Kapitel 10 - Die Wasserstadt

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Die Schule war tatsächlich noch größer und verwinkelter, als ich befürchtet hatte. Anthony führte mich mit gerade mal sieben anderen Schülern eine geraume Ewigkeit durch das Gebäude. Währenddessen erzählte er uns, dass er in der Abschlussklasse, der dritten Klasse, sei, dass sein Lieblingsfach Schwimmen war und dass seine Oma ihm zu Weihnachten einen Carissimi geschenkt hatte und er unglaublich genervt davon war. Was auch immer ein Carissimi sein mochte. Ich hatte keine Möglichkeit ihn zu fragen, selbst wenn ich es gewollt hätte. Denn wenn er uns gerade nicht sein Privatleben erörterte, klärte er uns wissend über das Gebäude auf. Wobei diese Schule tatsächlich einen kleinen Erklärungsfaktor hatte.

Während wir die ersten fünf Minuten damit verbracht haben, breite, alt aussehende Flure zu durchqueren, die zum größten Teil mit düsteren Fackeln beleuchtet waren, standen wir auf einmal in kleineren, modernen, lichtdurchfluteten Gängen. Die Wand rechts von mir war verglast und würde mir einen tollen Ausblick ermöglichen, wäre es nicht längst schon dunkel. Nur vereinzelt sah man über der Insel Meridiem fliegen, jedoch zu wenige, um sich ein vollständiges Bild machen zu können. Beleuchtet war dieser Teil des Hauses auch nicht mehr mit althergebrachten Fackeln, sondern mit hellen LED – Leuchten. Ich hatte mich fast schon an das helle Licht gewöhnt, als wir durch eine kleine Halle in einen anderen Gang liefen. Dieser hier sah aus, als wäre es einst eine Kirche gewesen. Die Gläser der hohen, bogenförmigen Fenster waren bunt bemalt und zeigten Szenen von Herrschern, Kriegern und scheinbar wichtigen Taten. Es erinnerte mich mehr an ein Märchen, eine Geschichte, die in fernen Königreichen spielt und von tapferen Rittern und schönen Prinzessinnen handelte. Doch dann wurde mir bewusst, dass das, was ich hier heute erlebte genauso an ein Märchen grenzte und ich musste willkürlich lächeln.

Es schien mir fast, als hätte diese Schule alle Epochen der Architektur mit durchgemacht. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie alt sie sein mochte. Wenn irgendein Mensch, der nicht in diese sonderbare Welt eingeweiht war, von diesem Gebäude erfahren würde... Es würde wahrscheinlich alle Bauwerke, die bis jetzt als alt empfunden wurden, geradewegs in den Schatten stellen.

Und gerade, als ich mit diesem Gedanken beschäftigt war, tat sich vor mir ein weiterer Weg auf, der mich darüber nachdenken ließ, ob man hier vielleicht sogar die Architektur der Zukunft finden würde. Der Flur, durch den Anthony uns jetzt führte war lang und bestand vollständig aus Glas. Die Decke. Die Wände. Der Boden. Alles.

Es war so simpel, doch es raubte mir den Atem.

Ohne offensichtliche Stütze führte direkt vor mir ein Skyway über eine Gartenanlage in einen anderen Teil des Gebäudes. Man konnte der Schule von außen gar nicht ansehen, wie groß und verwinkelt sie war. Es war unglaublich.

Und obwohl ich für meinen Teil schon ein wenig Angst hatte, den Skyway zu betreten, da er immerhin vollkommen aus Glas bestand und trotz der enormen Länge nicht gestützt wurde, spazierte Anthony völlig gelassen darauf herum, als er uns erzählte, wie das Klimasystem der Schule funktionierte. Solange sie es nicht wie an meiner alten Schule machten, im Sommer heizen und im Winter kühlen, war es mir um ehrlich zu sein auch ein wenig egal.

Der Glasboden unter meinen Füßen tat keinen Mucks, als ich mich langsam darauf fortbewegte. Zu meiner Überraschung befanden sich auf dem makellosen Glas weder Kratzer oder Dreck, noch sonstige Gebrauchsspuren. Deshalb blieb mir uneingeschränkte Sicht auf den, sicher um die zwanzig Meter unter mir liegenden, Garten. Ein Teich, beleuchtet von Fackeln und Meridiem, größer als der, den ich im Hintergarten gesehen hatte, befand sich neben einer Gruppe von kleinen Bäumen. Ich hoffte der Teich war tief genug, um meinen Sturz abzufangen, falls ich durch das instabil aussehende Glas nach unten stürzen sollte.

Trotz meiner Befürchtungen und der Tatsache, dass Anthony fröhlich auf dem Glasboden rumhüpfte, was nicht nur mich den Atem anhalten ließ, kamen wir alle sicher auf der anderen Seite an. Anthony hatte uns den ganzen Weg den Rücken zugedreht gehabt, als er uns durch den großen Bau geführt und uns mit einer Unwichtigkeit nach der anderen überrollt hatte, aber als er sich jetzt nach uns umdrehte, strahlte er und breitete die Hände aus. Wie Ms. Lowburgh es ständig getan hatte. Irgendwie war das so ein Ding von den Leuten hier.

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