Erinnerung

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~Laladriel~

Ich stehe auf der weitläufigen Terrasse und blicke zu den Sternen hinauf. Die kleinen Himmelskörper scheinen fast um die Wette zu strahlen. Ihr Licht ergießt sich – vermischt mit dem des Mondes – über das Land und vertreibt die düsteren Schatten der Nacht aus den Straßen und Gassen Minas Tirith'. Zum ersten Mal seit langer Zeit gibt es hier nichts, was man fürchten müsste. Zumindest nichts solch Schwerwiegendes wie der dunkle Herrscher es war. Gewiss, es wird noch eine Weile dauern bis auch der letzte Diener Saurons seinem gerechten Urteil zugeführt wird, das nur der Tod sein kann. Ein Schatten huscht über mein Gesicht bei dem Gedanken an all das Leid, dass Sauron über die Völker Mittelerdes brachte. Es ist wahrlich erstaunlich, dass ein solch kleiner Hobbit wie Frodo einer ist, das Schicksal dieser Welt zum Guten wenden konnte. Als sich leise Schritte nähern, wende ich mich um. Glorfindel kommt auf mich zu mit zwei Gläsern in Händen. Augenblicklich legt sich ein Lächeln auf meine Lippen.

» Eine schöne Nacht, nicht wahr? «, fragt der Krieger und reicht mir eines der mit Wein gefüllten Gläser. Nebeneinander wenden wir uns dem Geländer zu.

» So ist es. Dem Anlass dieses besonderen Tages angemessen «, erwidere ich. Glorfindel neigt das Haupt und hebt sein Glas. Leises Klirren ertönt, als ich mit ihm anstoße.

» Auf dass der neue König Gondors lange und gerecht herrschen möge «, sagt er und setzt den Kelch an die Lippen.

» Und auf Eru Illúvatar. Möge er ihm Kraft und Weisheit schenken in allen Dingen «, füge ich hinzu und nehme ebenfalls einen Schluck der roten Flüssigkeit.

In diesem Moment ertönt ein leises Räuspern hinter uns. Es ist Daneron, ein Berater meines Vaters.

» Verzeiht die Störung, Milady, Milord «, spricht er mit einer kleinen Verbeugung,

» König Thranduil wünscht Euch zu sprechen, Prinzessin «.

» Danke, Daneron, ich komme sofort «, entgegne ich und drehe mich zu Glorfindel um. Mit einem entschuldigenden Lächeln verabschiede ich mich von ihm – hoffentlich nicht für allzu lange – und eile mit Daneron an meiner Seite in die Festhalle zurück. Mein Vater erwartet mich bereits. Er steht abseits der Menge an einem der hohen Bogenfenster. Als ich mich ihm nähere, lächelt er leicht und entlässt Daneron mit einer Handbewegung.

» Du hast mich rufen lassen, Adar? «, frage ich und deute einen Knicks an. Der Waldlandkönig sieht mich eine Weile einfach nur schweigend an und ich frage mich, was nur geschehen sein könnte.

» Als ich euch beide nach Imladris entsandte, rechnete ich nicht damit, dass ihr euch auf eine solch gefährliche Reise begebt «, beginnt er schließlich, verschränkt die Hände hinter dem Rücken und wendet sich dem Fenster zu. In seiner sonst so monotonen Stimme schwingt ein Hauch von Sorge mit. Mehr wird er in der Öffentlichkeit auch nicht zulassen. Er ist ein König und seiner Meinung nach müssen Könige stets gefasst und beherrscht den Herausforderungen entgegentreten.

» In dieser Zeit eurer Abwesenheit ist mir eines klargeworden «, fährt er fort,

» Ich habe euch vermisst «. Ein strahlendes Lächeln legt sich auf meine Lippen. Vorsichtig lege ich meinem Vater eine Hand auf die Schulter, halte einen Augenblick still und umarme ihn schließlich fest. Zunächst rührt er sich nicht, dann jedoch schlingt er seine Arme um mich.

» Ich habe dich auch vermisst, Adar «, flüstere ich und lache leise.

» Weißt du, woher du deinen Namen hast, yen nîn? «, fragt mein Vater plötzlich und lässt mich los. Fragend sehe ich ihn und er beginnt, zu erzählen.

~Rückblende~

Im Grunde war es ein Tag wie jeder andere in den Hallen König Thranduils. Doch die Stille war an diesem noch undurchdringlicher als gewöhnlich. Die Elben verhielten sich leise und vermieden es tunlichst, ihrem König zu begegnen. Nachdem ihn die Hebammen von der Tür des Schlafgemachs fortgeschickt hatten, schritt er ruhelos in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Selbst hier konnte er die vereinzelten Schreie der Königin hören. Bei jedem Laut – gleichgültig welcher Art – wurde der König noch unruhiger. Er konnte sich nicht einmal entscheiden, was nun schlimmer war. Die Stille oder die Geräusche. Jedenfalls war es ratsamer, ihn nicht mit irgendwelchen Angelegenheiten zu konfrontieren – Königreich hin oder her. Deshalb hatte das sein Sohn kurzfristig übernommen. Prinz Legolas zählte zu dieser Zeit bereits zweihundert Winter und war zu einem tapferen jungen Elben herangewachsen, dem man diese Aufgabe durchaus zutrauen konnte. Auch wenn manchmal doch noch die jugendliche Unbeugsamkeit aus ihm sprach. Mit einem Mal wurde es ganz still im Palast, als hätte der Große Grünwald den Atem angehalten. In eben diesem Moment klopfte es an der Tür und der Prinz trat ein. Der König hielt so ruckartig Inne, als wäre er festgefroren.

» Es möchte dich gerne jemand sehen, Adar «, erklärte Legolas sanft und trat einen Schritt beiseite, um seinem vorbeirauschenden Vater Platz zu machen. Mit wehendem Haar und flatternder Robe eilte dieser zum königlichen Schlafgemach, gefolgt von seinem Sohn. Je näher er besagtem Zimmer kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Als er die Hand auf den Türgriff legte, hielt er erneut Inne, um einmal tief durchzuatmen. Dann trat er ein.

Das Zimmer wurde von Sonnenstrahlen durchflutet. In dem großen Himmelbett lag die Königin. Erschöpft, aber glücklich, lächelte sie auf das kleine Bündel in ihren Armen hinunter. Beinahe ehrfürchtig näherte sich der nun zweifache Vater dem Bett und ließ sich neben seiner Frau nieder. Diese strich vorsichtig das Tuch beiseite, damit Thranduil das Gesicht des Kindes sehen konnte.

» Du hast eine Tochter, melethron nîn «, verkündete die Königin Tindómerel leise. In diesem Moment öffnete die kleine Prinzessin ihre Augen und blinzelte zu den beiden Elben hinauf, die sich da so verzückt über sie beugten.

» Sie ist wunderschön «, hauchte Thranduil und streichelte sanft über die winzigen Fäuste des Neugeborenen, die sich sogleich öffneten und um seine Finger wieder schlossen.

» So wie du «, fügte er hinzu und warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu.

» Sie braucht einen Namen «, erwiderte Tindómerel lächelnd und hauchte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn, auf der sich bereits der Flaum goldenen Haares abzeichnete. Der König beugte sich ein wenig vor und betrachtete seine Tochter. Dabei fielen einige Strähnen seines silbergoldenen Haares nach vorne und kitzelten die kleine Prinzessin. Diese nieste und brachte ihre Eltern damit zum Lachen. Auch sie selbst lachte auf und fasste nach den seidigen Haaren ihres Vaters. Der ließ es bereitwillig geschehen.

» Sie soll Laladriel heißen «, meinte der König schließlich und blickte seine Gemahlin fragend an.

» Das goldene Lachen «, erwiderte diese,

» So soll es sein «. Und so hatte das Königreich des Eryn Lasgalen seit diesem Tag eine Prinzessin, Prinz Legolas eine Schwester und König Thranduil und Königin Tindómerel eine wundervolle Tochter.

~Rückblende Ende~

» Du bist ihr sehr ähnlich «, sagt mein Vater und lächelt,

» Und deshalb sollst du dies hier erhalten «. Er winkt Daneorn zu sich, der dem König eine Schatulle übergibt. Sie ist aus dunklem Holz gefertigt und besitzt silberne Verzierungen an den Rändern und den abgerundeten Ecken. Mein Vater öffnet die Schatulle und es kommt ein filigranes Geschmeide zum Vorschein. An einer silberweißen Kette sind in die dafür vorgesehenen Fassungen kleine, weiße Steine eingelassen. Diese funkeln beinahe wie die Sterne selbst. Mit geschickten Fingern hebt der Waldlandkönig dieses Schmuckstück heraus und legt es mir um den Hals.

» Dies sind die weißen Steine des Eryn Lasgalen. Einst haben sie deiner Mutter gehört «, erklärt er, während er einmal vorsichtig über einen der Edelsteine streicht und in Erinnerungen zu schwelgen scheint. Ich erinnere mich. Er hat mir bereits einmal davon erzählt. Vor vielen Jahren, vor den Toren des Erebor.

» Hannon-le, Adar «, sage ich – überwältigt von diesem wunderschönen Geschenk – und gebe ihm einen Kuss auf die Wange,

» Jetzt habe ich etwas, das mich immer an sie erinnert «.

» Und ich habe dich und deinen Bruder «, erwidert mein Vater und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr,

» Ihr erinnert mich an sie «.



Adar – Vater

yen nîn – meine Tochter

melethron nîn – mein Geliebter

Tindómerel – Tochter der Dämmerung

Laladriel – goldenes Lachen

Hannon-le – Danke

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