Kapitel 30 - Fremde Schreie

3.4K 255 30
                                    


Ich konnte den Blick nicht abwenden. Ich musste hinsehen. Es ging nicht anders.

Meine zitternde Hand griff neben mich, ertastete Emmets Shirt und riss an seiner Kleidung, unfähig, den Blick von der Gestalt über uns zu lösen.

„Alice, was...", ich hörte Emmets verwirrte Stimme, die langsam verstummte, als er den Körper auch sah. „Was zur Hölle...?", rief er, sprach niemanden genau an. Endlich schenkte ich der Figur über uns keine Aufmerksamkeit mehr und mein Blick glitt zu Emmet, der schockiert aussah, sein Gesicht war blass. Soweit das bei seinem dunklen Teint jedenfalls ging.

„Oh wow, Emmet", sagte Mona begeistert, als sie zu uns kletterte und sich in der Glaskugel umsah. „Wie cool ist das denn? Man ist dem Himmel so nah..."

Ihre Stimme versagte, als sie uns sah, als sie mir ins Gesicht sah, meine Mine musste Bände sprechen. Sie hörte auf zu reden, als sie Emmets Blick nach oben folgte und dann erschrocken eine Hand vor den Mund legte.

Jayden sagte gar nichts, als er den Schrecken erblickte. Er schloss lediglich leise die Falltür hinter sich und stemmte die Hände in die Hüfte, als er nach oben sah. Schließlich öffnete er doch den Mund.

„Wir müssen sie da runterholen", stellte er fest und lief zum Fenster, um es zu öffnen. Aber man hatte keine Chance, auf die Kugel zu klettern, ohne Gefahr zu laufen, in die Tiefe zu stürzen und einen schmerzvollen Tod zu sterben. Ich blickte zurück zu der weiblichen Gestalt, die uns ihren Rücken entgegenstreckte, ich sah die wenigen Blutspuren auf dem Glas und ich sah, dass sie verletzt war. Und ich sah auch, dass sie nicht bei Bewusstsein war. Sie brauchte Hilfe. Egal, wer sie war. Egal, wie sie auf Emmets Glaskugel gelandet ist. Aber wie sollten wir sie nur da runterbekommen?

„Emmet?", fragte Mona und nahm endlich die Hand vom Mund, damit wir sie verstehen konnten. „Meinst du, du kannst sie mit deinen Winden zum Fenster bringen?"

Emmet zog die Stirn in Falten. „Ich weiß nicht...", er zögerte. „An sich schon. Aber wie wollen wir sie durch das kleine Fenster bringen? Wenn sie bei Bewusstsein wäre, wäre es um einiges einfacher. Aber sie ist ganz offensichtlich bewusstlos. Wer weiß, wie lange sie schon da oben liegt? Ich bin heute Morgen ziemlich früh aus dem Zimmer gegangen, da war es noch dunkel. Vielleicht...meint ihr..."

„Dass sie schon da dort oben lag?", fragte Jayden. „Schwer zu sagen. Aber egal was, Kumpel, deine Schuld ist es nicht. Garantiert nicht"

Emmet schluckte und zuckte mit den Schultern.

„Sie ist ganz eindeutig verletzt. Wir müssen sie so schnell wie möglich ins Krankenlager bringen", krächzte Mona.

Eine Idee schoss durch meinen Kopf und obwohl ich keinen Schimmer hatte, ob es wohl funktionieren würde, beschloss ich es zu versuchen. Ich begrüßte meine Gabe mittlerweile, wie einen Freund und ich hatte genug gelernt, ich hatte genug Kraft, sie im Zaum zu halten. So, dass sie mich nicht zerstörte. Ich spürte, wie sie sich in mir ausbreitete, aber ich hatte sie unter Kontrolle. Und sie tat, was ich von ihr verlangte.

Ich ließ vor mir einen Wasserball aufsteigen, der mich sehr stark daran erinnerte, wie ich vor einiger Zeit Jayden mit einem solchen Ball gezeigt hatte, wie wohl ich in diese Welt gehörte. Als hätte er meine Gedanken gehört, trat er einen Schritt zurück. Oder es war einfach die Angst davor, ihn wieder in die Fresse zu bekommen. Der Ball wurde größer, je höher er wanderte und als er schließlich in Augenhöhe war, schloss ich meine Hand zu einer Faust. Jetzt musste ich ihn nur irgendwie...

Er gehorchte. Wie von Geisterhand gesteuert schwabbelte mein Wasser an meinen Freunden vorbei zum geöffneten Fenster. Der Ball stieg außerhalb der Glaskugel aufwärts und verharrte über dem fremden Körper. Dann spreizte ich die Finger meiner rechten Hand urplötzlich und der Ball explodierte in viele, winzig kleine Regentropen. Das Wasser durchnässte die kurzen Haare der Frau sofort, es spülte die Blutflecken vom Glas und rann an uns vorbei.

School of ElementsWhere stories live. Discover now