Fürst Imrahil von Dol Amroth

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Nach einer Nacht, in der ich kaum ein Auge zugetan habe, bricht ein sonniger Morgen an. Dennoch ist die Stimmung angespannt. Das Heer von Rohan macht sich bereit zum Aufbruch. Die Männer haben die Nachricht von Aragorns Weggang nicht gerade positiv aufgefasst. Sie denken nicht an Sieg oder Kampfgeist, sie sind auf eine Niederlage eingestellt. Viele erwarten ihren Tod. Als ich unser Zelt betrete, steht Éowyn in voller Rüstung vor mir. Das Schwert an ihrer Seite und ein Schild auf ihrem Rücken. Die langen blonden Haare hat sie unter einem Helm versteckt, unter dem ihre Augen hervorblitzen.

» Was tust du denn? «, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne.

» Ich werde mit ihnen reiten, Lucea «, erklärt mir die Schildmaid Rohans mit gedämpfter Stimme,

» Und Merry wird mich begleiten «. Ihre Worte jagen mir einen Schauer den Rücken hinab, denn etwas Düsteres liegt über diesem Tag.

» Éowyn, du wirst... «, die Blonde hebt die Hand,

» Sag es nicht, es wird mich nicht von meinem Vorhaben abbringen «. Sie schenkt mir ein kleines Lächeln und nimmt mich in den Arm.

» Was auch immer geschehen wird, ich lasse mein Volk in dieser Stunde nicht allein. Der Heerführer Aragorn mag geflohen sein, aber... «, nun ist es mir, sie zu unterbrechen.

» Er ist nicht geflohen! «, sage ich vielleicht etwas zu nachdrücklich, denn Éowyn sieht mich mit großen Augen an.

» Er...er ging, weil er gehen musste «, erkläre ich langsam.

» Hier seid ihr «, stellt jemand fest und tritt neben mich. Laladriels langes Haar ist zu einem Zopf geflochten und ihr Körper wird von einem ledernen Harnisch geschützt. Wie immer sind ihr Dolch, Köcher und Bogen ihre Begleiter. Die Elbin mustert Éowyn mit einem undurchdringlichen Blick von oben bis unten.

» Bist du wirklich sicher, dass du mitkommen willst? «, fragt sie skeptisch. Die Schwester Éomers nickt bestimmt und richtet sich etwas auf.

» Ich bin bereit dazu «, erwidert sie und marschiert nach draußen.

» Wäre ich irgendeiner Waffe mächtig, würde ich ihr folgen «, flüstere ich und sehe zu Boden,

» Doch ich bin es nicht. Ich wäre euch allen sowieso nur eine Last «. Laladriel legt mir eine Hand auf die Schulter

» Du hast ihm versprochen, hierzubleiben «.

» Ich weiß «, hauche ich und hebe den Kopf,

» Ich weiß «.

Wenig später sind die Reiter bereit. König Théoden, Marschall Éomer und einige andere Befehlshaber setzen sich an die Spitze des Zuges. Laladriel schwingt sich auf ihr Pferd, Éowyn und Merry sitzen bereits auf einem.

» Männer Rohans! «, König Théoden richtet das Wort an sein Volk,

» Mag sein, dass wir keinen Sieg erringen können, aber wir werden unser Leben so teuer verkaufen wie möglich. Mögen so viele dunkle Kreaturen mit uns in den Abgrund stürzen wie es Hügel in unseren Landen gibt. Seid tapfer, kämpft so gut ihr es gelernt habt und schützt die euren! «. Die Stimme des Königs wird gegen Ende seiner kurzen Rede immer leiser und dennoch jubelt die Menge und setzt sich in Bewegung. Reiter um Reiter stürmen an mir vorbei, Éowyn und Merry winken mir zum Abschied und schließen sich den anderen an. Laladriel verweilt noch einen Augenblick.

