T W E N T Y T H R E E

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T W E N T Y T H R E E | "Mali leg das bitte an deinen Kopf, bitte!" 

Zum vierten Mal seit einigen Minuten schüttelte ich stumm, aber entschlossen den Kopf. Ich wollte das Kühlpack nicht an meine Stirn halten. Ich wollte auch nicht, dass Noah mich mit diesem undefinierbaren Blick betrachtete. Dafür nahm ich auch die Schmerzen in Kauf, die sich in meinem Kopf ausbreiteten, wenn ich ihn schüttelte.

Ja, er kümmerte sich um mich. Ja, er hatte mich direkt ins Bett gebracht und meine Stirn versorgt und mich nicht mehr aus den Augen gelassen. Aber in seinem Blick schwang diese Distanziertheit mit, die er mir noch nie im Laufe unserer gesamten Beziehung geschenkt hatte. 

Ich merkte es ja. Er tat, was nötig war, aber er würde nicht mehr tun. Er hielt sich fern von mir. Er würde mich jetzt nicht küssen, nicht in den Arm nehmen, um mich zu trösten. Er stellte nur sicher, dass ich nicht wieder die Kontrolle über mich verlor. Ich sah es ihm an, er hatte Angst vor mir.

"Amalia, ich sag es nicht noch einmal. Leg dir das Kühlpack an die Stirn.", brummte er ungeduldig, und als ich abermals den Kopf schüttelte, drückte er es mir nicht ganz so sanft wie ich es sonst von ihm gewöhnt war eben selbst an die Beule, die sich gebildet hatte.

Ich hatte eine widerliche Platzwunde an der Stirn, die Noah lange Zeit betrachtet hatte, um abzuwägen, ob ich damit ins Krankenhaus musste. Im Endeffekt war er dafür gewesen, doch ich hatte mich schon direkt am Anfang völlig dagegen gestellt. Ich würde nicht zum Arzt gehen. Ich würde mich nicht behandeln lassen. Ich hatte Schlimmeres durchgestanden, und nichts war es mir wert in eine Anstalt eingewiesen zu werden. Sie würden mich nicht verstehen. Niemand würde das.

Wir schwiegen, nachdem ich mich seiner Behandlung eher unwillig unterworfen hatte. Er sah mich nicht an, sondern starrte stur auf meine Stirn, von der er sich nicht abwenden wollte. Ich hingegen visierte starr die Decke über mir an.

Ich wusste nicht mehr, was ich noch sagen sollte. Es gab nichts, das diese Situation noch zum Guten wandeln würde. Ich konnte nichts tun, das unser altes Verhältnis retten würde.

Denn dieses Verhältnis war vorbei. So lange ich auch versucht hatte, es mir nicht eingestehen zu müssen, es war einfach nichts mehr beim Alten. Inzwischen hatte das selbst Noah eingesehen. Ich hatte mich verändert. Ich war nicht mehr die unbeschwerte Amalia Donovan, die ihre Vergangenheit vergessen hatte. Ich war auch nicht mehr die zukünftige Amalia Arrington, die ein glückliches Eheleben mit dem perfekten Mann an ihrer Seite führen würde.

Ich war stiller geworden, unglücklich. So sehr Noah auch versucht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, es war auch ihm klar geworden. Und die Dinge, die mir jetzt passierten, gehörten zu meinem neuen Ich. Ein Ich, welches meiner alten Persönlichkeit vor sieben Jahren glich, die Persönlichkeit, die Noah nie kennengelernt hatte und auch nie kennenlernen sollte. Für mich war es jedoch alles nur allzu vertraut. So sehr, dass es mich kaum noch beunruhigte, jetzt wo ich eingesehen hatte, dass mein Wunschleben so nicht mehr stattfinden würde.

Dennoch war es niederschmetternd, Noah denken zu lassen, dass all das meine Persönlichkeit war. Dass es an mir lag, ob ich meinen Kopf gegen Schränke schlug oder asthmaähnliche Anfälle erlitt. Ich war nicht psychisch gestört. Ich hatte kein Trauma. Und es tat mehr als nur weh, dass Noah so über mich dachte, wenn ich eigentlich nur versuchte, dieser unmenschlichen Macht zu entkommen, die sich nach und nach mein Leben krallte. Ich hatte ihm nur eine gute Partnerin und beste Freundin sein wollen. Jetzt fiel es ihm schwer, mich überhaupt anzufassen.

Ich schloss die Augen, um die Tränen nicht nach außen gelangen zu lassen, trotzdem stahl sich eine Träne aus meinem Augenwinkel, die meine Schläfe hinab rann und in meinem Haaransatz verschwand. Ich wollte vor ihm nicht mehr weinen. Ich wollte alles loslassen. Ich wollte alles egal sein lassen. Doch das war es nun mal nicht.

