17 - Il est petit, il est gentil, il a stoppé Leo Messi

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Während des Mittagessens herrschte eine Totenstille im Speisesaal. Ich hatte absolut keinen blassen Schimmer, was Didier den Jungs gesagt hatte, aber sie waren alle so konzentriert, dass es mir ein wenig Angst einjagte.
„Julie?" Pauline schnipste vor meinem Gesicht herum. Sie hatte sich nach letztem Mal wieder ein wenig beruhigt, denn mittlerweile war alles für heute gut organisiert und durchgeplant.

Wir waren allesamt heute morgen schon nach Kasan geflogen, in knapp einer Stunde trudelten die Jungs ins Stadion ein und das Spiel würde losgehen. Alles getaktet und...
„Julie!" Diesmal ruckelte Pauline an meinem Arm.
„Was ist?" Heute war ich diejenige, die etwas abwesend und genervt war.
„Antoine sieht dich seltsam an", murmelte sie mir kaum verständlich zu und ich folgte ihrem Blick. Sie hatte recht. Der Nationalspieler starrte mich regelrecht nieder, während seine Finger an dem roten Bändchen herumspielten. Die Nervosität stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Der ist nur nervös, Pauline", versuchte ich diesen Starrblick zu erklären, was mir leider nicht zu gelingen schien.
„So ein Quatsch, Antoine beachtet nicht einmal mich. Ist eher ständig angepisst wenn ich was sage, aber dich starrt er an, schau doch!" Aufgeregt schlug sie mit ihrem Ellbogen in meine Seite, bis es schon fast weh tat. Dann leuchtete mein Bildschirm auf und Grizou tauchte als Kontakt auf, welcher mir eine Nachricht gesendet hatte. Skeptisch sah ich zu ihm, öffnete gleichzeitig den Chat und las die Nachricht.
Kann ich heute einmal Paul sein?" stand dort. Verblüfft hob ich meinen Kopf und traf auf einen etwas verzweifelt wirkenden Antoine, der mittlerweile aufgestanden und zu meinem Platz gekommen war. Pauline sah aufgeregt zwischen uns hin und her. Schnell räusperte ich mich und sagte krächzig: „Ja klar."

Pauline zerquetschte beinahe meine Hand, während ich mit der Kamera auf den Elfmeterpunkt hielt und hoffte einen guten Moment einfangen zu können.
Nachdem mir Antoine seine Gefühle über dieses Spiel anvertraut hatte, konnte ich nicht aufhören daran zu denken. Er hatte ein starkes Bedürfnis danach seine Familie und sein Land nach allem was passiert war stolz zu machen. Mir kam es sogar ein wenig vor, als wäre noch immer leicht traumatisiert von dem Vorfall vor einigen Jahren, bei dem seine Schwester beinahe ihr Leben verloren hatte und 130 weitere Pariser starben. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerademal 20 Jahre alt geworden und saß neben meinem Vater auf dem Sofa, als während des Fußballspiels lautes Knallen zu hören war und mein Vater entsetzt lauter machte, anschließend wiederholte sich alles. Und dann meinte Nicolas, mein Bruder, dass sich das nach Explosionen anhörte. Eine dramatische Geschichte. Plötzlich riss mich der Lärmpegel aus meinen Gedanken.
Das Stadion jubelte, Antoine jubelte, Kylian jubelte. Alle jubelten. Außer die Argentinier, die zogen ein Gesicht. Pauline kreischte los und hüpfte auf und ab, wozu ich mich anschloss und mich fühlte wie ein Teenager auf einem Konzert von One Direction.

Leider wurde zur Pause alles anders und es stand 1:1, doch ich vertraute Didier da voll und ganz. Dass dieses Spiel noch eines der krassesten Fußballespiele meines Lebens werden würde, folgte im Anschluss. Die Argentinier gingen wenige Minuten nach Anstoß in Führung, was die Köpfe bei mir und Pauline definitiv zum hängen brachte, denn sie als auch ich wollte dieses Erlebnis Russland noch eine Weile erleben. Dazu fühlte ich mich hier viel zu wohl.
Und dann passierte es. Der Ball hüpfte ungenau durch die Gegend, Benjamin Pavard stand am rechten Fleck, hielt volle Kanne mit dem Fuß drauf und schoss ihn ins linke obere Eck, sodass nun erneut ein Ausraster im Stadion passierte.
„Wenn sie das noch drehen sind sie Helden, ich schwöre es dir!" quietschte Pauline aufgeregt und ich schoss noch hastig ein paar Bilder.
Wahnsinn, die Atmosphäre, die Anspannung. Es war einfach nur ein legendärer Moment.
Wenig später schoss Kylian noch das 3:2 und rutschte feierlich über den Rasen. Es war aber noch zu viel Zeit übrig um sich sicher zu sein, weshalb ich mich lieber zurück hielt.

Mit einem 4:3 Sieg im Petto war die Stimmung im Flugzeug zurück nach Moskau wirklich unschlagbar. Blaise sang mit Mendy um die Wette, wozu hin und wieder der Rest mit einstimmte und andere klatschten. Dazu gehörten unter anderem auch Pauline und ich. Es machte unheimlich Spaß selbst bei der Landung noch mit ihnen um die Wette zu grölen und zu tanzen, da war es mir sogar egal, dass ich bald auf sämtlichen Social Media Kanälen in diesen kurzen Stories auftauchen würde. Ich hatte den Moment meines Lebens, dachte an nichts und niemanden, nur an diesen legendären Sieg.
Selbst im Bus ging das Ganze noch weiter, nur war diesmal Paul der Stimmungsmacher.
„Leute, Leute, Leute!" rief er laut, sodass alle noch leiser wurden.
„Wir haben einen bestimmten Kerl zu feiern, der heute seinen Mund gehalten hat und nicht einmal in der Kabine mitfeiern wollte", fuhr er lauthals fort und Kanté, der in der Reihe gegenüber von mir saß, vergrub sein Gesicht bereits in den Händen.
„Also, ich stimme an - ihr macht mit...." Paul sah alle erwartungsvoll an und begann lauthals zu singen: „N'Golo Kanté, palala lala, il est petit, il est gentil, il a stoppé Leo Messi!"
Lächelnd lehnte ich mich mit dem Kopf an die Scheibe an und beobachtete den lieben Golo, wie er beschämt vor sich hingrinst, während der gesamte Bus ihn feierte. Hier herrschte eine Stimmung besser als beim Superbowl.

Leider suchte mich trotz all der Feierlichkeiten ein bestimmter Gedanke ständig heim. Die gesamte Zeit über musste ich kein bisschen daran denken, doch umso näher wir dem Lager kamen, desto bewusster wurde mir, dass ich es einfach nur verdrängt hatte.
Dieses Gefühl wurde sogar noch stärker als ich mein Handgepäck gereicht bekam und Paul seinen Arm um meine Schultern legte. Wie kannte man es auch anders von ihm?
„So meine hübsche Jolie, feierst du noch mit uns?" fragte er und küsste mich fünfmal auf die Stirn.
„Nein, sorry, ich werde glaube ich ein wenig spazieren gehen."
„Ach komm schon!" Er war entrüstet, weil er für heute schon einen solch guten Plan für den Abend hatte, nur würde dieser ohne mich stattfinden.
„Pardon, Paul." Mein mildes Lächeln schien ihn zu besänftigen, dann löste er sich von mir und schloss sich der tanzenden Gruppe um Matuidi an. Seufzend zog ich den Griff meines Handgepäcks heraus und sah zu schnellstmöglich auf mein Zimmer zu verschwinden.

Julie ~ A.GriezmannWhere stories live. Discover now