Schwarzer Anhauch

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Ich weiß nicht, wie lange ich zwischen den Verwundeten umherlaufe. Neuankömmlinge werden erstversorgt, Wunden gereinigt, Kräutersalben aufgetragen und Verbände angelegt. Immer wieder hallen Schreie durch die Häuser der Heilung und der dampfige Geruch nach Kräutern, Blut und Schweiß wird immer stärker. Wir öffnen alle Fenster, um Luft hereinzulassen. Doch die Geräusche der Schlacht verunsichern die Soldaten zusehends. Nach einigen Stunden – die Nacht ist schon vergangen und der Tag längst angebrochen – falle ich in einen Trott. Jeder Handgriff sitzt und ich bemerke kaum, wer an mir vorübergeht. Die Frauen tun ihr Bestes, zusammen mit Simuel und Finian. Niemand kommt auch nur einen Moment zur Ruhe. Ständig werden weitere Verletzte hereingebracht und mit ihnen Nachrichten über den Stand der Dinge. Ich höre kaum noch hin, wenn einer der Soldaten Gondors Bericht erstattet. Selbst der Anblick der vielen Toten, die hinausgetragen werden, macht mir nichts mehr aus und geht an mir vorüber. Ich bin erschöpft und müde, doch ich mache weiter. Diese Menschen brauchen jede Hilfe und ich möchte keinen der Männer sterben lassen, ohne nicht mein Möglichstes getan zu haben und um jedes Leben zu kämpfen. Zu viele tapfere Krieger hat diese Schlacht schon genommen. Ab und zu werden auch Frauen und Kinder zu uns gebracht. Die unteren drei Ringe sind vollkommen zerstört worden, etliche sind ums Leben gekommen. Die Orks, Uruk-hai und Trolle verschonen nicht einmal kleine Kinder. Sie sind gefühllose Gestalten, die nur von ihrem Anführer und dem Willen zu töten, Blut zu vergießen und zu zerstören getrieben werden.

» Die Haradrim sind geschlagen und die Armee von Orks beginnt sich aufzulösen «, verkündet ein Wachmann gerade,

» Es war eigentlich aussichtslos, doch dann kamen uns Reiter aus Rohan und Dol Amroth zu Hilfe «.

» König Théoden hat uns also doch nicht im Sticht gelassen! «, murmelt eine der Frauen namens Magda, die dem Mann gerade einen Verband um die Brust wickelt. Der Wachmann nimmt sich den Helm ab und wischt sich über die Stirn.

» Schließlich legte eine Flotte Schiffe mit schwarzen Segeln im Hafen an. Wir dachten, es wäre nun endgültig aus, doch keine Korsaren kamen an Land. Stattdessen ein Heer von...von... «, er bricht ab und holt rasselnd Atem.

» Ein Heer von was? «, fragt Magda gespannt nach,

» Sprecht, guter Mann! «.

» Von Geistern «, erwidert der Soldat mit gedämpfter Stimme und einen Augenblick senkt sich Stille über den Raum,

» Ich weiß, es ist unglaublich. Sie wurden von einem Krieger aus Fleisch und Blut angeführt. Mit ihm waren ein Zwerg und ein Elb. Es heißt, dies wären die verfluchten Eidbrüchigen «. Ich horche auf. Ein Mensch, ein Elb und ein Zwerg? Das können doch nur Aragorn, Legolas und Gimli sein. Augenblicklich werde ich von einer Welle der Freude überflutet. Die drei sind wohlauf! Doch nun sind sie irgendwo dort unten auf dem Pelennor. Der nächste Gedanke trifft mich wie ein Schlag. Ich habe mein Versprechen gegenüber Aragorn gebrochen und habe das Lager bei Dunharg verlassen. Was wird der Erbe Isildurs dazu nur sagen? Ich will lieber nicht daran denken. Viel wichtiger ist jetzt, diesen Leuten zu helfen und so wenig wie möglich leiden zu lassen.

