Leuchtfeuer

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~Lucea~

Etwa zwei Tage nach Gandalfs Aufbruch warten wir noch immer vergeblich auf das Aufglimmen der Leuchtfeuer Gondors. Aragorn verbringt beinahe Tag und Nacht draußen beim Aussichtsposten in der Nähe der Hallen des Königs. Seit dem Fest haben wir nicht wirklich miteinander gesprochen. Ich weiß auch nicht, was ich sagen sollte. Im Grunde weiß ich im Moment überhaupt nicht, was ich denken soll. Der Krieg ist noch lange nicht vorüber und die nächste Schlacht – die Schlacht um Gondor – rückt unaufhaltsam näher. Zwischen alledem ist einfach kein Platz, um ungestört nachdenken zu können. Ich löse meinen Blick vom Fenster meines Gemachs, das nach Norden zeigt. Es ist noch früh am Morgen, doch ich bin bereits eine Weile wach. Ich beschließe, an die frische Luft zu gehen. Bis der Trubel auf den Straßen losgeht, ist noch etwas Zeit. Also begebe ich mich auf den Weg zum Thronsaal. Als ich durch die kleine Seitentür eintrete, entdecke ich die beiden Elben sogleich. Auch Éowyn und ihr Bruder Éomer sind anwesend. Nur Gimli ist nirgends zu sehen. Kein Wunder, der Arme ist noch immer etwas verkatert. Das Trinkspiel beim Fest hatte es wohl doch in sich, obwohl der Alkohol bei Legolas kaum Wirkung gezeigt hat. Im Moment ist mir nicht danach, mich zu ihnen zu gesellen. Deshalb versuche ich, mich möglichst unauffällig und im Schatten der Säulen zur Tür zu schleichen.

» Guten Morgen «, sagt jemand, kurz bevor ich sie erreicht habe. Ich fahre herum und sehe mich der Schildmaid Rohans gegenüber, die mir ein strahlendes Lächeln schenkt. Ich erwidere es etwas halbherzig.

» Wenn du schon nach draußen gehst, könntest du das dem Herrn Aragorn bringen? «, fragt sie und drückt mir einen Teller mit etwas Brot, Käse und Schinken in die Hand,

» Ich bin nicht sicher, ob er überhaupt geschlafen hat. Ununterbrochen sitzt er dort und wartet auf ein Zeichen an den Bergspitzen «. Die Blonde nickt mir zu und zieht von Dannen. Ich verharre noch einen Moment, dann trete ich hinaus. Kühle Luft schlägt mir entgegen und ich atme ein paar Mal tief durch. Es weht eine leichte Brise, die mit meinen Haaren und dem Rock meines Kleides spielt. Ich lasse meinen Blick über die Dächer der Häuser wandern. Nur wenig Rauch qualmt aus den Kaminen hervor, die Feuer sind über Nacht wohl ausgegangen. Nicht einmal von den Stallungen klingen laute Geräusche herauf. Mit leisen Schritten mache ich mich auf den Weg zum Aussichtsposten. Diesen Namen trägt eine kleine Hütte am Rande des Hügels. Das dunkle Holz ist morsch und die kleinen Fenster sind vor lauter Schmutz undurchsichtig geworden. Teile des Dachs sind eingebrochen und die Tür hängt etwas schief in ihren Angeln. Ich umrunde das Häuschen und finde Aragorn auf den Stufen davor sitzen. Er hat den Kopf auf die Hände gestützt und seine Haare hängen ihm ins Gesicht. Es sieht beinahe so aus, als würde er schlafen. Langsam nähere ich mich ihm noch ein bisschen, bleibe dann aber stehen.

» Aragorn? «, frage ich sanft. Er hebt ruckartig den Kopf und sieht mich an. Dunkle Ringe liegen um seine Augen, doch ein Lächeln umspielt seine Lippen. Ich überbrücke die letzte Entfernung zwischen uns und reiche ihm den Teller.

» Du solltest etwas essen «, sage ich, als er keine Anstalten macht, etwas davon anzurühren.

» Ich weiß, du hast Recht «, erwidert er und seufzt tief. Doch er nimmt das Brot und beginnt, es Stück für Stück zu verzehren.

Bis er aufgegessen hat, sitzen wir schweigend nebeneinander und sehen zum Horizont. Dort zeichnet sich eine hohe, mit Schnee bedeckte Bergkette ab. Der Wind lässt niemals ganz nach, immer weht ein leichtes Lüftchen um uns herum.

