- Kapitel 1 -

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June saß in ihrer Klasse, war jedoch nur körperlich anwesend. Geistig schwebte sie wieder einmal in einem ihrer Tagträume. Sie schaute aus dem Fenster und beobachtete das Geschehen auf dem Sportplatz. Die jüngsten hatten gerade Sportunterricht. Leichtathletik. Sie hasste es und war ihrer Meinung nach vollkommen talentfrei, was das anging. June sah den Kindern zu, wie sie sich gegenseitig Bälle zuwarfen und sich dabei immer weiter voneinander entfernten. Schweiß lief an ihrer Haut in dünnen Rinnsalen hinab. Bei gefühlten 30° Grad Celsius war das bei weitem kein Wunder.
Wenn June genau hinsah, konnte sie die Luft über der roten Aschenbahn leicht flimmern sehen.

Plötzlich wurde sie mit einem Ellenbogen angestoßen. „June, du bist dran!", raunte ihre beste Freundin Emily ihr zu. Lustlos erhob sie sich von ihrem Platz, um nach vorne zum Lehrerpult zu gehen, damit sie sich ihr Zeugnis abholen kann. Wortlos, nahm sie es entgegen und wollte gerade wieder zurück zu ihrem Platz gehen, als einer ihrer Mitschüler ihr entgegenrief: „Na June, was hast du für Noten? ‚Verträumt', ‚körperlich abwesend' und ‚in einer anderen Welt'?" „Eine mit Einhörnern und Feen?", prustete Josh, während er von seinem Platz aufsprang und hüpfend mit dem Zeigefinger an der Stirn ein Einhorn darstellen wollte. Die ganze Klasse fing an zu lachen. „Josh! Milos! Setzt euch wieder hin! Ruhe jetzt!", tadelte die Klassenlehrerin.

June ließ sich ihren Scham nicht anmerken und setzte sich wieder hin. Als der nächste an der Reihe war, beruhigten sich alle wieder. „Los, zeig mal her!", sagte Emily etwas überschwänglich und nahm June das Zeugnis aus der Hand. „Mensch June! Du hast ja nur Einsen und Zweien!" Etwas verlegen grinste June und warf selbst einen Blick darauf. Sie war schon immer gut in der Schule, aber in der letzten Zeit nahmen die Sticheleien ihrer Mitschüler zu. Es ärgerte June, dass sie es doch so nah an sich ranlässt.

Angefangen hatte das vor 2 Jahren, als sie in die Oberstufe wechselte und schnell zu Klassenbesten wurde. Es war schlichtweg der Neid, welcher ihre Mitschüler zu den Sticheleien veranlasste.

June war noch nie wirklich beliebt gewesen. Das wollte sie auch bei weitem nicht. Lediglich akzeptiert werden wollte sie. Schließlich kann niemand etwas dafür, wie er ist. Sie schob die negativen Gedanken beiseite und wandte sich Emily zu: „Was machst du nachher? Treffen wir uns im Stall?"

„Ja natürlich! Lass uns doch die Ferien mit einem Ausritt einläuten.", entgegnete Emily.

„Gute Idee!"

Endlich ertönte das erlösende Klingeln der Schule. Hefte raschelten, Reisverschlüsse wurden zugezogen, Schnallen rasteten ein – die fröhliche Sommerstimmung erhielt endlich den Platz, der ihr gebührte. Der Schulstress wurde gänzlich bei Seite geschoben.

Die beiden Freundinnen standen vor dem Haupteingang. Sie hielten kurz inne, atmeten tief ein und ließen die frische, warme Sommerluft in ihre Lungen strömen.

Emily schnappte sich ihr Fahrrad und begleitete ihre beste Freundin noch bis zu der großen Eiche, an der sie sich morgens meistens trafen, um zusammen zur Schule zu gehen.

Von dort aus hatte es Jane nicht mehr weit. Lediglich 5 Minuten und sie stand in ihrem geliebten zu Hause. Es war eine Altbauwohnung. Sie liebte die hohen Wände und den Stuck an der Decke. Ihr Zimmer war groß und geräumig. Die Fensterfront sorgte für das nötige Licht, um den Charme des Raumes zu erkennen. Kleine Staubkörnchen tanzten im Sonnenlicht. Einen Moment lang hielt June inne. Dann suchte sie ihre Reitklamotten zusammen, zog sich um und schmierte sich eine Scheibe Brot für unterwegs. Es war niemand zu Hause, also schrieb sie noch schnell einen Zettel, welchen sie von innen an die Tür klebte. Ihre Mutter hasste es, wenn June einfach so verschwand und sie nicht wusste, wo sie ist.

June hatte das Gefühl in ihren Reitklamotten zuzerfließen. Die Sonne schien mit voller Kraft auf ihre schwarze Reithose undbrachte den Stoff und das Leder förmlich zum Glühen.



Der Weg zum Licht [***Abgeschlossen***]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt