Kapitel 19 - Ein etwas anderer Lehrer

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Mittlerweile brauchte ich meine Karte nicht mehr, um von der Wasserstadt zum Gemeinschaftsgarten zu finden. Laut Mona, die scheinbar schon alle möglichen Geheimgänge entdeckt hatte, gäbe es viel schnellere Wege, um zum Frühstück zu kommen, aber ich hielt mich lieber an den Weg, den ich immer ging. Es dauerte zwar eine geraume Ewigkeit, bis ich durch die Schule zum Garten fand, aber lieber hielt ich mich an die breiten, großen Flure, bevor ich mich in den schmalen Gässchen verirrte.

„Alice!"

Die Stimme kam mir bekannt vor. Ich konnte ihr zwar kein Gesicht zuordnen, aber das war auch gar nicht nötig, denn bevor ich überhaupt stehenbleiben konnte, um mich umzudrehen, was ich aber aller Wahrscheinlichkeit nach aber nicht getan hätte, stand sie schon vor mir.

Das Mädchen mit der Brille und dem schwarzen Bob. Das Mädchen, neben dem ich gestern mehrere Male im Unterricht gesessen bin.

„Hey", sie war außer Atem, als wäre sie mir hinterhergerannt.

Ich sagte nichts, schaute sie an und wartete, ob noch etwas ihrerseits kam. Ein reiner Akt der Höflichkeit. Normalerweise hätte ich mich schon längst an ihr vorbeigeschoben und sie ignoriert. Doch ich zwang mich, an Ort und Stelle stehen zu bleiben. Ich zwang mich dazu, nicht so abweisend zu sein, wie ich es immer gewesen bin.

„Ich bin Helena", sie setze ein Lächeln auf.

Es verrutschte ein wenig, als ich nichts antwortete und sie fügte hinzu: „Helena Osbown. Wir sind aus demselben Element, beide im ersten Jahr, weißt du nicht mehr? Wir besuchen den Unterricht gemeinsam und so"

Ich nickte.

„Und?", ich versuchte wirklich weniger mürrisch zu klingen, als ich mich fühlte, aber irgendwas sagte mir, dass es mir nicht sonderlich gut gelang.

„Uuund", sie zog das Wort seltsam in die Länge und lief ein wenig schneller, um mit mir Schritt zu halten, als ich mich dazu entschloss, weiterzulaufen. „Ich dachte, wir könnten ein wenig Zeit miteinander verbringen"

Ich sah sie an. Sie war ein wenig größer als ich, trotzdem kam ich mir um einiges überlegener vor. Die Art und Weise, wie sie ihre Brille zurechtrückte und die Schulbücher an ihre Brust presste, erinnerte ein wenig an ein Kleinkind, das drauf und dran war, das zu bekommen, was es sich am meisten wünschte.

„Wozu?", fragte ich und bog um die Ecke, war mir ziemlich sicher, dass wir noch immer auf dem richtigen Weg waren.

„Wir könnten zusammen lernen und Hausaufgaben machen. Ich hab gesehen, dass du nicht so gut schwimmen kannst, ich kann dir ja beim Trainieren helfen. Ich bin dafür nicht so gut in Formation wie du, vielleicht kannst du mir da helfen. Verstehst du wie ich meine?"

Ich seufzte. Atmete tief ein und aus.

Es passte mir nicht, dass es so offensichtlich war, dass ich nicht schwimmen konnte. Und es passte mir schon gar nicht, dass sie mir ihre Hilfe anbot. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich diese Hilfe verdammt nötig hatte. Aber mein Stolz war zu groß, um das zuzugeben. Und deswegen antwortete ich auch anders, als ich sollte.

„Mal sehen", murmelte ich, aber Helena war scheinbar Optimistin und strahlte mich an.

„Super!", jubelte sie und, hätte sie nicht die Bücher auf dem Arm gehabt, hätte sie bestimmt mit ihren Armen peinlich in der Luft herumgewedelt.

„Freust du dich schon auf Magische Tierwesen?", fragte sie. „Ich habe gehört, dass wir das Fach zusammen mit den anderen Elementen haben, spannend, oder?"


Helena hatte nicht ganz Unrecht. Auf meinem Stundenplan war für das Fach kein Klassenzimmer angegeben, sondern nur Gehege. Also machte ich mich nach dem Frühstück auf den Weg zu der besagten Grünanlage, wo ich nicht nur Schüler aus Wasser, sondern auch aus Luft wiederfand.

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