T W E N T Y S E V E N

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T W E N T Y S E V E N | Ich wartete lange auf Harry. Definitiv länger als ein paar Minuten, was ich zuerst auch nicht als verdächtig empfand, aber nach fast einer ganzen Stunden später zog ich ungeduldig meine Augenbrauen zusammen. Irgendwas stimmte hier nicht.

Langsam erhob ich mich von der eingesackten Couch, die den Abdruck meines Hinterteils prominent beibehielt, bevor ich mit zögerlichen Schritten auf die Tür zuschritt, in der Harry verschwunden war. Unsicher legte ich meine Hand an den Türknauf und drehte ihn leise, bevor die Tür quietschend aufsprang und mir den Blick in ein kleines, niedergekommenes Schlafzimmer freigab.

Harry, welcher auf dem Boden saß, regte sich kein bisschen, als ich eintrat. Sein Rücken war mir zugedreht, den Kopf ließ er hängen, während er vor seinem kleinen Einzelbett an der Wand auf dem Boden saß, neben ihm eine kleine Reisetasche, nicht sehr viel anders als meine.

"Harry?", fragte ich zögernd und streckte eine Hand nach ihm aus. Vorsichtig berührte ich seine bebende Schulter. Weinte er etwa? Das wäre ein ziemlich unüblicher Anblick. Bis jetzt hatte ich ihn nur ein Mal so gesehen, und das war nicht in Manchester gewesen.

Mitfühlend ging ich neben ihm in die Knie und strich seinen Rücken hinunter. "Harry.", wiederholte ich sanft. Das erste Schniefen entfuhr ihm, als er mit Tränen gefüllten Augen zu mir herüber sah, die Augen dunkelgrün, nicht bedrohlich. Traurig.

Kurzerhand wischte er sich über die Augen und drehte sich wieder seiner Kleidung zu, und somit war der kurze Moment vorbei. "Ich sagte doch, ich bin gleich wieder da. Du solltest warten.", brummte er. Aus seiner Stimme war kaum noch herauszuhören, dass er geweint hatte. Den einzigen Beweis lieferten seine feuchten Wangen.

"Ich hab knapp eine ganze Stunde gewartet, Harry. Ich hab mir Sorgen gemacht.", bedachte ich ihn leise. Kurz hielt er in seiner Bewegung inne, als wäre er überrascht über meine Aussage, doch er riss sich schnell wieder zusammen und packte weiter.

"Ich hatte wohl doch mehr zu packen als ich dachte.", erwiderte er emotionslos. Ein stummer Seufzer entfuhr mir. Mit einem kurzen Blick auf seine kleine Tasche stand ich auf. Uns war beiden klar, dass seine Erklärung nicht stimmte, aber Harry zu etwas zu drängen war genauso hoffnungslos wie einem Strauß das Fliegen beizubringen. Ich drehte mich wieder zur Tür.

"Ich warte dr-"

Mit einer schwungvollen Bewegung wurde ich am Arm wieder zu Harry gedreht, mehr als überrascht, als sich seine muskulösen Arme um meinen Körper schlangen und mich an sich drückten. Überfordert legte ich meine Hände wieder an seinen Rücken und strich ihn beruhigend auf und ab. "Schon okay, Harry. Bald wird alles wieder gut.", murmelte ich aufmunternd.

Er antwortete nicht, löste sich auch nicht. Stattdessen zogen seine Arme mich noch dichter in diese enge Umarmung, die mir langsam unheimlich wurde. Harry würde doch nie so sehr diese Art von Emotionen zeigen, oder doch?

"Harry...", begann ich leise, doch sein Griff wurde noch stärker, langsam schmerzhaft um meine Rippengegend werdend. "Harry.", entfuhr es mir wieder, ausdrucksvoller, "lass los."

"Wieso sollte ich?", erklang seine Stimme, tief und rau. Tiefer als sonst. Von allen Seiten prasselte sie auf mich ein, strahlte pure Gefahr aus. Die Panik ergriff mich, während seine Arme nun mit einer Gewalt zudrückten, die ich nur von einer einzigen Erfahrung kannte. Sie.

"Harry, lass mich los! Bitte.", wimmerte ich, mein Atem wurde knapp, meine Lungen von der Luft abgeschnürt, während der Druck um mich herum immer und immer weiter zunahm. Stechende Schmerzen zogen durch meinen gesamten Körper, als das erste Knacksen ertönte, dicht gefolgt von einem zweiten. 

"Harry!", mein Schrei war nur ein atemloses Hauchen, als sich die Splitter meiner gebrochenen Rippen durch meine Haut und Lungen drückten. Mit einem Mal ließen meine Beine nach, und ich hing nur noch in dieser erdrückenden Umarmung fest, mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ohne einen Hauch Luft einzuatmen.

Relapse (H.S.)Where stories live. Discover now