Kapitel 40 - Abbruch

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Ich dachte immer, an solchen Momenten wie diesem, blieb die Zeit stehen. Ich dachte, es wäre, als würde man bei einem Mp3-Player auf die Stopptaste drücken oder einen Film kurz anhalten, um auf die Toilette zu gehen. Aber so war es nicht.

Alles um mich herum bewegte sich weiter, es drehte sich und flog an mir vorbei, als wäre ich kein Teil dieser Welt. Nur ich war erstarrt, unfähig mich zu bewegen. Doch in meinem Kopf tat sich etwas. Meine Gedanken schlugen Purzelbäume, ich wusste nicht, was ich zuerst denken sollte und erst recht nicht, was ich sagen oder tun sollte.

Es war einfach unmöglich. Diese Frau. Diese Frau, die gerade vor mir lag, mich genauso verwirrt ansah, wie ich sie wahrscheinlich begutachtete, konnte unmöglich meine Mutter sein. Doch es gab keine Zweifel.

Ihre schwere Kopfverletzung und die Verbrennungen in ihrem Gesicht sind bereits wieder so heil, dass ich ohne Zweifel das Gesicht erkennen konnte, das ich überall unter tausenden Gesichtern erkennen würde. Nicht einmal ihre orangeroten, kurz geschnittenen Haare gaben mir Grund genug, daran zu zweifeln

Es war die Frau aus Ms. Lowburghs Zauberspiegel.

Es war Evelyn.

Nein.

Es war meine Mutter.

-

Ich wusste nicht, wie ich hierhergekommen war, oder wie ich es geschafft hatte, so schnell zu laufen. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wie oder wann ich mich aus meiner Schockstarre gelöst hatte. Aber ich konnte mich daran erinnern, dass ich so schwungvoll aus dem Abteil gerannt bin, dass ein paar Eulen entsetzt aufgekreischt und im Sturzflug auf die Patientin zugerast sind.

„Was...", weiter kam Mona nicht, als sie ihre kreisrunde Tür öffnete und verwirrt auf die Seite sprang, als ich in ihr Zimmer gestolpert kam.

„War die Geschichtsprüfung tatsächlich so schlecht?", fragte sie und stieß die Tür wieder zu. Doch ich war zu unfähig, um zu antworten. Ich ließ mich auf ihr Bett plumpsen und lehnte meinen Kopf an der Wand an.

„Alice?", fragte Mona und lief ein paar Schritte auf mich zu. „Was ist passiert?"

Ich schüttelte nur kurz den Kopf und schloss meine Augen, versuchte kurz herunterzukommen. Doch mein Herz schlug wie wild und es kam ganz sicher nicht davon, dass ich in einem Mordstempo hierher gerannt bin. Ich spürte, wie die weiche Matratze ein wenig nachgab, als sich Mona neben mich setzte und mir eine Hand auf den Unterarm legte. Sie sah mich besorgt an. Das wusste ich schon, bevor ich die Augen öffnete.

„Meine Mutter", stieß ich hervor und schluckte, als ich es ausgesprochen hatte. Das hier war echt. Das hier war real. Das war kein Traum, das war keine Illusion. Ich hatte meine Mutter gesehen.

Und bin weggerannt.

Monas Blick war unbeschreiblich. Sie öffnete ihren Mund, schloss ihn dann wieder, während sich ihre Augen weiteten und mich entsetzt anstarrten.

„Was?", fragte sie, als hätte sie nicht richtig verstanden. „Was ist mit deiner Mutter?"

„Sie ist hier", sagte ich und versuchte dabei, meine Gefühle zu ordnen.

„Nein", sagte Mona entschlossen und stemmte die Hände in die Hüfte. „Warum sollte sie denn..."

Dann hielt sie inne und sah mich prüfend an. „Warte. Du meinst das tatsächlich ernst", stellte sie fest, als ich reglos neben ihr saß und eine ihrer Locken beobachtete, die auf und ab sprangen, während sie euphorische Gesten und Bewegungen ausführte.

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