Mojca

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~Lucea~

Ich werde von einem stechenden Schmerz an der Schläfe aus meinem traumlosen Schlaf gerissen. In dem Halbdunkel, in dem ich mich befinde, erkenne ich zunächst gar nichts. Nach und nach heben sich die Konturen meiner Umgebung hervor und mein Blick wird klarer. Der Himmel über mir ist pechschwarz und seltsame Figuren scheinen über ihn zu tanzen. Mit einem Ruck setze ich mich auf. Viel zu schnell, denn alles beginnt sich zu drehen. Ich schließe die Augen, atme tief durch und öffne sie wieder. Vor mir befindet sich ein Gitter mit dicken Eisenstangen. Verwirrt sehe ich mich um. Über mir ist gar nicht der Himmel, sondern schwarzer Stein. Auch links und rechts ist nichts als dieser dunkle Fels. Mit den Händen möchte ich über den Boden tasten, doch ich kann sie nicht bewegen. Sie sind hinter meinem Rücken zusammengebunden, das Seil schneidet tief in meine Haut ein. Die seltsamen Figuren an der Decke stammen von einer leicht glimmenden Fackel an der linken Wand. Dies scheint das einzige Licht hier zu sein. Nur, was ist dieses Hier? Wo bin ich? Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Düsternis und ich erkenne auf der anderen Seite des schmalen Gangs eine weitere Zelle. Ob sich darin allerdings jemand befindet, kann ich nicht sagen. Vorsichtig versuche ich, aufzustehen. Jede Bewegung schmerzt. Wie lange habe ich wohl geschlafen? Durch die ungünstige Haltung meiner Arme, ist mein Körper steif geworden. Die durchdringende Kälte des massiven Steins trägt ihren Teil dazu bei. Nach und nach gelingt es mir, weiter an das Gitter heran zu rutschen.

» Hallo? «, sage ich leise und doch laut genug, damit mich derjenige in der anderen Zelle hören könnte. Ich erhalte keine Antwort.

» Ist da jemand? «, frage ich noch einmal. Diesmal etwas lauter. Da regt sich etwas. Eine kleine, magere Gestalt kommt näher das das jenseitige Gitter.

» Was willst du? «, fragt die Person barsch. An der Stimme erkenne ich ein junges Mädchen.

» Entschuldige, weißt du, wo wir hier sind? «, frage ich. Das Mädchen lacht heiser.

» Du willst mir doch nicht erzählen, dass du nicht weißt, was das hier ist? «, meint es spöttisch,

» Zuerst dachte ich, du seist tot. Wäre vielleicht besser gewesen «. Diese Worte erstaunen mich, doch dabei lasse ich es nicht beruhen

» Wie lange habe ich geschlafen? «. Wieder lacht das Mädchen.

» Ich würde das nicht als Schlafen bezeichnen. Du warst fünf Tage bewusstlos «, antwortet es schließlich und murmelt leise,

» In diesem Loch scheint die Zeit sowieso kriechend zu vergehen! «. Fünf Tage? Mit einem Schlag fällt mir alles wieder ein. Der Angriff der Uruk-hai, Merry und Pippins Ablenkungsmanöver, Frodo und Sams Flucht mit dem Boot. Fragen über Fragen wirbeln in meinem Kopf umher. Wie ist es dem Ringträger ergangen? Leben die Gefährten? Wo sind sie und wo bin ich? Damit wende ich mich wieder an das Mädchen.

» Sag mir bitte, wo wir hier sind. Ich muss hier raus und zurück zu den... «, ich breche augenblicklich ab. Kann ich diesem Mädchen wirklich erzählen, wieso ich hier gelandet bin? Mit wem ich unterwegs war und aus welchem Grund? Vermutlich würde Gandalf raten, niemandem zu trauen, den man nicht inn- und auswendig kennt. Mein Gegenüber seufzt theatralisch

» Du hast tatsächlich keine Ahnung...das hier ist der Orthanc, Sarumans Heim «. Meine Augen werden immer größer. Eigentlich logisch, Saruman, der Weiße, hat alle Regeln der Istari gebrochen. Orks und Uruk-hai arbeiten unter dem Zeichen der weißen Hand und der Zauberer steht vermutlich in Kontakt mit Sauron. Bei diesem Gedanken rinnt mir ein eiskalter Schauder den Rücken hinab.

» Wie heißt du? «, frage ich das Mädchen leise. Einen Moment scheint es zu zögern.

» Mojca «, antwortet sie schließlich.

» Und wieso bist du hier? «, frage ich weiter.

» Das geht dich nichts an! «, ist die prompte Antwort. Eine Weile herrscht Schweigen. Ich werde mich wohl damit abfinden müssen, dass das Mädchen nicht reden will. Nun schweifen meine Gedanken zu den Gefährten. Laladriel, Legolas, Gimli, Boromir, Merry, Pippin, Sam, Frodo und Aragorn. Ich hoffe, es geht ihnen allen gut und sie sind in Sicherheit. Zumindest für einige Zeit. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was Saruman mit mir vorhat. Ganz sicher will er Informationen über den Einen Ring. Mein Mund wird verschlossen bleiben!

