Bote

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~Laladriel~

Ich spaziere durch den Garten des Schlosses von Minas Tirith. Von dieser Terrasse aus kann man den gesamten Pelennor überblicken. Das einst grüne Gras ist nun welk und platt auf die Erde gedrückt. Von der großen Schlacht zeugen nur noch wenige Überbleibsel. Haufen von toten Orks, Uruk-hai, Haradrim und ihren Olifanten, die langsam verbrennen. Das Feuer – so verzehrend es auch sein mag – braucht lange, um die Körper zu Staub und Asche zerfallen zu lassen. Auch das Aufräumen in der Hauptstadt Gondors wird noch dauern. Die schweren Katapultgeschütze haben so viel Zerstörung angerichtet. Am schlimmsten ist es jedoch in den unteren drei Ringen. Überall liegen Tote. Auf den Wegen und unter dem Schutt eingestürzter Mauern. Die Menschen Gondors und Rohans werden ihren Familien übergeben und bestattet. Unsere Gegner ereilt dasselbe Schicksal wie die Orks vor den Toren der Stadt. Sie werden dem Feuer übergeben. Trotz unseres Sieges kann sich niemand wirklich freuen. Zu viele Opfer hat diese Schlacht gefordert und viele weitere wird er noch fordern. Heute Abend reiten wir Richtung Mordor. So ist es beschlossen worden. Gondor und Rohan werden Sauron und seine Streitmächte herausfordern – geführt von Aragorn. Wir tun dies nicht, um einen weiteren Sieg zu erringen – das wäre wohl kaum möglich – doch tausende Orks lagern hinter den schwarzen Toren und versperren Frodo und Sam den Weg zum Schicksalsberg. Nun liegt es an uns, sie herauszulocken und von den beiden Halblingen abzulenken. Ich hoffe, dass es klappt. Wenn nicht, ist Mittelerde mit all seinen Bewohnern verloren. Egal, ob Mensch, Elb, Zwerg oder Zauberer. Gerade erreiche ich die oberste Trasse der Gärten und lasse meinen Blick über die unteren Ringe und den Pelennor schweifen. Ein weißer Punkt, der sich auf das Stadttor zubewegt, erregt meine Aufmerksamkeit. Ich verfolge sein Näherkommen bis ich das weiße Pferd genauer sehe. Es trägt einen Reiter, der in dunkelblaue Gewänder gehüllt ist. Hellblonde Haare umrahmen sein Gesicht. Als ich erkenne, wer da angeritten kommt, macht mein Herz einen kleinen Satz. Flink mache ich mich auf den Weg zum Schloss.

Ich erreiche den weißen Baum, da begrüßen die anderen den Neuankömmling bereits.

» Es ist schön, dich zu sehen, Glorfindel «, sagt Aragorn und klopft dem Elb auf die Schulter. Dieser neigt den Kopf

» Wie ich sehe, habt ihr die Schlachten um Rohan und Gondor erfolgreich geschlagen. Lord Elrond wird erfreut sein, das zu hören «.

» Nun, was führt Euch hierher? «, fragt Gandalf.

» Ich bringe Kunde aus Bruchtal. König Thranduil traf vor einigen Tagen dort ein. Lord Elrond schickt mich, um ihnen Bericht zu erstatten «, erklärt Glorfindel sachlich. Legolas und ich wechseln einen Blick. Seit wann verlässt Vater seine Hallen einfach so? Doch im Moment habe ich keine Zeit darüber nachzudenken. Nun gilt es, sich für den bevorstehenden Weg zum schwarzen Tor vorzubereiten.

» Heißt das, Ihr werdet uns sofort wieder verlassen? «, frage ich und ein Gefühl steigt in mir hoch. Eine Art Kälte. Der Elbenfürst wendet sich beim Klang meiner Stimme um. Er schenkt mir ein Lächeln und seine Augen funkeln.

» Nein, selbst Asfaloth braucht einmal etwas Ruhe, Milady «, antwortet er. Bei dieser höflichen Ansprache zucke in unmerklich zusammen. Daran muss ich mich wohl erst wieder gewöhnen. Ich sage daraufhin nichts, sondern erwidere nur sein Lächeln. Einen Moment lang sucht sein Blick den meinen.

» Du bist ein willkommener Gast. Komm, es gibt viel zu besprechen «, meint Aragorn und reißt uns somit auseinander. Zusammen betreten wir die große Halle aus weißem Marmor. Der ehemalige Waldläufer geht voraus und führt uns in einen etwas kleineren Raum mit einem Tisch und Stühlen. Durch ein großes Fenster fällt das Licht der Mittagssonne herein. Aragorn, Legolas, Éomer, Gimli und Glorfindel setzen sich, während Gandalf gedankenverloren vor dem Fenster stehen bleibt. Ich rutsche neben meinem Bruder auf die Bank und höre dem Gespräch nur mit halbem Ohr zu.