» Ich hoffe, dein Weg wird dich schlussendlich zum Ziel führen «, sagt sie, nickt mir zu und treibt Arod an. Der Hengst stürmt auf der Stelle los und holt die Schildmaid und den Hobbit mit Leichtigkeit ein. Ich eile schnell auf die höchste Hügelkuppe hinauf und sehe ihnen nach. Eine einsame Träne rollt über meine Wange bis zu meinem Kinn. Dort fange ich sie mit einem Finger auf und betrachte das salzige Wasser. Es glitzert in der Sonne. Irgendwie gibt mir das ein Gefühl der innerlichen Ruhe und Hoffnung. Hoffnung auf ein Wiedersehen mit all meinen Freunden, die vor einigen Monaten – am Beginn unserer Reise – kaum gekannt habe. Doch mit der Zeit sind sie mir alle ans Herz gewachsen und möchte sie nicht missen. Jetzt sind sie alle so weit weg, beinahe unerreichbar. Und ich stehe hier inmitten einem Meer aus Zelten und kann nichts tun, fühle mich nutzlos. Ich wünschte, jemand würde mir sagen, was zu tun ist, was ich überhaupt tun kann außer zu hoffen.

Es ist bereits später Nachmittag, da höre ich Hufgetrappel. Sofort springe ich auf und verlasse mein Zelt. Auch einige andere Frauen sammeln sich zwischen den Zelten und deuten auf etwas. Ich folge ihren ausgestreckten Armen und erkenne Pferde mit ihren Reitern, die auf das Lager zusteuern. Es dauert nicht lange, da haben sie uns erreicht. Ein Mann auf einem weißen Schimmel führt die große Gruppe. Er trägt edle Kleider unter seiner Rüstung und ein Helm mit Federn darauf schmückt seinen Kopf.

» Fürst Imrahil von Dol Amroth! «, ruft eine Frau und deutet eine Verbeugung an. Doch der Fürst winkt ab und gleitet vom Rücken seines Pferdes.

» Seid gegrüßt, aber wo ist König Théoden? Es hieß, wir sollten ihn hier treffen «, meint der Fürst.

» Mit Verlaub «, sagt eine ältere Frau und tritt vor,

» Der König verließt dieses Lager bei Tagesanbruch «.

» Gut, dann können wir sie noch erreichen! «, ruft Fürst Imrahil aus und schwingt sich wieder auf sein Pferd. Gerade wendet er den prächtigen Schimmel, da wird mir etwas klar.

» Wartet! «, rufe ich und die folgenden Worte verlassen wie von selbst meinen Mund,

» Meine Bitte mag eigenartig klingen, dennoch. Nehmt mich mit nach Minas Tirith «.

» Eine Frau, die in den Kampf ziehen will? «, fragt der Fürst ungläubig und zieht eine Augenbraue in die Höhe,

» Nein, Milady, Ihr tut besser daran, hier in Sicherheit zu bleiben und auf die Rückkehr der Krieger zu warten «.

» Doch das ist es gerade, ich fürchte um das Leben meiner Freunde und möchte nicht als Einzige zurückgelassen werden «, erwidere ich füge in Gedanken "Nicht schon wieder" hinzu.

» Euer Herz ist jetzt mutig, doch Ihr würdet den Anblick des Krieges nicht ertragen «, argumentiert der Fürst.

» Ich habe nicht vor, in den Kampf zu ziehen, Milord, ich möchte zu den Häusern der Heilung. Ich weiß, dies ist der einzige Ort, wo ich helfen kann «, sage ich schnell, um meine Bitte zu erklären.

» Nun gut, wenn dies Euer Wunsch ist «, erwidert der edle Herr und neigt den Kopf,

» Doch wisset, es wird nicht einfach, in die Stadt zu gelangen «. Mein Herz macht einen Satz und auf einmal bin ich sicher, dass ich das Richtige tue.

» Könnt Ihr reiten? «, möchte der Fürst nun wissen. Ich greife ein angebundenes Pferd am Halfter und schwinge mich in den Sattel.

» So sei es denn «, murmelt er und ruft seinen Männern zu,

» Formiert euch, wir reiten nach Minas Tirith! «.

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