Hannon-le

368 18 8
                                    

In den Häusern der Heilung war in den letzten Tagen Ruhe eingekehrt. Nun ist wieder beinahe jeder Lagerplatz besetzt. Etliche Rohirrim und Gondorer wurden verletzt. Viele der Männer haben Wunden davongetragen, die sich nach der langen Reise entzündet haben. Andere sind hier, um sich von der kräftezehrenden Dunkelheit Mordors und der übermäßigen Erschöpfung zu erholen. Aus Platzmangel haben wir jene Patienten nach Hause geschickt, bei denen dies bereits möglich war. Jedes Mal, wenn ich einen der obersten Heiler entdecke, steht in ihren Gesichtern dieselbe Hast wie vor wenigen Wochen. Ich schüttle kurz den Kopf, um den Gedanken loszuwerden, und wende mich meiner Aufgabe im Hier und Jetzt zu. In dem Bett vor mir liegt Frodo. Seine Haut ist so blass und durchscheinend als wäre er ein Geist. Ein Schauder rinnt meinen Rücken hinab bei diesem Gedanken, denn ich erinnere mich noch gut daran, als Aragorn mit den vier Hobbits nach Bruchtal gelangte. Damals war Frodo wirklich kurz davor, für immer in der Geisterwelt zu wandeln. Nun liegt er wieder vor mir, ohnmächtig vor Erschöpfung, geschwächt von den Strapazen der langen Reise und den Wunden. Ich habe bereits den gröbsten Schmutz entfernt und seinen Finger behandelt. Was auch immer geschehen ist, dass er ihn verloren hat, es muss äußerst schmerzhaft gewesen sein. Der Streich einer Klinge ist schnell vorüber, aber es ist kein glatter Schnitt. Vielmehr sieht es aus, als wäre der Finger abgerissen. Nun reibe ich die geschundenen Hobbitfüße mit einer kühlenden Paste ein. Ab und zu mustere ich den Schwarzhaarigen prüfend, ob ich auch keinen Kratzer übersehen habe. Dabei bleibt mein Blick an seinem Hals hängen. Keine Kette und kein Ring baumeln dort mehr. Stattdessen zeichnen sich tiefe, rote Striemen ab. Das goldene Rund muss wahrlich schwer gewogen haben, je weiter sich die beiden tapferen Hobbits dem Schicksalsberg näherten.

Nachdem ich Frodo ausreichend versorgt habe, decke ich ihn gut zu und hauche ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann wende ich mich seinem verwegenen Freund zu, der in dem Bett gegenüber liegt. Sam fehlt zum Glück nicht viel. Wie auch Frodo benötigt er eine Mütze voll ungestörten Schlafes. Auch seine Wunden säubere ich gewissenhaft und reibe seine großen Füße mit der schmerzlindernden Paste ein. Als ich den Rotblonden zudecke, dreht er sich auf die Seite, murmelt etwas Unverständliches und lässt ein wohliges Seufzen vernehmen. Lächelnd gebe ich auch ihm einen Kuss auf die Stirn und setze einen Kräutersud auf. Die Wirkung manchen Krauts entfaltet sich erst, wenn man es zu einem dampfenden Sud kocht. Das schmeckt meist unangenehm bitter, doch es wirkt wahre Wunder. Wer sich strikt weigert, sich das Gebräu einflößen zu lassen, muss eben die Dämpfe inhalieren. Da die Hobbits tief und fest schlafen, werde ich sie deshalb nicht wecken. Nach getaner Arbeit verlasse leise das Zimmer. Sobald ich die Tür geschlossen habe, möchte ich mich emsig wieder nach unten begeben, um den Soldaten zu helfen. Doch als ich mich umdrehe, steht Gandalf vor mir. Vor Schreck zucke ich zusammen.

» Verzeih, ich wollte dich nicht erschrecken «, murmelt der Zauberer entschuldigend und lächelt milde, doch in seinen Augen spiegelt sich dieselbe Sorge wie ich sie empfinde.

» Wie geht es den beiden? «, fragt er. Ich muss erst einmal tief durchatmen, bevor ich sprechen kann.

» Sie werden genesen, doch jetzt brauchen sie viel Ruhe und genügend Schlaf «, antworte ich und mustere mein Gegenüber mit dem geschulten Auge einer Heilerin,

» Dir fehlt bestimmt nichts, Mithrandir? «.

» Nein, meine Liebe «, erwidert er und tätschelt meine Schulter, ehe er sich an mir vorbei in das Zimmer der Hobbits schiebt und sich dort auf einem Stuhl am Fenster niederlässt. Ich nicke dem Istar zu – insgeheim froh darüber, dass er bei den beiden wacht – und setze meinen Weg fort.

Unten angekommen scheinen zwei Personen meinen Blick magisch anzuziehen, was vielleicht auch daran liegen mag, dass es die einzigen Elben unter den vielen Menschen hier sind. Keine Zeit verlierend, eile ich zu ihnen hinüber. Die Königskinder von Düsterwald sitzen nebeneinander auf einem Lager und beobachten das Treiben um sie herum. Sie haben mich längst bemerkt und sehen mir bereits entgegen.

Follow the SunWhere stories live. Discover now