T W E N T Y T W O

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T W E N T Y T W O | Das Schweigen zwischen Noah und mir war erdrückend. Keiner von uns sagte ein Wort. Ich hatte mich bei ihm noch nie so fremd gefühlt wie in diesem Moment, denn während ich aus reiner Angst, etwas Falsches zu tun, schwieg, war er in Gedanken versunken und versuchte in der Stille aus der ganzen Situation schlau zu werden.

Vielleicht überlegte er, ob ich es noch wert war. Vielleicht wägte er ab, wie viele Geheimnisse in einer Beziehung denn noch okay wären und wo die Grenze lag. Vielleicht überlegte er sich den besten Weg, um die Verlobung abzusagen oder sogar Schluss zu machen. Dieser Gedanke löste aber eine unglaubliche Panik in mir aus. Ich wollte ihn nicht verlieren. Erst recht nicht jetzt. Ich brauchte ihn.

"Noah, ich-"

"Ich weiß. Es tut mir leid, Mali. Ich hätte dich nicht so unter Druck setzen dürfen. Es ist ein sensibles Thema für dich, und wenn ich dich so anschreie, fällt es dir ja auch nicht wirklich leichter.", er blickte ins Leere, vollkommen in Gedanken versunken, "Es ist nur so verletzend. Da ist so vieles, das ich nicht weiß und das ich vielleicht nie erfahren werde, egal wie lange wir zusammen sind, weil es so traumatisch für dich ist. Und dann ist da dieser eine Typ, der all das weiß, was ich so gerne wissen wollen würde. Aber dich dazu zwingen kann ich ja auch nicht, das würde nie gut enden. Das hab ich heute schon gesehen. Und ich will dich nicht verlieren, Mali. Ich liebe dich nämlich viel zu sehr, um dich einfach loslassen zu können. Ich will mein Leben mit dir verbringen, Trauma hin oder her."

Mein Herz brach ein wenig, als er das sagte. Ein Gefühl der Trauer ergriff mich. Denn ich log. Ich bewahrte Lügen für mich auf, von denen er wusste, und obwohl ich niemals ehrlich sein werden könnte, war er noch immer so liebevoll, so typisch Noah. Noah, der zwar mit sich kämpfte, dessen dunkle Seite hin und wieder zum Vorschein kam, doch es siegte immer der Noah, den ich liebte. Der gutherzige, verständnisvolle Noah, den ich mit keinem Atemzug, den ich nahm, verdient hatte. Noah, der sich immer wieder für mich entschied, trotz all den Problemen, die ich machte. Noah, der all seinen Verstand beiseite schob für mich, und es machte mich so traurig. Denn irgendwie nutzte ich es viel zu sehr aus.

Tränen stiegen mir in die Augen, als ich mich in seine Arme warf und ihn fest drückte, mit schmerzendem Herzen. "Ich liebe dich, Noah. So, so sehr. Und du glaubst mir nicht, wie leid es mir tut. Ich würde es dir so gerne erzählen, aber- ich kann einfach n-"

"Shht.", murmelte er sanft und unterbrach mich somit, während er einen Zeigefinger auf meine Lippen legte. Er legte federleicht seine Stirn an meine, um mir tief in die Augen zu sehen. "Ich hätte dich einfach nicht so erdrücken dürfen damit. Es ist schon okay, es ist nicht deine Schuld." Liebevoll drückte er mich an sich, bevor er mir einen Kuss auf die Lippen drückte.

Ich seufzte erleichtert, doch spürte noch immer das Gewicht auf meinem Herzen, das mich herunterzog, meine Glieder schwer anfühlen ließ. "Du bist viel zu gut zu mir.", flüsterte ich. Denn es stimmte. Ich hatte all sein Verständnis nicht verdient nach all den Streitereien, die wir wegen diesem Thema schon hatten.

"Sag das nicht. Du weißt, ich bin immer für dich da, das habe ich dir schon oft genug gesagt. Auch, wenn es mal schwer ist.", erwiderte er mit warmer Stimme. Sein ruhiger Atem streifte meine Haare und ich kuschelte mich direkt etwas dichter an ihn.

"Du bist ein wirklich toller Mensch, weißt du das?", fragte ich leise. Im Gegensatz zu dir. Augenblicklich wanderten meine Gedanken zu Harry, die ich bis jetzt versucht hatte zu verdrängen. Die Enttäuschung, die ich ihm hatte ansehen können, so sehr er sie auch versteckt hatte, so normal seine Stimme beim Reden auch geklungen hatte. Zwar konnte ich mir bei ihm nicht sicher sein, aber er hatte verletzt ausgesehen, für einen kurzen Moment. Etwas, das ich so an ihm noch nicht gesehen hatte. Und es traf mich, fest in meiner linken Brusthälfte, dieser Gedanke, dass ich den sonst so gefühllosen Harry eine Emotion entlockt hatte. Seine Worte hallten noch immer in meinem Kopf wider, durchgängig.

Relapse (H.S.)Where stories live. Discover now