S I X

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S I X | Eine Hand schlang sich um meinen Unterarm und setzte meiner Flucht mit einem groben Ruck ein jähes Ende, dann wurde ich unsanft wieder herumgedreht. 

"Lass uns jetzt diesen Kaffee trinken gehen.", knurrte er, seine dunklen Augen funkelten vor Wut.

"Was ist falsch mit dir?! Reiß dich mal zusammen und bekomm' deine Probleme in den Griff, du benimmst dich wie ein gruseliger Psychopath! Wir sind hier in der Zivilisation.", fauchte ich, merkte, wie uns schon einige Fußgänger beobachteten, unruhig wurden.

"Wir sind hier noch nicht fertig. Also gehen wir jetzt in dieses Café und reden, verstanden?" Seine Stimme war rau und tief, während er mit mir sprach, und die Panik stieg langsam in mir auf. Was war nur aus diesem Jungen geworden? Er war nie sonderlich großherzig und gefühlvoll gewesen, doch das, was er jetzt abzog, war ein neues Level an krank.

Ich nickte schweigend, und plötzlich, ohne dass ich es erwartete, setzte er seinen Weg in die Richtung, in die wir gelaufen waren, fort. Völlig verwirrt und mit gesenktem Kopf trottete ich ihm widerwillig nach, bis wir nach nur weiteren drei Minuten endlich vor besagtem Café am Parkrand standen.

"Ist es das?", fragte er kühl und ich nickte schwach, also öffnete er die Tür und hielt sie mir auf. Misstrauisch musterte ich ihn. Was war los mit diesem Mann?

"Na los jetzt, rein da.", brummte er Augen verdrehend, schien aber ansonsten wieder ruhig geworden zu sein, also lief ich seufzend an ihm vorbei in das kleine, im Vintagestil eingerichtete Café, wo ich mich an einen kleinen, abgelegenen Tisch in der hinteren Ecke setzte, der zum Glück frei war. Kurz darauf saß er mir auch schon gegenüber.

"Was hast du geträumt?", fragte er dann wie aus dem Nichts und stützte sich mit den Unterarmen auf der Tischkante ab.

"Ich dachte, ich sei 'verrückt'?", entgegnete ich trotzig.

"Verdammt nochmal, Amalia!", rief er flüsternd, "ernsthaft jetzt. Erzähl es mir!" So leise und doch so befehlerisch, ein Ton, der mich dazu brachte, nicht einmal an Widerworte zu denken.

"Es klingt total bescheuert. Einfach nur wie ein bescheuerter Albtraum und nichts weiter, aber das is-"

"Schieß' doch endlich los.", knurrte er genervt und ich verstummte seufzend, sammelte die Worte in meinem Kopf.

"Sie sagten, ich sei immer noch die Nächste. Und diese Schmerzen hab ich auch in der Realität noch gespürt. Es war- es klingt, wie ein Albtraum, aber es war- anders, okay? Es war beängstigend und hat mich tagelang verfolgt. Selbst Noah hat gemerkt, dass etwas anders ist, aber-"

"Weiß er davon?", unterbrach er mich zum gefühlt hundertsten Mal heute, was mich genervt die Augen verdrehen ließ.

"Verdammt nochmal, Harry, lass mich doch ausreden! Und nein, weiß er nicht. Denkst du echt, er würde mich dann noch wollen? Die geistig gestörte, halluzinierende Amalia Donovan, die ins Irrenhaus gehört? Ich denke wohl nicht.", fluchte ich leise, "ich-"

"Was möchten Sie bestellen?"

Harry und ich, die inzwischen beide über den Tisch gelehnt da saßen, fuhren augenblicklich auseinander und blickten etwas erschrocken zu der Kellnerin, die direkt an unserem Tisch stand und uns verwirrt anstarrte. Kein Wunder, wir benahmen uns auch echt bescheuert.

"Einen Latte Macchiato mit Kokosgeschmack bitte.", antwortete ich dann etwas neben der Spur.

"Ich, uhm.. Nehme dasselbe.", ertönte Harrys tiefe Stimme kurz darauf. Die Kellnerin nickte freundlich und setzte dann wieder ihr professionelles Lächeln auf.

"Zwei Mal Latte Macchiato mit Kokosgeschmack. Kommt sofort." Dann verschwand sie wieder quer durch den großen Raum hinter der Theke. Erst, als ich sie nicht mehr sehen konnte, traute ich mich wieder zu Harry zu gucken, der sich inzwischen im Stuhl zurückgelehnt hatte und mich nachdenklich musterte.

Relapse (H.S.)Kde žijí příběhy. Začni objevovat