Kapitel 12 - Gute Nacht, Anthony

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Mein Rucksack lag auf dem grauen Sessel, der neben einer weiteren Tür stand. Ich lief darauf zu und öffnete sie. Dahinter befand sich ein kleines Badezimmer. Ein Klo unter einem kleinen Fenster, eine Dusche und ein Waschbecken passten gerade so hinein. Aber es war purer Luxus für mich. Das Zimmer allein war schon größer als mein Altes. Als das im Heim. Es war so viel neumodischer eingerichtet, alles in einem schönen, hellen Grau gehalten. Und die Tatsache, dass ich mir jetzt keine kalten Duschen mehr mit anderen Mädchen teilen musste, machte mich noch glücklicher. Ganz abgesehen von dem Gedanken, dass ich hier vielleicht sogar warm duschen konnte...

Der Ärger über Anthony und sein Verhalten vor wenigen Augenblicken war wie weggeblasen und ich lief zwischen den zwei kleinen Zimmern hin und her, drehte mich so oft im Kreis, dass ich fürchtete, mir würde schwindelig werden und nahm jedes Detail der Räumlichkeiten auf. Es gehörte mir. Ich würde hier leben können.

Es fühlte sich noch an wie ein Traum.

Jedenfalls, bis Anthony meine Tagträume grob unterbrach als er krächzte: „Du wolltest dir Etwas trockenes anziehen"

Ich drehte mich ruckartig zu ihm um und diesmal war ich diejenige, die ihn mit einem glühenden Blick zum Schweigen brachte.

„Genau", sagte ich. Kalt, leise, gehässig. „Und deswegen solltest du hier auch schleunigst rauswackeln"

Er lief rot an, als ob es ihm extrem peinlich wäre, dein Eindruck vermittelt zu haben, er wäre ein perverser Spanner. Aber das war mir egal, ich lief in wenigen großen Schritten in seine Richtung und er flüchtete sich auf den Flur, bevor ich die Tür hinter ihm zuschlug.

„Ich warte hier...wir müssen...ähm...noch einiges besprechen", drang es gedämpft durch die geschlossene Tür.

Ich verdrehte die Augen und nahm mir vor, extra lange zu brauchen. Wenn er weiterhin in dieser Stimmung war, hatte ich keine besondere Lust, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Er hatte wirklich unglaubliche Stimmungschwankungen. Gerade, wenn man daran dachte, dass er gerade mal eine halbe Stunde zuvor über den Skyway gehüpft ist und uns freudig erklärt hat, dass Ausdauerläufe vollkommen überbewertet wurden.

Ich schnappte mir meinen Rucksack und leerte den Inhalt auf der weißen Bettdecke aus. Wenige lang- und kurzärmlige Shirts, einen Pulli und eine Hose. Einen Schlafanzug, Zahnbürste und Zahnpasta. Ein Notizbuch und einen Stift. Das war zusammen mit ein paar harten Kaubonbons das einzige, was darin enthalten war. Ich dachte an die großen Koffer und Reisetaschen der anderen und seufzte. Aber ich hatte hiermit so viel mehr bekommen, wie ich vorher hatte. So viel mehr, wie ich wahrscheinlich verdient hatte.

Also nahm ich die Jeans und ein Shirt und verschwand damit ins Badezimmer. Glücklicherweise hingen Handtücher an einem Haken neben der Dusche und bald darauf steckte ich wieder in trockenen Klamotten. Trotzdem ließ ich mir Zeit, begutachtete mich im Spiegel über dem Waschbecken und rubbelte meine Haare, die sich mittlerweile in einen ausgewachsenen Bob verwandelt haben, ein wenig trockener. Dann öffnete ich die Tür in mein Zimmer wieder, ließ mich in den Sessel fallen und schloss die Augen. Ich merkte tatsächlich erst jetzt, wie fertig ich war

Er Tag war so lang gewesen, voller so vieler Eindrücke, dass ich die Hälfte noch nicht einmal richtig realisiert habe. Ich hatte so wenig Zeit gehabt, alles zu verarbeiten, damit klar zu kommen, dass sich mein Leben innerhalb von gerade mal 24 Stunden schlagartig verändert hat. Es war alles so überwältigend. Es war wie im Märchen. Ich hatte keinerlei Zukunft gehabt, war schlecht in der Schule gewesen und von meinem Leben im Heim wollte ich gar nicht erst anfangen. Und auf einmal habe ich diese riesengroße Chance bekommen. Die Chance, neu anzufangen. Die Chance auf ein neues Leben, vielleicht sogar darauf, eine richtige Freundschaft zu schließen und nicht ständig so abweisend zu sein, wie ich es mein ganzes Leben lang gewesen bin. Aber es fiel mir nicht leicht, diese Angewohnheit abzulegen, besonders, als ein lautes Klopfen mich aus meinen Gedanken riss.

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