Der Tag geht langsam zu Ende und die Nacht bricht herein. Die Kampfgeräusche verebben langsam, doch das Schreien und Klagen der Menschen bleibt. Die Schlacht sei geschlagen, heißt es, und gewonnen. Doch kann man dies wirklich einen Sieg nennen? So viele Tote werden betrauert, so viel Leid herrscht nun in dieser Stadt. Etliche Krieger von Gondor, Rohan und Dol Amroth sind gefallen. Die Überlebenden sind erschöpft, müde und haben alle irgendwelche Wunden davongetragen. Die einen sind schlimmer, die anderen nur Kratzer. Das meiste wird heilen. Irgendwann. Niemals kann jedoch die Lücken geschlossen werden, die die Gefallenen hinterlassen haben. Simuel muss immer wieder Frauen abweisen, die verzweifelt nach ihren Männern suchen. "Selbst die Nachricht ihres Todes ist besser als diese schreckliche Ungewissheit", hat eine von ihnen gesagt. Ich verstehe sie. In meinem Inneren herrscht eine immer wachsende Unruhe. Ich wünsche zu erfahren, ob es meinen Freunden gut geht. Laladriel, Legolas, Gimli, Merry, Pippin, Gandalf, Éomer, Fürst Imrahil. Ich sehe immer wieder nach Éowyn, doch ihr Zustand verändert sich nicht. Sie liegt da, stocksteif und mit geschlossenen Augen. Ihr Atem geht nur sehr flach und ihr Puls ist viel zu schwach. Niemand weiß, was mir ihr los ist. Nur der Arm der Schildmaid Rohans ist ernster verletzt. Im Moment weiß ich beim besten Willen nicht, was ich machen soll. Durch ein Fenster weht ein der Wind herein und trägt den beißenden Geruch und den Dampf hinaus. Kühle Nachtluft strömt in den Raum und ich atme tief ein. Das Luftholen fällt gleich viel leichter und es scheint fast als drücke nichts mehr so schwer auf meine Lungen. Der Mann vor mir ist gerade eingeschlafen. Ihm fehlen zwei Finger und er hat einige Schnitte an Brust und Kopf davongetragen. Ihn hat es bei Weitem nicht so schlimm erwischt wie manch anderen hier. Einige verloren Beine, Hände, Arme oder Ohren. Ich denke gar nicht lange darüber nach. Das ist der Krieg heute und das war er schon immer.

Ich erhebe mich, um den nächsten Patienten zu versorgen. Zwei Soldaten bringen eine Trage herein, auf der jemand liegt. Neben ihnen schlurft ein Kind mit lockigen Haaren, das die Hand des Getragenen hält. Da die anderen Heiler gerade beschäftigt sind, empfange ich die Gruppe. Erst als sie zum Stehen kommt, erkenne ich, wen ich da vor mir habe.

» Pippin! Merry! «, rufe ich aus. Pippin fällt mir in die Arme, während Merry keine Reaktion zeigt. Er hat die Augen geschlossen, das Gesicht von Blut verschmiert.

» Was ist geschehen? «, frage ich den Hobbit. Die beiden Wachen legen ihre Last neben Éowyns Lager ab.

» Ich habe ihn gefunden. Er bewegt sich nicht, er ist doch nicht etwa... «, Pippin spricht nicht weiter und senkt den Blick. Hastig taste ich nach dem Puls und atme erleichtert auf.

» Nein, ist er nicht «, beruhige ich den Halbling,

» Bleib bei ihm und sag mir sofort Bescheid, wenn er aufwacht, ja? «. Pippin nickt und ich mustere ihn prüfend. Ihm scheint bis auf ein paar Kratzer nichts zu fehlen. Das ist immerhin etwas. Als ich mich umdrehe, bleibt mir fast das Herz stehen. Éomer gefolgt von Aragorn durqueren den Raum. Der Marshall der Mark hat seine Schwester entdeckt, ehe ich etwas erwidern kann. Er lässt sich neben ihr nieder und greift nach ihrer Hand. Aragorn steht wie angewurzelt da und sieht mich an. Einerseits würde ich mich gerne in seine Arme stürzen, andererseits fürchte ich seine Reaktion. Deshalb zögere ich und erwidere seinen unergründlichen Blick.

» Lucea «, flüstert er und steht mit einem Schritt ganz dicht vor mir. Das Grau seiner Augen lässt mich keine Sekunde lang los. Dann legt er seine Arme um mich und zieht mich an seine Brust.

» Wieso bist du hier? «, murmelt er in meine Haare.

» Es tut mir leid. Ich konnte einfach nicht untätig herumsitzen «, erwidere ich und vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter. Seine Hand streicht über meinen Rücken und hinterlässt eine warme, kribbelnde Spur.

» Ich weiß «, sagt er schließlich,

» Ich bin froh, dass es dir gut geht «. Seine Worte zaubern ein erleichtertes Lächeln auf mein Gesicht.

» Der schwarze Anhauch! «, ruft plötzlich eine Stimme. Ich fahre herum. Tjarda, eine der Heilerinnen, steht zwischen Éowyn und Merry. Aragorn reagiert schnell. Er kniet sich neben unsere beiden Freunde und untersucht sie.

» Habt Ihr Athelas? «, fragt er. Tjarda schüttelt den Kopf

» Nein, das Kraut wird bei uns kaum mehr verwendet, Herr «.

» Ich weiß, wo es welches gibt! «, meint Loreth und ist schon verschwunden.

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