Kapitel 33 - Alptraum

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„Acht Bahnen, ZACK ZACK", brüllte Mr. Kyston, kaum traten wir in unserer Schwimmmontur aus den Umkleidekabinen. Ich stöhnte und lief den anderen hinterher, die auf jeden Fall motivierter waren als ich, in das eisig kalte Wasser zu springen. Ich war zwar, dank Helena, in den letzten Wochen besser geworden, konnte besser und schneller schwimmen und tauchen, trotzdem graute es mir vor der Prüfung in Schwimmen. Würde ich das Jahr wiederholen müssen, wenn ich nicht gut abschneiden würde? Ich musste gut abschneiden. Ich hatte mich hier so reingehängt. Ich wollte endlich einmal gut in der Schule sein. Es sollte nicht an einer Banalität wie Schwimmen scheitern.

Wobei der Unterricht bei Mr. Kyston keinesfalls als Banalität zu betiteln war. Statt uns motivierende Worte zuzurufen drohte er nur, uns einen nach den anderen zu tauchen, wenn wir nicht noch einen Zahn zulegten.

„Das kann ja wohl nicht sein!", schrie er heiser. „Und ihr wollt aus dem Element Wasser sein? Das muss schneller gehen!"

Er klatschte schnell hintereinander in die Hände und ich versuchte mein Bestes, nicht als Letze zurückzubleiben. Das Ergebnis des Aufwärmens war es, dass die kalte Luft in meinem Hals brannte, als ich einatmete und ich mich kaum über Wasser halten konnte.

„Alice", zischte Helena neben mir. „Komm, reiß dich zusammen. Das schaffst du", flüsterte sie.

„Die Prüfung ist schon in zwei Wochen", jammerte ich. „Ich werde nie gut genug sein"

„Wenn du weiter so unmotiviert bist, tatsächlich nicht", sagte Helena und hielt augenblicklich die Klappe, als Mr. Kyston ihr einen drohenden Blick zuwarf.

„Die Prüfung wird eine Kombination aus Ausdauer- und Tauchtraining sein", brüllte Mr. Kyston, als würden wir nicht direkt vor seiner Nase in dem riesigen Becken dümpeln. „Deswegen müsst ihr fit in allen Gebieten sein, verstanden? Langes Luftanhalten ist genauso wichtig wie ausdauerndes, schnelles Schwimmen. Ihr werdet außerdem nicht alle gleichzeitig antreten. Ihr seid Einzelwettkämpfer. Ihr werdet das komplett alleine bewältigen müssen, verstanden?"

Wir nickten und ich versuchte, dem strengen Lehrer nicht in die Augen zu sehen. Ein schwerer Klumpen voller Angst breitete sich in mir aus. Ich würde das nicht schaffen. Ich war zwar schon um einiges besser als anfangs und auch nicht mehr die Schlechteste des Kurses, aber ich wusste nicht, inwiefern meine Leistung befriedigend sein würde.

-

„Mach dir keine Gedanken", sagte Helena zu mir, als wir die Umkleidekabinen ansteuerten, nachdem uns Mr. Kyston die komplette Unterrichtsstunde tauchen hat lassen.

„Ähm, doch", antwortete ich gereizt. „Ich konnte nicht einmal den Ring vom Grund auftauchen", erklärte ich ihr. „Was ist, wenn er das uns in der Prüfung machen lässt?"

Doch Helena schüttelte den Kopf. „Das Becken ist sicher dreißig Meter tief. Das schaffen die meisten von uns nicht. Das verlangt er sicher nicht"

Du hast es geschafft", sagte ich trotzig und griff in den Spind, wo meine Sachen gelagert waren. Helena hatte es tatsächlich geschafft in die Tiefen des Beckens, von welchem unterirdische Höhlen ausgingen, zu tauchen.

„Das liegt aber auch nur an meinem Atemtraining", wehrte Helena bescheiden ab. „Das kannst du auch lernen. Man muss nur die richtige Technik anwenden. Dann kannst du minutenlang die Luft anhalten!"

Ich schüttelte nur den Kopf. Sogar Mr. Kyston war ein wenig beeindruckt gewesen, als Helena den gelben Ring vom Grund geholt hatte, während der Rest des Kurses nur die roten und grünen Ringe von den verschiedenen Felsvorsprüngen geholt hatte. Weil die gelben Ringe einfach zu weit unten lagen, als dass wir sie erreichen hätten können.

Als ich endlich wieder meine Schuluniform anhatte, welche auch trocken blieb, als ich durch das Aquarium der Wasserstadt tauchte, was im Übrigen auch kein Problem für mich war, wartete Emmet auf mich. Inzwischen hatte man unsere Atemwege schon so gut trainiert, dass der tägliche Tauchgang durch das Aquarium bereits Routine war.