» Ihr wollt den Herrn des schwarzen Landes direkt vor den Mauern Mordors herausfordern, um ihn vom Ringträger abzulenken? «, fragt Glorfindel nach und wiegt den Kopf hin und her.

» So ist es «, meint Gandalf ohne sich umzudrehen,

» Nur so können wir den Hobbits im Moment helfen «.

» Wenn das so ist, werde ich heute Abend mit euch ziehen «, sagt Glorfindel entschlossen.

» Hannon-le, mellon nîn «, erwidert Aragorn leise und erhebt sich,

» Ich werde den anderen Bescheid sagen «. Damit verlässt er – gefolgt von Éomer – den Raum.

» Ich ziehe mich zurück, um mich vorzubereiten «, meine Worte brechen das kurzzeitige Schweigen. Mit einem kurzen Nicken verlasse ich den Raum ebenfalls.

In meinem Gemacht lehne ich mit einen Moment an die Tür, schließe die Augen und atme ein paar Mal tief ein und aus. Dann suche ich mir geeignete Kleidung aus der Kommode und lasse mir ein Bad ein. Das ist ein Luxus, den ich auf unserer langen Reise sehr selten hatte. Wer weiß, wann ich ihn das nächste Mal haben werde – jetzt, wo wir wieder in den Kampf ziehen. Nachdem ich mich wieder angekleidet habe, flechte ich meine Haare zu einem festen Zopf und lege meinen Gürtel mit meinem Dolch und dem Wurfmesser von Galadriel um meine Taille. Ein Harnisch und lederne Armschienen schützen meinen Körper. Bogen und Köcher lege ich noch nicht um meine Schultern, dafür ist es zu früh. Ich könnte ein wenig rasten, doch ich fühle mich kein bisschen erschöpft. Stattdessen zieht es mich wieder zu den Gärten. Dort herrscht eine friedliche Ruhe. Die Geräusche der Stadt gelangen nicht zu den grünen Hainen hinauf. Man kann dort gut nachdenken. Gemächlich spaziere ich durch das Gras und unter den Bäumen hindurch zur Mauer. Von dieser Stelle aus entdecke ich die Menschen in den Gassen, die sich auf unseren Aufbruch vorbereiten. Männer in Rüstungen mit den Wappen Gondors oder Rohans eilen mir Waffen, Proviant und Decken in Richtung der Ställe. Andere verabschieden sich von ihren Frauen und Kindern. Im Grunde ist dieses Ablenkungsmanöver eine grausame Art, die Überlebenden der letzten Schlachten in eine weitere zu schicken – und das ohne jegliche Erfolgsaussichten. Ich will nicht wissen wie viele der 5.000 Krieger hierher zurückkehren werden. Ich hoffe sehr, dass ihre Zahl nicht erschreckend klein sein wird. Eine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

» Milady Laladriel, hier seid Ihr. Euer Bruder sucht Euch «, meint Glorfindel und tritt neben mich. So nah, dass sein Arm den meinen streift. Beinahe augenblicklich zieht sich eine kribbelnde Gänsehaut über meinen Körper.

» Danke, Milord «, erwidere ich nur, ohne mich von der Stelle zu rühren.

» Habt Ihr etwas Neues über die Orks an der Grenze herausgefunden? «, frage ich stattdessen.

» Ihr erinnert Euch daran? «, fragt Glorfindel zurück. Seine Stimme klingt nicht spöttisch, er lächelt sogar.

» Natürlich «, murmle ich schlicht.

» Nun, dass Saruman ein Verräter war, wisst Ihr bereits. Diese Orks waren Boten, die ihresgleichen suchten, um das Heer Isengards zu vergrößern. Zudem sollten sie den Weg und die Grenzen aller noch nicht unterworfenen Provinzen Mittelerdes auskundschaften. Bevor Sauron seine gesamte Aufmerksamkeit Rohan und Gondor schenkte, gab es auch auf die Elbenreiche Angriffe «, berichtet der Fürst. Ruckartig wende ich mich ihm zu.

» Ist das der Grund, warum mein Vater den Düsterwald verließ? «, Fragen um Fragen kreisen in meinem Kopf umher. Ein schlechtes Gewissen überfällt mich. Ich hätte meinen Vater und den Düsterwald nicht verlassen sollen. Ich hätte mit Legolas zurück nach Hause kehren sollen, um unserem Volk beizustehen. Aber nein, stattdessen wandere ich durch halb Arda. Glorfindel sieht mir so durchdringend in die Augen als könnte er darin meine Gedanken lesen. Schließlich schüttelt er nur den Kopf und schweigt. Mehr Antwort werde ich auf diese Frage wohl nicht erhalten, das kann ich auch nicht erwarten. Niemand weiß, aus welchen Gründen mein Vater etwas tut. Das weiß wohl nur er selbst. Also werde ich Thranduil fragen müssen, sollte ich aus dieser letzten – mehr oder weniger alles entscheidenden – Schlacht zurückkehren.



Hannon-le, mellon nîn – Danke, mein Freund

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