Kapitel 25 - Die Klippe

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Ich hatte keinerlei Motivation, aus dem Bett zu steigen. Meine Gabe hatte in letzter Zeit zusammen mit meinen Emotionen verrücktgespielt. Zwar hatte ich sie mittlerweile ein wenig besser unter Kontrolle und sie schnürte mir nun nicht mehr die Luft ab. Aber irgendwie war es schon komisch, wenn sie auf einmal auftauchte und das Wasser um mich herum verrücktspielte, wenn ich an die Ereignisse der letzten Tage dachte. Heute stand neben Kontrolle auch noch Formation auf meinem Stundenplan. Und ich musste ständig an die Worte von Ms. Lowburgh denken.

Ihre Gabe ist mächtiger als die der meisten hier. Es ist ziemlich selten, dass Schüler nach so wenigen Unterrichtsstunden schon so gut sind. Es bedeutet, dass Sie ihre Gabe zwar besser beherrschen können, dass Sie Größeres erreichen können, aber es bedeutet auch, dass Ihre Gabe gefährlich ist. Es ist gefährlich für Sie und für jeden anderen hier an der Schule.

Dass ich eine ziemlich krasse Gabe hatte, das hätte mir schon bereits in meiner ersten Formationsstunde auffallen sollen. Während Helena, die absolute Streberin, es nur geschafft hatte, ein paar Tropfen Wasser in die Luft zu befördern, war meine Kugel ziemlich stattlich und hatte eine schöne Form. Aber wie sollte ich jemals eine Gefahr werden? Oder hatte Ms. Lowburgh Angst, dass ich jemals in die Fußsspuren meiner Mutter treten würde, nun da ich wusste, was damals passiert ist?

Ich hatte keine Ahnung. Aber mir blieb sowieso nichts anderes übrig. Ich quälte mich aus dem weichen Bett und auch der schöne Ausblick in den Garten der Wasserstadt besserte meine Laune nicht. Denn ich hatte freie Sicht auf das Schwimmbecken, das mich Tag für Tag daran erinnerte, dass ich noch immer ein miserabler Schwimmer war.

Also war meine Laune absolut im Keller. Und sie besserte sich auch nicht, als ich Cassey am Tisch meiner Freunde sitzen sah. Mona und sie hatten in der letzten Zeit so wenig gemeinsam unternommen, dass ich schon zu hoffen gewagt hatte, dass ich sie nie wieder sehen müsste. Aber immer, wenn man dachte, das Biest sei weg, tauchte es wieder auf.

Sie musterte mich als wäre ich ein billiges Kleidungsstück und sie würde gerade überlegen, ob es sich wohl rentieren würde, es für ihre Katze zu kaufen. Ich war diesen herablassenden Blick mehr als gewohnt – nicht nur von ihr. Und deswegen ignorierte ich sie und setzte mich neben Emmet. Er schenkte mir ein breites Lächeln, das so gar nicht zu meiner Laune passte und bot mir eine eigenartige, geschälte Frucht an.

„Alice"

Sie war nicht nur eine Schlange, sie sprach sogar wie eine. Leise, zischend und hinterhältig.

Ich wandte mich Cassey zu, die mich mit ihren himmelblauen Augen und ihrer vollgekleisterten Facette mit einem falschen Lächeln ansah.

Ich machte mir nicht die Mühe zu fragen, was sie von mir wollte. Ich zog nur ungeduldig eine Augenbraue in die Höhe und glotzte genauso zurück, wie sie mich ansah.

„Sag mal, der Kerl, mit dem du gestern geredet hast...", ihre Stimme war so künstlich und süß wie ein Wackelpuddig. „Wer war das?"

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich rede innerhalb von 24 Stunden mit mehr als einem Kerl", antwortete ich und äffte beim letzten Wort ihre hässliche, hohe Stimme nach. „Also musst du deine Frage wohl etwas präzisieren"

Sie lachte kurz und hysterisch, als wäre es ihr peinlich.

„Naja der Hübsche aus dem dritten Jahrgang", säuselte sie.

Ich hätte mich fast übergeben.

Cassey und Anthony? Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Cassey auf jemanden wie Anthony stehen würde. Anthony war...naja. Er war nicht uncool, er war nicht hässlich. Aber niemals...ach keine Ahnung. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Und vor allem wusste ich nicht, was ich davon halten sollte, dass Cassey etwas von Anthony wollte. Nicht, dass ich besonderes Interesse an ihm gehabt hätte. Aber es gefiel mir, wie er uns Erstklässler behandelte, wie er sich um uns kümmerte und vor allem gefiel mir, dass ich Kontakt zu jemanden hatte, der für Cassey erst einmal unerreichbar blieb.

„Tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, wen du meinst", sagte ich und erlaubte mir ein kleines Grinsen, als ich mich zurücklehnte, um mich wieder um mein Frühstück zu kümmern. Von Cassey hörte ich nur ein Schnauben, das ich geflissentlich ignorierte.