» Ich diene als Druckmittel «, gesteht Mojca plötzlich. Ich sehe auf, erwidere jedoch nichts.

» Mein Vater ist der Anführer der Dunländer, die Saruman auf diese Weise unterwerfen will... «, fährt sie fort. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Die Dunländer sind ein kleines Völkchen, aber im Kampf gefürchtet. Sie besitzen nicht viele Waffen, aber sie gehen wild mit ihnen um. Sie leben in Dunland, einem Hochland westlich von Rohan.

» Und was ist mit dir? Wie heißt du und woher kommst du? «, fragt das Mädchen nun.

» Ich bin Lucea und komme ursprünglich aus Bruchtal «, erkläre ich ausweichend und wiege jedes meiner Worte sorgfältig ab. Sollte Mojca später in Sarumans Diensten stehen, darf sie nichts über den Ring, Frodo oder die Gemeinschaft wissen.

» Bruchtal... «, echot das Mädchen leise,

» Dann hast du sicher schon viele Elben gesehen «. Ich gehe nicht darauf ein, denn mein Magen beginnt zu knurren. Fünf Tage lang habe ich weder etwas gegessen, noch getrunken.

» Bekommen wir hier eigentlich etwas zu essen? «, frage ich deshalb.

» Ja, jeden Tag bekommt man ein Stück Brot und etwas Wasser «, meint Mojca. Als wäre dies das Stichwort, nähern sich rasche Schritte. Begleitet von dem Klimpern und Klackern eines Schlüsselbundes. Kurz darauf biegt jemand um die Ecke und steckt eine Fackel in die dafür vorgesehene Halterung an der Wand des Gangs. In dem Licht erkenne ich einen eher kleinen Ork mit krummem Rücken. Er stapft zu meiner Zelle und schiebt etwas zwischen den Gitterstäben hindurch. Die schwarzen Augen funkeln böse, als er mich bemerkt.

» Ach, da ist jemand wach geworden. Na, gut geschlafen? «, fragt er mit vor Hohn triefender Stimme. Ich bemühe mich, die Kreatur nicht anzusehen. Aus dem Augenwinkel verfolge ich jedoch, dass er ein kleines Messer hervorzieht und durch die Gitterstäbe steckt. Ich vermag mich nicht zu bewegen. Mit der einen Hand reißt mich der Ork herum und mit einem Ruck sind meine Hände frei.

» Du hast einen ganz ordentlichen Schlag abbekommen. Schade, dass der Herr dich noch braucht, sonst gäbe es heute ein leckeres Abendessen! «, sagt der grässliche Ork. Ich kann nicht verhindern, dass sich mein Gesicht angeekelt verzieht und ich mir an die Schläfe fasse. Sobald ich eine Stelle neben dem Auge berühre, durchzuckt mich Schmerz. Eine Platzwunde! Der Ork lacht krächzend, wendet sich um und marschiert zu Mojca hinüber. Schnell greife ich nach dem, was auf dem Metallteller liegt. Es ist ein trockenes Stück Brot und ein Becher mit eiskaltem Wasser. Besser als nichts immerhin. Ganz langsam breche ich kleine Bröckchen Brot ab und kaue sie lange. Ich habe mir auf unserer Reise angewöhnt, so zu essen. Auf diese Weise wird man schneller satt und benötigt nicht so viel Proviant. Den Becher hebe ich an meine aufgeplatzten Lippen und leere ihn in kleinen Schlucken.

Mojca und ich schweigen auch noch, als der Ork schon längst fort ist. Eine Weile habe ich überlegt, ob ich ihr nicht doch etwas erzählen soll, doch habe ich diesen Gedanken schnellstens wieder verworfen. Entweder, sie erzählt es Saruman oder sie gerät in große Schwierigkeiten. Ich begnüge mich damit, mein Medaillon unter meiner Tunika hervorzuholen und zwischen den Fingern zu drehen. Es ist ein Wunder, dass die Uruks es nicht entdeckt und mir weggenommen haben. Immer wieder taste ich über das eingravierte Wappen und denke an Arwens Worte zurück. Die Elbin offenbarte mir, dass ich eine Dúnedain bin. Noch immer scheint mir dieser Gedanke völlig absurd, aber dennoch muss es wahr sein. Wie sonst könnte ich mit meinem Alter noch so jung aussehen? Ich stelle mir nur die Frage, warum mir Elrond und Arwen nicht früher davon erzählt haben. Meine Ziehmutter sagte, ich wäre auf diese Weise sicherer. Ein lange verschollenes Wappen einer Dúnedain-Familie aus dem Norden bleibt sicher nicht lange unbemerkt. Die Zeit vergeht quälend langsam, ich habe keine Ahnung, ob die Sonne bereits auf- oder untergegangen ist. Ich kauere mich an der hinteren Wand zusammen und schlafe mit der Kette in der Hand ein.

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