nach dir sehen, weil du in letzter Zeit wie verschollen bist", erklärte ich und schon tippte sie wieder auf ihrem Handy herum. Fast schon psychopatisch starrte sie darauf.
"Mir geht's gut, danke", murmelte sie geistesabwesend. Ich wusste nicht ganz was ich tun sollte. Ihr ihr Handy wegnehmen ging eventuell ein Stück zu weit, also...
"Hey, was soll das?" Meine Finger hatten ihren Display ausgestellt, weshalb sie jetzt endlich wirklich auf mich achtete.
"Du bist du total überarbeitet!"
"So ein Quatsch. Es sind ja nur noch ein paar Wochen. Weißt du, wir wollen falls die Jungs es schaffen noch einen Grillabend veranstalten und dazu muss eben alles organisiert werden und du weißt: Dimitri habe ich damals auch spontan organisiert also kann ich alles organisieren."
"Okay okay", stoppte ich ihren Redefluss. "Weswegen ich hier bin...Warum erzählst du Louis ich hätte etwas mit Pogba?" Pauline runzelte leicht die Stirn.
"Na weil ihr euch doch immer im Zimmer trefft. Ich dachte ihr habt ein bisschen...Spaß", rechtfertigte sie das alles und wollte gerade wieder auf ihr Handy sehen, als ich sagte: "Da täuscht du dich aber, vielleicht solltet ihr einfach mal einen Psychodoktor für eure Spieler engagieren."
"Sorry, Julie, aber für sowas habe ich jetzt echt keine Zeit, weil..." Schon klingelte wieder ihr Handy, sie hob ab und quasselte auf Englisch los, dass sie Fleisch benötigten. Kopfschüttelnd wandte ich mich letztendlich dann ab, weil sie mir keinerlei Beachtung mehr schenken wollte und viel zu sehr in der Arbeit vertieft war. Ein kleiner Workaholik, wie er im Buche stand.
Seufzend zog ich die Tür des Konferenzraums letztendlich hinter mir zu und machte mich wieder auf den Weg nach draußen.

Julie ~ A.GriezmannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt