T W E N T Y N I N E

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T W E N T Y N I N E | Hallo

Amalia.

Ignoriere uns nicht.

Wir haben dich vermisst

Bald haben wir auch dein Blut an unseren Händen

Amalia

Mali

Komm zurück


Wärme an meiner Stirn holte mich zurück in die Realität. Meine Augen öffneten sich langsam und sahen direkt hinauf in Harrys bleiches Gesicht.

"Hey.", murmelte er sanft, seine Hand fuhr kontinuierlich über meine Stirn, "es wird alles gut." Aber seine Stimme klang schwach, als würde er sich das selbst einreden wollen. Antworten konnte ich zunächst nicht, zu sehr warf mich sein plötzliches warmherziges Benehmen aus der Bahn. Stehende Villa hin oder her.

"Harry-", ich versuchte mich aufzusetzen, doch er drückte mich zurück ins Gras, in dem ich lag. Wieso lag ich überhaupt? Was war passiert?

"Bleib liegen.", ordnete er mich sanft aber bestimmend an. Ich kniff die Augen zusammen.

"Du machst mir Angst.", gab ich schließlich von mir.

"Nein, du machst mir Angst. Und jetzt bleib bitte liegen, bevor du wieder die Fassung verlierst." Erst jetzt spürte ich seine Hände um meine Handgelenke, die mich festhielten. Mein Blick suchte seinen.

"Du denkst, ich bin verrückt geworden, nicht wahr?", fragte ich fassungslos.

"Das denke ich nicht- Amalia", er unterbrach mich, noch bevor ich etwas sagen konnte, als er merkte, dass ich den Mund öffnete. "Ich gebe zu, ich hab es eine kurze Zeit lang gedacht, aber ich denke nicht mehr, dass du verrückt bist. Weißt du, was ich denke? Dass sie mehr Kontrolle über dich haben als sie sollten. Das denke ich." Er seufzte geschlagen, als er meinen verwirrten Blick sah.

"Was ist passiert?", fragte ich verunsichert.

"Du bist vollkommen ausgetickt und hast versucht da rein zu rennen. Und dabei hast du mir ganz schön eine verpasst, das muss ich dir lassen. Auch wenn ich die Kraft nicht ganz auf dich zurückführen kann, so viel Kraft hast du nämlich nich-"

"Hey!"

Er verdrehte die Augen. "Weißt du, was für den Anfang ganz gut wäre für dich? Nicht immer alles was ich sage, so verdammt persönlich zu nehmen. Dann wären wir direkt auf einer besseren Wellenlänge, was meinst du?" Sein Griff um meine Handgelenke lockerte sich vorsichtig. Er bedachte meine Bewegungen aufmerksam. Natürlich traute er mir nicht.

"Ich traue ihnen nicht. Das kann alles kein blöder Zufall mehr sein.", seufzte er resigniert, als könnte er meine Gedanken hören.

"Was?", harkte ich unglaubwürdig nach. Was hatte er denn die ganze Zeit gedacht, was es war? Ein Spiel? Ein kleiner psychischer Rückfall meinerseits wie verspätete Nachwirkungen ihrer Kontrolle von damals? Ich erzitterte.

"Ich-", hilflos brach ich ab und starrte zu ihm hoch. Langsam holte mich doch die ganze Panik ein, die ich in den letzten Stunden so gut verdrängt hatte. Vielleicht realisierte ich aber auch erst jetzt das Ausmaß. "Oh mein Gott.", ich vergrub das Gesicht in meinen Händen, atmete ein, zwei, drei Mal tief ein und aus, um nicht zu weinen. Ich sollte nach allem was ich durchgestanden hatte, eigentlich über meinen Emotionen stehen.

"Glaubst du nach dem ganzen Dreck wirklich noch an Gott, Amalia?"

"Ist doch vollkommen egal! Ich werde verrückt! Bald muss man mich wegsperren. Scheiße, Harry, ich bin doch jetzt schon eine Gefahr für mich selbst und alle anderen!", atemlos rutschte ich ein wenig weg von ihm, was ihm einen kurzen mitfühlenden Blick entlockte.

"Ich weiß, das macht es nicht besser, aber du wirst nicht verrückt. Sie machen dich verrückt.", versuchte er mich zu beruhigen. Ein lautes, ironisches Lachen entfuhr mir.