„Und?", fragte ich und sah in erwartungsvoll an. „Wie war deine Prüfung?"

Emmet strahlte mich an. „Gut!", seine Zähne leuchteten in einem grellen Weiß im Kontrast zu seiner dunklen Haut. Emmet hatte an diesem Morgen seine Prüfung im Fliegen und, im Gegensatz zu mir, hatte er keinerlei Probleme bei seiner Elementssportart.

„Wir mussten einen Sprint fliegen", erklärte er mir begeistert. „Und dann noch ein paar Kunststücke machen"

„Kunststücke?", fragte ich und lachte, doch Emmets Mine war ganz ernst.

„Na klar. Wegen der Balance und so", sagte er und verschränkte die Arme, als wir den Skyway weg von der Wasserstadt passierten. An diesem Morgen schien die Sonne auf den Garten, der sich unter uns auftat.

„Na dann", sagte ich und schmunzelte.

„Wohin gehen wir?", fragte ich, als Emmet in einen Gang abbog, der von unserem normalen Weg abwich.

„Wirst du sehen", sagte Emmet, ohne seine starre Mine zu verändern. Es dauerte nicht lange, bis wir in einen Teil gekommen waren, der mir nur zu gut bekannt war.

„Emmet", sagte ich trocken. „Was suchen wir hier?" Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte nie wieder hier zurückkehren. Doch trotzdem führte Emmet mich hinaus in den kleinen, verlassenen Garten und auf den Weg durch den einst traumhaften Wald. Doch jetzt hafteten die schrecklichen Erinnerungen an jenen Tag, das schlimme Bild der toten Lehrerin an diesen märchenhaften Wald und ließen ihn wie ein Gefängnis, wie einen Alptraum erscheinen.

„Emmet", quengelte ich und sah ihn flehend an. „Ich will nicht hierher"

„Bitte", flüsterte Emmet und sah mir in die Augen. „Ich weiß, es ist nicht einfach. Für dich bestimmt noch schwerer, als für mich. Aber bitte, komm"

Damit zog er mich die letzten Meter zur der freien Fläche vor dem Abgrund, wo bereits Mona auf uns wartete.

„Na endlich!", sagte sie erleichtert. „Ich habe schon ein wenig Angst bekommen. Wo wart ihr so lange?"

Emmet ignorierte ihre Frage und schritt sofort zum Abgrund, winkte uns zu sich. Er spähte nach unten, als ob er die Umrisse von Ms. Sylva noch erkennen könne. Doch sie waren längst vom klaren Salzwasser weggespült worden, doch die Erinnerungen waren geblieben.

„Kannst du dich noch erinnern, wie sie da unten lag, Alice?", fragte Emmet und deutete nach unten, an eine komplett falsche Stelle.

Ich nickte. „Sie lag dort", sagte ich leise und deutete auf eine Stelle zwischen zwei spitzen Felsen. „Sie lag da, ihre Haare haben im Wasser getrieben, wenn eine Welle gekommen ist"

Emmet nickte nachdenklich. „Ihr könnt euch sicher noch an die Gerüchte erinnern", murmelte er und wandte sich uns zu.

„Dass sie umgebracht wurde?", sagte ich leise, als ob uns jemand belauschen könnte.

„Es hieß, jemand hat die Lehrer bei einer Beratung belauscht", fügte Mona hinzu. „Sie haben gemeint, dass es Anzeichen für einen beabsichtigten Mordfall gibt"

Emmet nickte. „Genau", sagte er. „Alice", sagte er nach einer kurzen Pause. „Hast du Anzeichen für einen Mord gesehen? War da Blut, war da eine Tatwaffe?"

Ich konnte mich nicht mehr genau erinnern, doch als ich kurz innehielt und die Augen schloss, war das Bild wieder vor meinem inneren Auge, als wäre es nie weg gewesen. Dann schüttelte ich den Kopf.

„Sie lag nur unnatürlich verdreht da. Einen Arm merkwürdig abgewinkelt. Ihr Rücken sah auch nicht mehr ganz gesund aus"

Emmet nickte. Er nickte erneut, als ob er für sich etwas bestätigen würde, was er schon lange geahnt hatte. Er trat einen Schritt zurück. Dann noch einen.

Dann stieß er uns in die Tiefe. 

***

Tut mir leid. Tut mir so leid. 

Ich will gar nicht wissen, wie sehr ihr mich dafür hasst. Ich mach es wieder gut. Irgendwie. Versprochen.

- newmoonanna

School of ElementsWhere stories live. Discover now