9 - La cathedrale

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Wir fuhren unerwarteter Weise mit der Straßenbahn in die Innenstadt. Eigentlich hatte ich gedacht, dass diese wohlhabenden Menschen es sich nicht nehmen ließen einen Fahrer zu engagieren. Tja, falsch gedacht. Und so kam es, dass wir zwanzig Minuten später am Hauptbahnhof ausstiegen und uns auf dem großen Platz erst einmal zurechtfinden mussten.
„Und wo wollt ihr hin?" hakte Hugo nach. Mit ihm hatte ich während der Fahrt ein recht angenehmes Gespräch geführt. Er hatte mir von seiner Frau Marine erzählt und dass er seine beiden Töchter Anna und Guiliana sehr vermisste. Man konnte ihm den Trennungsschmerz richtig ansehen, weshalb ich nicht tiefer in die Wunde drücken wollte und es dabei beließ.
Pauline hingegen hatte in Pogba einen verblüffend tiefsinnigen Gesprächspartner gefunden. Sie unterhielten sich übers Universum, ein Leben nach dem Tod, den Tod an sich, Seelen und Geister. Und Antoine... nun ja, der hatte nicht ein Wort gesprochen. Es schien als wäre ihm sein Handy wesentlich wichtiger als ein Gespräch mit uns zu führen. Seltsamer Kauz.
„Hm... wie wär's wenn wir einfach drauf los laufen?" schlug ich vor.
„Klar und dann verlaufen wir uns genauso einfach wie wir losgelaufen sind", sagte Antoine mit einem solchen Sarkasmus in der Stimme, dass ich die Antworten der anderen gar nicht erst hören wollte.
Paul drückte seinem Teamkollegen einmal ordentlich mit dem Ellbogen in die Seite, sodass dieser ihn böse anfunkelte und seine Hände in den Hosentaschen verschwinden ließ.
„Ich schlage vor, wir suchen eine Eisdiele oder sowas", mischte sich Hugo ein und Pauline nickte begeistert.
„Ein Eis klingt super."
Langsam begab sich unser Fünfergespann also in Bewegung, nachdem wir nach längerer Suche im Internet eine passende Eisdiele in der Nähe gefunden hatten. Sie war nur wenige hundert Meter entfernt und wir konnten dort sogar noch die Aussicht auf eine wunderschöne Kathedrale genießen.

Mit Erdbeereis ausgestattet hatte ich mich neben die Nationalspieler gesetzt und mich verträum umgesehen. Es war so schön hier. Der blaue Himmel schien die altgothische Kirche zu umrunden, bildete eine wunderschöne Kulisse. Das rege Menschentreiben davor tat dieser Art von Schönheit absolut keinen Abbruch, nein, es wirkte alles sogar noch besser dadurch.
Ich fand schon immer, dass Kirchen wie eine Bremse in der Zeit waren. Als hätte man sie einfach rasant angehalten und diese Bauten dort hingestellt.
Mein Blick traf auf Pauline die mit Paul und Hugo angeregt sprach. Sie saßen gegenüber auf seltsamen Steinen, wohingegen ich mich an den Rand des Springbrunnens gesetzt hatte. Griezmann tat das, was er immer tat: Am Handy sitzen.