» Mach dir nicht so viele Gedanken «, sage ich leise,

» Gondor wird standhalten. Gandalf ist jetzt dort «. Seine unergründlichen Augen treffen auf meine grünen. Es scheint fast, als würde ich mich in dem Graublau spiegeln. Lange halte ich dem aber nicht Stand und blicke zu Boden. Eine Hand unter meinem Kinn zwingt mich dazu, mein Gegenüber wieder anzusehen. Aragorn hat den Kopf leicht schiefgelegt und seine Finger fahren gedankenverloren die Konturen meines Gesichts nach. Einige meiner braunen Strähnen haben sich hinter meinem Ohr gelöst und fallen frei nach vorne. Vorsichtig streicht er sie zurück und verharrt in dieser Position. Unsere Blicke verhaken sich ineinander und seine noch freie Hand legt sich an meine andere Wange. Die Wärme seiner Haut löst wieder dieses Kribbeln überall dort aus, wo er mich berührt. Langsam, Fingerbreit für Fingerbreit, nähern sich seine Lippen den meinen. Mein Körper scheint eingefroren, denn ich kann mich nicht bewegen. Trotzdem beginnt mein Herz schneller zu schlagen, regelrecht zu rasen. Dann berühren sich unsere Lippen ganz sanft, wie ein Schmetterling. In meinem Bauch scheint etwas zu explodieren. Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Es fühlt sich an wie eine kleine Ewigkeit. Eine Ewigkeit, die uns allein gehört. Vor meinem inneren Auge fliegen alle Erlebnisse vorbei, die wir zusammen durchlebt haben. Angefangen von dem Moment, als mich der junge Estel zwischen den Wurzeln eines Huornbaumes gefunden hat. Unsere Kindheit, all die Streiche, die wir ausgeheckt haben und so viele kleine Details, die über Jahre in meinem Inneren verschlossen waren.

Ganz plötzlich löst sich Aragorn von mir. Damit endet auch der Gedankenzug in meinem Kopf. Atemlos schlage ich die Augen auf. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, sie geschlossen zu haben.

» Es...es tut mir leid «, flüstert er,

» Verzeih mir «. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Langsam habe ich meinen Körper wieder unter Kontrolle und mein Verstand meldet sich zurück. Instinktiv richte ich mich etwas auf und lehne michetwas nach hinten, entferne mich von ihm. Seine Hand, die noch immer an meiner Wange ruhte, verharrt noch einen Moment in der Luft und zieht sich dann zurück. Eine Weile bewegt sich keiner von der Stelle, wir sehen uns nur unablässig an. Meine Gedanken überschlagen sich, mein Herz steht auf Kriegsfuß mit meinem Verstand. Dieser rät mir, so viel Abstand von meinem Gegenüber zu nehmen wie möglich. Seine Worte zeigen doch deutlich, dass ihm dieser Kuss nichts bedeutet. Mein Herz hält dagegen. Es sagt, dass seine Gesten gegen seine Worte sprechen. Vielleicht ist es nur eine stille Hoffnung, doch trotzdem entscheide ich mich für eine Seite.

» Es gibt nichts zu verzeihen, Aragorn «, hauche ich. Er sieht mich liebevoll an und lächelt ganz leicht. Seine Finger greifen nach den meinen und verschränken sich ineinander, als wolle er mich beschwichtigen. Sein Daumen streicht über meinen Handrücken. Ich starre unsere Hände einen Moment lang an, atme tief durch und stehe auf. Dabei ziehe ich meine Hand zurück.

» Ich...ich...du... «, stottere ich, ohne wirklich zu wissen, was ich sagen möchte.

» Ich sollte gehen «, bringe ich schließlich heraus und ignoriere mein protestierendes Herz. Aragorn steht so schnell vor mir, dass ich noch keinen Schritt getan habe.

» Warte... «, sagt er sanft und bricht ab, als suche er nach den richtigen Worten. Unschlüssig stehe ich da und versuche, meine zwiegespaltenen Gefühle zu sortieren. Das Kribbeln überall an meinem Körper, das angenehme Gefühl, wenn er in meiner Nähe ist, dieser intensive Kuss...all das macht mir langsam klar, dass ich für meinen Kindheitsfreund mehr empfinde als das. Viel mehr. Was einst Freundschaft und in gewisser Weise Verbundenheit war, ist jetzt zu etwas anderem geworden. Gerade setzt Aragorn an, weiterzusprechen, da bemerke ich etwas Glimmendes aus dem Augenwinkel. Auch er scheint es entdeckt zu haben, denn er dreht sich danach um. Dort an den Bergspitzen flammt ein Feuer auf. Es lodert hoch hinauf, damit es auch jeder sehen kann.

» Die Leuchtfeuer «, flüstert Aragorn, dann noch einmal etwas lauter,

» Die Leuchtfeuer Gondors brennen! «. Er wirbelt herum und rennt los, in Richtung des Thronsaals. Nun stehe ich da, mit hunderten Fragen, auf die ich selbst keine Antwort weiß.

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