Ich begann zu hinterfragen, ob es die Ehe denn wirklich wert war, ob sie überhaupt stattfinden würde. Noch hatte er kein Wort darüber verloren. Sollte er mich aber immer noch wollen, was er vor nur zwei Stunden noch gesagt hatte, konnte ich mir einfach nicht mehr vorstellen, dass es so sein würde, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Es passierte einfach zu viel.

"Amalia, ich denke- Ich finde, es wäre am besten, wenn- Naja.. Du in eine richtige Behandlung gehen würdest. Nicht nur in wöchentliche Sitzungen.", flüsterte Noah nach langem Schweigen. Augenblicklich fuhr ich hoch, was mein Sichtfeld pochen ließ, doch ich ließ mich nicht beirren.

"Kannst du sowas von vergessen, Noah. Die lassen mich da nie wieder raus.", knurrte ich aufgebracht.

"Natürlich lassen sie dich wieder raus. Auch wenn es eine Weile dauern sollte, Hauptsache, dir geht es dann wieder gut. Das wäre es doch wert.", erklärte er viel zu sanft, noch immer mit diesem distanzierten Blick. Als wäre ich krank. Als müsste er eine psychisch labile Person schonend zur Psychiatrie überreden.

Es traf mich heftig zu realisieren, dass er genau das über mich dachte. "Vergiss es!", fauchte ich unkontrolliert, "ich gehe nicht in die Klapse!"

"Sag das nicht. Das ist ein guter Ort mit Menschen, die sich mit sowas auskennen. Die können dir helfen, damit es dir schnell besser geht.", erklärte er beruhigend.

"Noah-"

"Nein. Ich weiß, was du sagen willst. Ich will dich nicht loswerden, okay? Ich will, dass es dir besser geht. Weil ich dich liebe, und weil ich dich will und immer noch mein Leben mit dir verbringen will. Aber dein- Zustand macht es einfach etwas kompliziert. Ich will nicht, dass das unsere Beziehung ruiniert. Bitte.", unterbrach er mich.

Aber seine Worte ließen mich verstummen. Das war es doch. Genau das war es, was alles ruinierte. Mein Zustand. Nur konnte man mich nicht aus diesem Zustand retten, jedenfalls nicht so, wie Noah erhoffte. Da gab es nichts zu retten. All das war ein Teil von mir. Meine Vergangenheit, aber auch meine Gegenwart. Mein neues altes Ich. 

Wieder schüttelte ich den Kopf, langsam. "Nein, Noah. Ich gehe nicht in die Anstalt. Sie wird mir nicht helfen.", erklärte ich ruhig.

"Gott verdammt, Amalia. Wieso bist du nur so verdammt stur?", fluchte er, langsam wieder genervt und um einiges frustrierter als vorher.

"Weil du das Gesamtbild nicht verstehst! Du kannst es gar nicht verstehen, egal wie viel und genau ich es dir erzähle! Wie oft soll ich das denn noch andeuten? Die ganze Scheiße ist viel größer als du dir vorstellen kannst!", entfuhr es mir in lauter Stimme, als er wieder mit meiner Störrigkeit begann. Ich hasste es, wenn er das an mir kritisierte. Ich hatte meine Gründe.

"Ach ja, ich vergaß. Der einzige, der das kann, ist Harry.", verabscheuend verdrehte er die Augen. Schnaubend verschränkte ich bei seinen Worten die Arme vor der Brust.

"Anstatt mich hier die ganze Zeit zu kritisieren und blöd über Harry zu reden, könntest du mich auch mal in Ruhe nach einer Lösung suchen lassen. Mich so unter Druck zu setzen, bringt niemandem was.", motzte ich.

"Ich weiß, Amalia, und du solltest am besten wissen, dass ich es immer und immer wieder versuche. Nur kann ich im Endeffekt so viel geben wie mir möglich ist und es ist dir immer noch nicht genug. Lieber gehst du zu ihm. Und eigentlich finde ich das ziemlich unfair, denn ich bin derjenige, der immer für dich da ist und immer alles daran setzt zu verstehen, was du durch machst. Wie sehr soll ich dir noch zeigen, dass ich das so möchte?!", donnerte er aufgebracht.

"Aber ich möchte es nicht so! Verdammt, Noah. Du bist viel zu gut, okay? Du hast es nicht verdient das durchzumachen, wodurch ich Harry gerade schicke. Und es fällt mir um einiges leichter ihn da in diese Scheiße hineinzureiten als dich."

Oder weil es mir um einiges leichter fällt dich zu verletzen als dich zu verlieren, erklang eine leise Stimme tief in mir, welche mir viel zu ehrlich für meinen Geschmack in mein Bewusstsein flüsterte.

Relapse (H.S.)Where stories live. Discover now