Verträumt holte ich mein iPad aus meinem Rucksack, verband den Stift damit und fühlte mich in die Atmosphäre des Platzes hinein. Dass mein Eis im Becher langsam schmolz war mir egal. Ich zeichnete wie wild drauf los, Strich für Strich. Zoomte hin und wieder weg. Ich skizzierte Personen, Augen, Nasen, Münder, Eis. Es passte alles perfekt zum anderen. Das aktuelle Zeitgeschehen kombiniert mit einem alten Gebäude auf neumodischer Technik.
„Willst du nicht mal dein Eis essen?" wurde ich angesprochen, was mich aus meiner Zeichenphase riss und mir einen kurzen Abbruch gewährte.
„Nein, ich muss das zeichnen", murmelte ich nur.
„Kann ich es dann haben?" Ich sah auf und entdeckte Antoine, der bereits meinen Becher in der Hand hielt.
„Iss ruhig."
Konzentriert zoomte ich an die Kirche meiner Zeichnung ran und versuchte die Details möglichst genau einzuzeichnen. Leider wäre die Zeit dafür viel zu knapp um alles schön hinzubekommen.
„Uh", vernahm ich Paul. „Jolie zeichnet wieder." Ich schloss kurz meine Augen um nicht die Fassung darüber zu verlieren, dass er das anmerken musste, und hielt schlagartig meine Hand hoch, weshalb er in seiner Bewegung innehielt.
„Erstens heiße ich Julie", funkelte ich ihn an. „Und Zweitens bleibst du besser sitzen, sonst hast du kein Gesicht."
„Habt ihr gehört? Ich hab dann kein Gesicht. Wenn Jolie das sagt, dann muss ich mich natürlich wieder setzen, richtig Antoine?" Der kleine Franzose neben mir steckte sich einen Löffel Erdbeereis nach dem nächsten in den Mund und wirkte überrascht als er angesprochen wurde.
„Richtig?" Pogba sah ihn erwartungsvoll an, doch Griezmann hatte absolut nicht zugehört.
„Um was geht's?" Sichtlich verwirrt blickte er zwischen uns allen hin und her, als würde er so die Antwort herausfinden.
„Wenn Jolie sagt ich soll mich für ihr Bild wieder setzen, dann muss ich das wohl tun, oder?"
„Musst du wohl."
„Erzähl mal, sieht es gut aus? Hat sie mich von der Schokoladenseite getroffen?" wollte Pauline wissen und posierte demonstrativ im Sonnenlicht. Das löste bei mir einen leisen Kicherer aus.
Griezmann lehnte sich rüber, betrachtete das Bild auf meinem iPad und musterte es genauer.
Sein Desinteresse stand ihm zwar noch immer ins Gesicht geschrieben,aber immerhin hielt er nach ausgiebiger Begutachtung die Daumen nach oben.
„Gut, dann weiter Julie!"

Die Enttäuschung war groß, als ich das Bild nach den begeisterten „Wow, Toll" Rufen der zwei Fußballer und Pauline wieder löschte. Alle starrten mit entsetztem Blick auf mein iPad und wollten es unbedingt wiederfinden. Blöd gelaufen. Das Bild war weg. Und alles war wieder genauso Blanco wie davor.
„Warum macht sie das immer?" Paul konnte es einfach nicht fassen, selbst dann nicht als ich ihm erklärt hatte, dass ich das wirklich immer so machte und das nichts für die Ewigkeit war. Es war eine Momentaufnahme in meinem Kopf, die aufwendig auf Papier gebracht wurde und jeder Moment verschwand auch wieder, somit auch das Bild. Er schüttelte wild den Kopf.
„Jolie du bist wirklich seltsamer als ich dachte! Nein, nein wisst ihr was?!" er wandte sich seinen Teamkollegen zu. Ganz langsam hielt er seinen Finger an die Schläfe und drehte ihn im Kreis. „Jolie hat einfach einen kompletten Dachschaden. Man kann doch nicht so ein Bild löschen, das ist so als würde ich nach jeder gegebenen Karte zum Schiri laufen und den Namen darauf einfach abkratzen!" Ich musste bei dieser Aussage ein wenig Schmunzeln.
„Zum Glück kann sie dich von der Türe nicht löschen", meldete sich Pauline zu Wort und Pogba riss die Arme hinter den Kopf: „Das wäre noch schlimmer!"
Bei diesem Spitzen Aufschrei musste sogar Antoine ein wenig lachen.

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Ein wunderbares Wochenende an meine wunderbaren Leser! 🍂
Es herbstelt hier schon sehr stark, was für mich bedeutet: ab unter die Decke, einen leckeren Tee kochen und Filme sehen. Aber weg von mir.

Na, da kommt der Antoine ja endlich mal zum Vorschein. Bedeckt, aber dabei. Das ist ein Charakterzug, den ich mir persönlich bei ihm gut vorstellen kann: Zunächst ruhig, dann wenn er einen gut leiden kann doch ein wenig aufgekratzt und crazy.
Oder ich liege damit total daneben. Naja. Für mich ist der Antoine Griezmann von der WM 2018 mit den kurzen Haaren definitiv ein ruhiger, sympathischer Genosse, der sich seine Freunde selbst gut aussucht und erst mit der Zeit aufblüht. 😌

Eure Ladybirdly

Julie ~ A.GriezmannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt