- Kapitel 52 -

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‚Ist das sein Ernst? Es wirkt ja nahezu so, als würde er mehr als Freundschaft für mich empfinden...', dachte June.

Alex deutete auf sein Bett und sagte: „Wenn du willst, können wir beide dort schlafen. Aber wenn dir das zu viel ist schlafe ich auf dem Sofa."

„Nein, nein. Passt schon.", sagte June lächelte und fragte sich, was sie hier eigentlich gerade tat. Wenn Miloš davon erfahren würde... ‚Aber was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.' Mit diesem Gedanken zog June das Shirt an, was Alex ihr gegeben hatte, damit sie nicht in ihren Straßenklamotten schlafen musste.

„Steht dir.", sagte er, als June sich zu ihm legte.

Alex nahm June in den Arm, woraufhin June binnen kürzester Zeit einschlief. So absurd es klang, sie fühlte sich wohl bei ihm.

Am nächsten Morgen riss der Wecker beide aus dem Schlaf. June wurde als erste wach und bemerkte, dass Alex sich dicht an sie gekuschelt und fest in die Arme genommen hatte. Eng umschlungen lagen sie da. Alex war noch nicht richtig war und June in völligem Gefühlschaos.

Hatte sie für Miloš und Alex Gefühle? Geht das überhaupt? Wer war nun der Richtige? Wenn sie nur Gefühle für Milošhätte, wäre sie dann die Nacht über bei Alex geblieben und hätte mit ihm in einem Bett geschlafen und würde überhaupt über die Möglichkeit nachdenken, dass sie für jemand anderen auch Gefühle haben könnte? Was sollte sie jetzt machen? Sollte sie Miloš von letzter Nacht erzählen oder lieber nicht? Es war zwar nichts passiert, doch das würde Miloš ihr bestimmt nicht glauben.

Doch darüber würde June sich später Gedanken machen. Zunächst frühstückte sie noch schnell mit Alex, bevor sie sich zur Schule aufmachen wollten.

„Oh nein! Mist. Das ist schon wieder typisch.", fluchte June, nachdem sie den riesigen Marmeladenfleck auf ihrem T-Shirt bemerkte.

„Nicht schlimm. Ich gebe dir einen Pulli von mir.", entgegnete Alex, ging in sein Schlafzimmer und kam mit einem dunkelgrauen Hoodie wieder. In Windeseile tauschte June ihr Oberteil gegen den ihr viel zu großen Kapuzenpulli von Alex. Er roch nach ihm. June fand es früher immer toll, wenn die Mädels in den übergroßen Pullis ihrer Freunde rumliefen. Nun hatte sie einen Pulli von... Ja, was war Alex eigentlich? Er war nur ein Freund. Erstmal. Beschloss June.

Alex nahm June in seinem schwarzen, alten VW Golf mit zur Schule. Sie hoffte inständig, dass Anne und Marielena nicht sehen würden, wie die beiden gemeinsam zur Schule kamen. Das würde nur für unnötigen Zündstoff zwischen ihnen sorgen.

Zum Glück wurde sie tatsächlich davor verschont. Alex ließ June, auf ihren Wunsch hin, vorgehen und kam fünf Minuten später nach.

Den ganzen Tag konnte June sich nicht auf den Unterricht konzentrieren, weil sie zu sehr darüber nachdachte, für wen sie welche Gefühle hatte. Doch sie kam zu keinem endgültigen Ergebnis.

Nach der Schule fuhr Alex June direkt in den Stall. Sie hatte 10 Anrufe in Abwesenheit. Vermutlich von ihren Eltern. Ebenso viele ungelesene Nachrichten hatte sie. Auf dem Weg zum Stall las sie sich die Nachrichten durch. Ihre Eltern schienen sich wirklich Sorgen zu machen. Um sie ein wenig zu beruhigen, schrieb sie kurz und knapp, dass sie OK war.

Im Stall angekommen, bedankte June sich bei Alex, dafür dass er sie gefahren und ihr den Pulli geliehen hatte. Sie umarmte ihn und hatte das Gefühl, dass die Umarmung intensiver war als sonst. Alex nahm sie fester und länger in den Arm und June war der Meinung, dass seine Hand etwas tiefer, an ihre Taille, gerutscht war.

June stieg aus, bedankte sich ein zweites Mal schlug die Tür zu und warf ihm noch ein Lächeln zu.

Als sie sich umdrehte, stand Miloš hinter ihr. ‚Mist!', dachte June.

"Ach nein... Hat sie sich gleich den nächsten geangelt?", begrüßte Miloš June vorwurfsvoll-sarkastisch.

"Spinnst du? Er hat mich bloß hergefahren!", entgegnete June wütend.

"Bloß hergefahren... Ist klar. Und was ist dann das?", fragte Miloš und deutete auf den Pulli seiner Freundin.

"Der ist von ihm, weil ich mir heute morgen Marmelade auf meine geklecktert habe."

'Shit!', dachte June. Somit hätte sich die Frage, ob sie Miloš von letzter Nacht erzählen sollte, oder nicht, auch erübrigt.

"Heute morgen? Hast du etwa bei dem Spacko geschlafen?", fragte Miloš entsetzt.

"Ja habe ich. Irgendwo musste ich ja hin, wenn mein Freund nicht für mich da ist! Nach Hause konnte ich ja nicht!"
"Ist klar. Wer ist denn hier durchgedreht?"
"Du hättest ja wenigstens auf meiner Seite sein können!"
"Auf deiner und somit auf der Seite von deinen sogenannten 'Freunden'?"
"Ja!"
"Merkst du eigentlich noch 'was? Die haben mich und meine Familie zutiefst beleidigt! Das Thema hatten wir auch schon einmal, falls du dich daran erinnerst!"
"Trotzdem hättest du als mein Freund für mich da sein können!"
"EX-Freund! Ich habe mich in eine andere June verliebt und nicht in das, was du im Moment bist oder vorgibst zu sein!", sagte Miloš, drehte sich um und ging.
"Das... Das ist nicht dein Ernst!", rief June und weinte. "MILOŠ!", brüllte June ihrem nun Ex-Freund hinterher.
Doch dieser ignorierte die Rufe seiner Freundin so gut es ging.

June wollte ihm nachlaufen, doch sie hatte keine Kraft mehr. Es fühlte sich an, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen. Sie fiel und fiel. Immer tiefer in ein beklemmend enges,
dunkles Loch. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand ein Stück ihres Herzens rausgerissen. Vollkommene leere und doch unerträglicher Schmerz erfüllten ihren zarten Körper.


June dachte an die zeitbedingten, wenigen schönen Momente mit Miloš. Wie sie sich das erste Mal in der Sattelkammer begegnet waren und sie kein Wort hervorbringen konnte, weil sie durch seine Anwesenheit völlig neben der Spur war. Wie sie sich das erste Mal getroffen hatten. Wie er sie mit seinen wunderschönen, ozeanblauen Augen ansah. Wie er sie berührte. Wie er sie küsste.

All das, waren nun nur noch schmerzhafte Erinnerungen. Verletzt und sauer auf ihre eigene Dummheit kauerte sie mitten auf dem Parkplatz des Reitstalls. Zum Glück war sie alleine.

Auch, als es bereits zu regnen begann blieb sie einfach sitzen. Ihre Tränen vermischten sich mit den dicken Regentropfen, die vom Himmel fielen. Ihr T-Shirt war durchnässt, ihr Haar fiel strähnig über ihr Gesicht und die Schultern. June stützte die Arme auf ihre Knie und legte den Kopf auf diese.

Dann lies sie all den Schmerz in Form von Tränen und Schluchzen aus ihrem Körper entweichen.

Der Weg zum Licht [***Abgeschlossen***]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt