2 - Chemie und andere Dinge, die ich nicht verstehe

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Es war lange noch dunkel, als ich aufstand und leise in die Waschräume schlich. Im ganzen Haus war es noch mucksmäuschenstill und das einzige Geräusch, das ich wahrnahm, war das Schnarchen der anderen Waisen, das durch die dünnen Wände zu mir durchdrang. Der Boden unter meinen nackten Füßen war eiskalt und die Tür knarzte, als ich den Waschraum betrat.

Kurze Zeit später stand ich unter der Dusche. Die alten, schimmligen Duschvorhänge war ich schon längst gewohnt. Genauso wie die Tatsache, dass ich mir ständig Duschgel und Shampoo von den anderen Kindern klauen musste. Tracy hielt es nicht für nötig, mir Taschengeld zu geben. Und sei es auch nur für absolut notwendige Hygieneartikel. Diesen Monat hat sie mir das Geld gestrichen, weil sie der Meinung war, dass ich ihre Lieblingsbluse nicht schön genug gebügelt hatte. Genauso wie die Monate zuvor. Sie fand immer eine Ausrede.

Ich wollte mich beeilen. Zwar war ich die eisige Kälte gewohnt, wusste aber auch ganz genau, wie schnell man sich eine ordentliche Erkältung holen konnte. Aber etwas hielt mich davon ab, das Wasser aufzudrehen.

Waren es die Ereignisse vom Vortag? Wahrscheinlich. Was würde passieren, wenn ich das Wasser aufdrehen würde? Ich wollte nicht zugeben, dass ich mich dafür fürchtete, was passieren würde. Aber es war so. Ich schloss die Augen und verdrängte die Erinnerungen von Gestern. Ich versuchte, nicht mehr daran zu denken, wie etwas in mir von mir Besitz ergriffen hat, wie es in mir hochgekocht ist. Es war ein schreckliches Gefühl gewesen und ich wollte auf keinen Fall, dass es wiederkehrte.

Ich öffnete die Augen wieder und atmete tief ein und aus. Dann drehte ich langsam das Wasser auf. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht war ich davon ausgegangen, dass das Gefühl wieder von mir Besitz ergreifen würde. Immerhin ist es gestern auch nur passiert, als ich in der Nähe von Wasser war. Aber diesmal passierte nichts. Diesmal plätscherte nur eiskaltes Wasser auf die Fliesen unter meinen nackten Füßen und verschwand im Abfluss.

Ich stand eine geraume Weile unter dem leichten Stahl und ignorierte die Gänsehaut, die ich von der Kälte bekam. Ich wusste nicht wirklich, warum ich so schockiert war. Eigentlich hätte ich froh sein sollen, dass es nicht wiedergekehrt ist. Vielleicht hatte ich mir das gestern ja auch nur eingebildet. Vielleicht war es nicht real gewesen und dieses Etwas, was in mir gewütet hat, war gar nicht dafür verantwortlich gewesen, dass das Wasser auf einmal aus dem Hahn geschossen kam. Wahrscheinlich lag es nur an den alten Leitungen. Immerhin war das Haus ja schon...wie alt? Ich wusste es nicht. Aber dem undichten Dach und den knarzenden Treppenstufen nach zu urteilen, ziemlich alt. Also sollte ich mir wohl weniger den Kopf über diese Begebenheit zerbrechen, sondern einfach schnell aus dieser Dusche wieder herauskommen, bevor ich mir eine böse Erkältung holte.

Das Wasser landete also einfach auf meinen Schultern und rann über meinen Rücken meinen Körper hinunter. Irgendwie war es merkwürdig, dass alles normal war. Was objektiv betrachtet schon ein wenig merkwürdig war. Aber wenn man bedachte, was am vorigen Tag passiert war...ich verbot mir, weiter darüber nachzudenken und griff nach dem Shampoo.

-

Amy war an diesem Tag krank. Nicht, dass es mich sehr gestört hätte. Ich war noch nie sonderlich auf ihre Gesellschaft angewiesen. Ich war auf niemandes Gesellschaft angewiesen. Und um ganz ehrlich zu sein, ist mir ihre Abwesenheit auch erst aufgefallen, als mich ein dunkelhaariges Mädchen darauf angesprochen hatte.
Mein Chemielehrer, Herr Miller, hatte es ganz offensichtlich auf mich abgesehen. Ich hatte ja eigentlich fest vorgehabt, die langweilige Chemiestunde bei ihm mit einem schönen Nickerchen zu verbringen, aber er hatte offenbar andere Pläne. Schon am Anfang der Stunde holte er mich an die Tafel nach vorne, um mich über die letzte Stunde abzufragen. Ich hatte nicht damit gerechnet, weil er mich schon wenig früher abgefragt hatte. Wobei das auch nur eine faule Ausrede war, ich hätte mich sowieso nicht auf den Unterricht vorbereitet.

School of ElementsWhere stories live. Discover now