- Kapitel 29 -

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Unsanft riss Junes Radiowecker sie aus dem Schlaf. Bisher hatte sie noch keinen Sender eingestellt, schlicht und einfach, weil sie es vergessen hatte. Schließlich brauchte sie den Wecker noch nicht. Nun wurde sie mit dem unerträglichen Rauschen geweckt, welches ein Radio nun einmal von sich gab, wenn man keine Senderfrequenz erwischte.

Stöhnend drehte June sich um und zog sich die Decke über den Kopf. Doch irgendwann gab sie auf, schmiss die Bettdecke zurück und setzte sich auf. June streckte sich und strich sie die Haare aus dem Gesicht. Schlaftrunken schlurfte June ins Bad. Sie tastete nach dem Lichtschalter und kniff die Augen zusammen, als sie das Licht einschaltete.

Zunächst griff sie nach ihrer Bürste, um die verkletteten Haare zu entwirren. Zum schminken band June sich einen Pferdeschwanz und steckte sich einen Haarreif in die Haare, um die kurzen „Babyhaare", wie June sie bezeichnete, ebenfalls aus dem Gesicht zu halten. Kurz überlegte June, ob sie sich überhaupt schminken sollte. An ihrem ersten Schultag wollte June nicht gleich als „Tussi" abgestempelt werden. Doch sie entschloss sich dazu, wenigstens ein dezentes Tagesmakeup aufzutragen.

Zurück in ihrem Zimmer entschied June sich für ihr luftiges Sommerkleid, mit den kleinen Blüten. Sie schnappte sich ihre Schultasche und ging in die Küche, um eine Kleinigkeit zu frühstücken und sich ihr Brot für die Schule zu schmieren.

June stand auf der Straßenseite gegenüber ihrer neuen Schule. Das Gebäude war alt, flach und braune Ziegelsteine zierten die Fassade der Schule. Nachdem June eine Zeit lang beobachtet hatte, wie die Schüler nach dem Klingeln Richtung Haupteingang strömten, nahm sie allen Mut zusammen und folgte der Masse mit etwas Sicherheitsabstand.

Die meisten Schüler gingen direkt zu ihren Klassenräumen oder studierten hoffnungsvoll den Vertretungsplan, der im Flur aushing. Doch June sollte sich zuerst im Sekretariat melden. Vorsichtig klopfte June an die weiße Tür und trat dann etwas zögerlich in das Büro. Auf den ersten Blick wirkte es hell und freundlich. Links an den Raum grenzte das Lehrerzimmer an. Eine fülligere Frau mit kurzen, blonden Haaren saß an dem großen, mit Papierkram überfülltem Schreibtisch.

June wollte sich gerade vorstellen, doch die Sekretärin kam ihr zuvor. „Du bist bestimmt June May oder?", fragte sie mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. „Ich bin Marika Zoller, die Sekretärin hier, wie man unschwer erkennen kann." Frau Zoller deutete auf das Chaos auf ihrem Schreibtisch und streckte June die Hand entgegen.

June nickte bloß und erwiderte den Händedruck. „Ja, genau. Ich sollte mich vor Unterrichtsbeginn bei Ihnen melden.", entgegnete June auf die rhetorisch wirkende Frage.

„Na dann komm' mal mit, ich werde dich zu deiner Klasse bringen."

June folgte ihr unauffällig und musterte die ihr entgegenkommenden Schüler gründlich. Die meisten sahen ganz normal aus, einige Mädchen waren stark geschminkt und ein paar der typischen „Nerds" konnte sie ebenfalls ausmachen.

Ihr Klassenraum befand sich im ersten Atrium. Die Türen der meisten Räume waren noch geöffnet und die Schüler der unteren Jahrgänge tobten durch die Gänge. Eine Klassentür war bereits geschlossen und auf genau diese Tür steuerten sie nun zu.

„Oh man, wie peinlich... Gleich am ersten Tag zu spät...", dachte June.

„Das ist deine neue Klasse.", bemerkte Frau Zoller und wandte sich June zu, während sie an die Tür klopfte.

„Ja.", ertönte eine männliche Stimme von der anderen Seite der Tür.

„Guten Morgen Herr Heisel, dass ist ihre neue Schülerin June."

June lächelte verlegen und blickte zwischen Frau Zoller und ihrem neuen Klassenlehrer hin und her.

„Hallo June. Ich bin Ihr zukünftiger Klassenlehrer.", sagte Junes neuer Lehrer und streckte ihr die Hand entgegen. „Sie können sich neben Marielena setzen. Er deutete auf ein Mädchen, welches June ziemlich bekannt vorkam. Es war Marielena aus dem neuen Stall von Mon Coœur. Sie warf ihr ein freundliches Lächeln entgegen. Während June ihre Tasche umklammerte, ihren Mitschülern ein verlegenes Lächeln zuwarf ging sie unsicher auf ihren neuen Platz. Gerade, als June sich gesetzt hatte, wurde sie aufgefordert, sich kurz vorzustellen. Da June nicht wusste, was sie sagen sollte, erklärte sie lediglich wo sie herkam und warum sie nun in Rostock lebte.

Kaum war der letzte Satz beendet, fuhren sie mit dem Unterricht fort. „Was gibt es schöneres, als am Montagmorgen eine Stunde Mathe zu haben?", dachte June ironisch. Zu ihrem Glück stellte June jedoch nach kurzer Zeit fest, dass sie die behandelten Themen „zu Hause" bereits durchgenommen hatten. So konnte sie gleich in der ersten Stunde gut mitarbeiten. Die Stunde verging unerwartet schnell, weshalb sie über das Pausenklingeln recht erstaunt war.

Sofort sprangen alle auf und setzten sich in kleinen Grüppchen zusammen. Übrig blieb June. Es schien sich keiner für „die Neue" zu interessieren. „Besser so, als wenn sie mich gleich zu ihrem neuen „Mobbing-Kandidaten" ernennen...", dachte June. Plötzlich rief Marielena sie zu ihrer Gruppe dazu: „Hey June, komm' doch zu uns!"

June sah sich zunächst um, doch zweifelsohne war sie die einzige im Raum, die diesen Namen trug. Also stand sie auf und ging zu den anderen hinüber. „Äh... Hi, ich bin June.", sagte sie unsicher in die Runde und gestikulierte ein Winken.

„Hi. Wir kennen uns ja. Das sind Markus, Alexander, Leon und Anne.", antwortete Marielena und zeigte bei jedem Namen auf die jeweilige Person. Sie musterte jeden aus der Clique. Ein markantes und starkes auftreten hatten alle. Die Jungs hatten alle extrem kurze Haare und dunkle Klamotten an. Marielena und Anne waren ebenfalls hauptsächlich dunkel gekleidet und bei Anne am inneren Oberarm klebte ein auffällig großes Pflaster. Für June machte das alles einen wenig ansprechenden Eindruck, doch sie wollte auch nicht unhöflich sein und die Clique nach ihrem äußeren beurteilen. Doch keiner von ihnen lachte oder redete über „normalen" Themen. Sie waren nur dabei, aus June alles mögliche herauszuquetschen, was es über sie zu wissen gab: Wo sie herkam, wie alt sie war, ob sie sich für irgendetwas außer Musik und Pferde interessierte (das mussten sie wohl von Marielena erfahren haben). Die Frage, ob sie sich für Politik und Geschichte begeistern konnte verneinte sie.

June war erleichtert, als die Schulklingel sie dazu aufforderte, sich auf ihren Platz zu begeben.

Der Weg zum Licht [***Abgeschlossen***]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt