S I X T E E N

33 10 2
                                    

S I X T E E N | "Sicher, dass wir Cassie nicht hätten mitnehmen sollen?", fragte Noah zweifelnd, während er in eine weitere Seitenstraße in Manchester einbog. Leider wohnte Chris am anderen Ende Manchesters und dann auch noch am Stadtrand, weswegen wir ausnahmsweise mal mit Noahs kleinem, rostigen VW Golf fuhren.

"Nein, schon okay. Ich hab sie mehrmals gefragt, sie wollte selbst nachkommen. So stur wie immer, typisch Cas.", ich seufzte und lehnte mich tiefer im Beifahrersitz zurück. Aus dem kleinen Einbauradio dröhnten die leisen Klänge von 'Sweet Home Alabama' zu mir vor.

"Sicher, dass sie Chris' Wohnung findet?", fragte Noah wieder. Er machte sich echt immer zu viele Sorgen, über alles und jeden. Er war so süß, dass es fast schon nervig wurde. Ich grinste bei dem Gedanken.

"Noah, sie hat einen besseren Orientierungssinn als du und ich zusammen. Sie findet es schon, und die Bahnverbindungen sind jetzt auch nicht sooo schlecht.", kicherte ich, was ihn schließlich doch zum Lächeln brachte.

"Immer so entspannt.", erwiderte er. Lachend legte ich den Kopf zurück. Er hatte recht. Und selbst die Träume waren in den letzten Tagen nicht wieder aufgetreten. Ich fühlte mich sogar echt ausgeruht. Fast war es vergessen, all das, was mir passiert war. Aber nur fast.

Nur die Therapie hatte mich an all das erinnert. Und obwohl ich versuchte so kooperativ zu sein wie nur möglich, war all das auch nicht sonderlich einfach. Immerhin gab es keine Gefühlstherapie, zu mindest keine, von der ich wusste. Und meine Therapie war darauf ausgelegt, mich meiner Vergangenheit zu stellen, was unmöglich war, da wir mit Entführungen arbeiteten.

Ich atmete tief, aber stumm aus und drehte meinen Kopf zur Seite, um Noahs Seitenprofil zu mustern. Eine Welle von Glücksgefühlen durchströmte meinen Körper, als ich realisierte, dass ein kleines Lächeln auf seinen dünnen Lippen lag. Meine Augen wanderten hoch, über seine runde, kleine Nase, die ich so liebte bis hin zu seinen im Laternenlicht funkelnden Augen, die er konzentriert auf die Straße gerichtet hatte. Seine leicht geröteten Wangen waren kaum zu erkennen, während sein Pony verwuschelt und voluminös in seine Stirn hing. Ein wahres Kunstwerk war er, einfach wunderschön in meinen Augen. Und obwohl ich diesen Anblick jedes Mal schätzte, wenn ich ihn ansah, fühlte ich mich, als schätzte ich ihn noch immer zu wenig.

"Ich liebe dich.", flüsterte ich sanft, was ihn zum lächeln brachte. "Ich liebe dich auch, Mali.", erwiderte er und blickte kurz zu mir rüber. Am liebsten würde ich mich auf ihn werfen, gleich hier, und ihn küssen, doch ich hielt mich zurück und deutete mit dem Kopf lieber Richtung Straße, damit wir auch sicher ankommen würden.

Er lachte leicht, folgte aber meiner Aufforderung und sah wieder nach vorne. "Weißt du, etwas mehr Vertrauen in meine Fahrkünste solltest du schon haben.", grinste er.

"Was bringt mir vertrauen in dich, wenn ein Verrückter auf den Straßen unterwegs ist? Es muss ja nicht mal deine Schuld sein, aber verlieren will ich dich trotzdem nicht." Wieder grinste er und schüttelte den Kopf.

"Hab ich dir schon mal gesagt, wie toll du bist?", lächelte er.

"Immer wieder. Aber keine Sorge, ich find's schön. Also hör bloß nicht auf damit.", kicherte ich.

"Immer wieder diese Narzissten.", witzelte er, und ich lachte, setzte mich wieder etwas aufrechter hin, um aus der Windschutzscheibe zu blicken. "Selbstliebe muss gelernt sein.", entgegnete ich lachend.

Ich erkannte die Gegend. Bald würden wir da sein. Zufrieden seufzte ich. Schon lange war ich abends nicht mehr weg gewesen, nicht so. Dabei sollte man in meinem Alter hin und wieder mal feiern gehen, solange man noch konnte. Aber umso mehr freute ich mich auf den Abend.

Relapse (H.S.)Where stories live. Discover now