-

„Wenn ihr besonders von einer Emotion ergriffen seid, dann wird sich eure Gabe sofort bemerkbar machen", sagte Mr. Burton.

„Gerade wenn ihr wütend seid, wenn ihr traurig oder richtig fröhlich seid, dann ist es am Schwersten, die Gabe unter Kontrolle zu bekommen. Dann macht sie gern, was sie möchte, ignoriert euren Willen und manchmal werdet ihr so hilflos eurer Gabe ausgeliefert sein, dass es sich so anfühlt, als hättet ihr nie Unterricht in Kontrolle gehabt. Deswegen ist es von extremer Wichtigkeit, dass ihr euch beruhigt. Verstanden?", fragte er eindringlich und schaute in die Runde.

Ich nickte zwar, aber meine Gedanken schweiften ab. Ich dachte an Cassey und an Anthony. Ich dachte aus irgendeinem Grund auch an Jayden. An Mona und an Emmet. Ich dachte an Ms. Lowburgh, an meine Eltern. Und an Tracy. Wie würde es weitergehen? Ms. Lowburgh erwartete scheinbar von mir, dass ich meine Vergangenheit einfach so hinnehmen würde, dass ich einfach weitermachen würde, als wäre nichts passiert. Aber konnte ich das? Konnte ich einfach hier tatenlos rumsitzen, während ich doch wusste, wer meine Eltern waren? Eigentlich hatte ich gedacht, meine Fragen wären endlich beantwortet. Aber da sind immer noch so viele. Wo sind meine Eltern? Leben sie noch? Wissen sie, dass es mich noch gibt? Dass ich gerade in der SoE sitze und gelehrt bekomme, wie ich meine Gabe unter Kontrolle bekomme?

Aber was soll ich denn machen? Gehen und sie suchen? Ich wusste nicht, wo sie waren. Ich wusste nicht einmal, wo ich mich befand. Wo war diese Insel? Ich war mitten im Irgendwo.

„Alice?", frage Mr. Burton. „Sind Sie noch anwesend?"

Ich schluckte. Ich hatte kein Stück aufgepasst.

„Entschuldigen Sie, Mr. Burton", ich versuchte es mit meinem besten zerknirschten Gesicht. „Ich fühle mich nur nicht so gut. Darf ich kurz nach draußen an die frische Luft?"

Mr. Burtons Blick wurde weicher und er nickte angestrengt. „Natürlich, Alice. Natürlich. Gehen Sie ruhig. Möchten Sie begleitet werden?"

„Geht schon, danke", murmelte ich auf dem Weg nach draußen.

Ich verließ die Schule über den erstbesten Weg. Es war ein kleines Gässchen. Es war schmal und kaum beleuchtet. Es führte mich aus dem Gebäude in einen winzigen Garten. Er war nicht so schön wie die anderen Gärten, die ich bisher hier bewundern hatte dürfen. Aber ich hatte bei weitem auch noch nicht alles gesehen. Jedes Mal wurde ich zu einer anderen Stelle geschickt, als ob die Schule lebendig wäre. Ich folge einem kleinen Pfad, der durch einen lichten Wald führte. Er war fast märchenhaft. Bunte Blumen und wunderschöne Bäume und Büsche säumten den Weg, der sich mehrfach verzweigte und langsam von der Schule wegführte. Genau das hatte ich gerade gebraucht. Ein wenig Ruhe. Zum Nachdenken.

Doch plötzlich brach der Weg ab und ich stand an einer Klippe, das offene Meer direkt vor mir.

Und was ich dort sah, machte mich sprachlos.

***

Hey.

Ja. Ja, ihr seht richtig. Ich habe ein neues Kapitel für euch. Es ist zwar nicht besonders viel passiert, aber ich hoffe trotzdem, dass es euch gefällt. Die Überarbeitungen sind so ziemlich abgeschlossen - ich bin leider so unzufrieden wie nie zuvor. Aber so läuft es eben. Jetzt gibt es erst einmal wieder neue Kapitel für euch. Ob jede Woche eins kommt kann ich nicht versprechen. Aber ich hoffe natürlich schon. Und genauso hoffe ich, dass ich durch die lange Inaktivität nicht meine aktivsten Leser verloren habe. Das wäre nämlich jammerschade.

Einen schönen Donnerstagabend wünsche ich euch noch :D

PS: Dieses Kapitel ist an meine Schwester @kathiliestgern gewidmet. Sie wird morgen geniale 18 Jahre alt - los, alle schön gratulieren gehen ;D. Seh das hier als vorträgliches Geburtstagsgeschenk, Schwesterherz. Du hast dich doch so auf neue Kapitel gefreut. <3

- newmoonanna

School of ElementsWhere stories live. Discover now