Kapitel 23 - Todespaar

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Die Szene auf der Hochzeit dauerte nicht so lang, wie ich wünschte. Ich wollte meine Eltern ansehen. Ich wollte mir ausmalen, wie es gewesen wäre, bei ihnen aufzuwachsen. Ich wollte wissen, wie es gewesen wäre, in Evelyns Armen einzuschlafen und mit Mike zu spielen. Mom. Dad.

Doch sie waren zu schnell wieder weg und als der Sog mich aus der Szenerie zog, kam es mir vor, als würde ich aus einem schönen Traum wiedererwachen und merken, dass mein Leben doch nicht so schön war.

Der Raum, in dem ich stand war groß. Groß im Gegensatz zu der kleinen Küche von Ms. Lowburgh. Groß im Gegensatz zu meinem Zimmer im Heim. Sogar groß im Gegensatz zu meinem Zimmer in der Schule. Es war ein Büro. Und, wie in jeder anderen Szene auch, war Ms. Lowburgh hier. Natürlich. Es schienen ja ihre Erinnerungen zu sein. Aber diesmal waren die Farben nicht so grell und fröhlich, wie in den anderen Situationen. Als wäre es keine schöne Erinnerung.

Ms. Lowburgh saß auf einem großen Bürostuhl. Sie war wieder um einige Jahre gealtert. Auf dem goldenen Schildchen, das auf ihrem großen Schreibtisch stand, war Hella Steeveson, Ordnungshüterin eingraviert.

Also war sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet gewesen.

Es klopfte.

Ein junger Mann lief in das Zimmer. Er hatte rotes Haar und Sommersprossen. Und seine Gesichtsfarbe passte optimal dazu. Er war außer Atem.

„Ms. Lowburgh", keuchte er. „Ms. Lowburgh"

Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den schäbigen Stuhl gegenüber von ihr.

„Jonas, schön, dass Sie nun endlich den Weg zu meinem Büro gefunden haben", begrüßte Ms. Lowburgh ihn schnippisch. „Mein Namensschild muss ausgetauscht werden. Ich bin schon seit Wochen verheiratet"

Ups.

„Ja...was das betrifft...", Jonas wurde noch röter. „Nun ja...es gab Probleme mit der Gravur und dann...dann musste ich das Schild neu bestellen...ja und jetzt..."

„Kommen Sie auf den Punkt", seufzte Ms. Lowburgh gelangweilt und nahm einen Schluck Wasser. „Wenn sie nicht deswegen da sind, weshalb dann?"

Jonas schaute aufgeregt drein, als ob ihm gerade erst wieder eingefallen wäre, warum er hier war.

„Ms. Lowburgh...es...es gab eine Sichtung", stammelte er.

„Eine Sichtung von was, Jonas?", Ms. Lowburgh war auf einmal um einiges aufmerksamer.

„Regelbrecher", sagte er. „Zwei Regelbrecher"

„Das...das ist nicht möglich", nun war Ms. Lowburgh diejenige, die stammelte. „Nie gab es zwei Regelbrecher auf einmal"

„Das habe ich auch gesagt! Wir hatten seit Wochen keinen Regelbrecher mehr. Und jetzt zwei auf einmal? So etwas ist noch nie passiert"

„Ich weiß, Jonas", murmelte Ms. Lowburgh. „Wo und wer?"

„An der St. Linston–Brücke. Ms. und Mr. Evertowsky", sagte Jonas.

Und ich war mindestens so überrascht, wie Ms. Lowburgh aussah.

„Sagten Sie Evertowsky?"

Jonas nickte und Ms. Lowburgh stand auf. Sie schüttelte den Kopf.

„Niemals. Nein. Nein, nicht Evelyn", sie sah den jungen Mann forsch an. „Sind Sie sich sicher?"

„Absolut", er nickte bekräftigend. „Darf ich fragen, wo das Problem liegt?"

School of ElementsWhere stories live. Discover now