"Weißt du was? In beiden Fällen sollten sich alle von mir fernhalten. Und ja, danke Harry, das hat es wirklich nicht besser gemacht. Deine weise Wortwahl sowieso nicht." Ich rückte noch ein Stückchen weiter weg, als er einen Schritt auf mich zu machte.

"Okay. Ich mache das echt ungern, aber okay, wenn es uns weiterbringt.. Es hat sonst auch immer geholfen, also wehe, du beschwerst dich jetzt wieder. Du lässt mir keine andere Wahl.", er schüttelte ergeben den Kopf, bevor er sich bedrohlich vor mir aufbaute. Irritiert sah ich durch zusammengekniffene Augen zu ihm hoch.

"Reiß dich gefälligst zusammen und steh von diesem verfickten, dreckigen Boden auf, wir haben ein verdammtes Mysterium zu lösen und je schneller wir das schaffen, desto schneller ist dieser ganze Mist endlich vorbei! Wenn du denkst, dich jetzt von allem abzuschotten und damit deine völlig abgedrehte Handlungsweise weggeht, liegst du verdammt, ich betone es nochmal, verdammt falsch! Ich lasse mich hier nicht weiter von dir kritisieren neben diesem beschissenen Haus, das mein Leben ruiniert hat, nur weil du deinen verdammten Egoismus nicht zurückschrauben kannst, verstanden? Der einzige Weg, das zu beenden und zu verhindern, dass sich dein Zustand verschlimmert, ist diese beschissenen Kreaturen da drin zu töten, und das kriege ich ohne deine Hilfe leider nicht hin. Also finde dich gefälligst damit ab, dass ich so oder so immer in deiner verdammten Schusslinie enden werde, egal welchen verdammten Weg zu einschlägst! Kapiert?", fauchte er kurz darauf, seine grobe, gefährliche Stimme senkte sich zu einem bedrohlichen Zischen, während er sich so über mich lehnte, dass ich nicht anders konnte als mich vor ihm klein zu machen.

Er wusste, was er tat. Und wow, er war ein verdammt guter Schauspieler. Erst jetzt machte sich die Möglichkeit vor mir auf, dass er diese ganze Wut, die er in sich trug, kontrolliert zu seinem Vorteil nutzte. Und wenn es hieß, sich von anderen abzukapseln.

Er hatte die Kontrolle über mich. Ohne seine Drohungen überhaupt ernst zu meinen.

"Ich habe gesagt, steh von dem verdammten dreckigen Boden auf!", zischte er, und wahrscheinlich zum ersten Mal, seit wir uns damals in der Geisterstadt begegnet waren, hörte ich auf ihn und stand eingeschüchtert in einer schnellen Bewegung auf, bevor ich mir den Dreck von der Hose klopfte.

"Haben wir uns verstanden?", fragte er dann, seine Stimme ein klein wenig sanfter. Ich schluckte und nickte schweigend.

"Wow, ich hätte nicht gedacht, dass du jemals auf mich hören würdest, ohne einen dummen Spruch abzulassen. Vielleicht bist du aber auch noch etwas benommen von der Verrücktheit in deinem Kopf.", stichelte er.

"Ruiniere dir deinen Triumph nicht wieder, sonst stampfe ich ihn dir gleich wieder in Grund und Boden, Harold. Die Genugtuung gönne ich dir nämlich nicht.", knurrte ich, leicht genervt von dem Fakt, dass er dachte, dass er das Sagen über mich hatte. Es erschreckte mich irgendwie, dass es aber doch so zu sein schien. Meine kämpferische Seite hatte seit den Träumen aber nachgelassen, und seit einer Weile schon hatte ich nicht mehr das Bedürfnis, Harry in den Arsch treten zu müssen. Nicht mehr so wie damals, als er allen Ernstes dachte, er sei mir höher gestellt gewesen. Inzwischen war es... irgendwie anders.

"Ach nein?", er schmunzelte.

"Nein. Ich will einfach nur, dass es aufhört, und wenn es heißt, ab und zu mal auf dich hören zu müssen, dann soll es so sein.", brummte ich. Die Genugtuung gönnte ich ihm nun wirklich nicht.

"Ganz wie in alten Zeiten.", murmelte er leise, mehr zu sich selbst als zu mir. Ich musste mir ein kleinstes Lächeln zurückbeißen, als er das sagte.


Relapse (H.S.)Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora