- Kapitel 51 -

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Bis Junes Vater nach Hause kam verschanzte sich die 17-jährige in ihrem Zimmer. Sie war wütend und zugleich war es ihr schrecklich peinlich, dass ihre Mutter ihr so eine Szene vor ihren Freunden gemacht hatte. Immer wieder warf sie einen Blick auf ihr Handy, in der Hoffnung, dass sich einer von ihnen melden würde. Doch das Hoffen war vergebens.

June schaltete ihren Laptop ein und surfte ein wenig im Internet. Aber auch das wurde mit der Zeit langweilig. Also legte sie ihren Laptop beiseite und entschied sich dafür, einfach zu schlafen, bis ihr Vater von der Arbeite heimkam.

Plötzlich hörte sie Stimmen von unten. Ihr Vater war bereits zu Hause. June entschied sich also gegen den Schlaf und öffnete ihre Zimmertür einen Spalt, um ihre Eltern zu belauschen.

„Thomas, ich weiß einfach nicht mehr weiter. Was ist nur aus unserer June geworden?", sagte Junes Mutter, mit zitternder Stimme.
„Ich weiß es nicht. Ich erkenne sie überhaupt nicht mehr wieder. Die kleine, brave June."
„Was machen wir denn jetzt? Ich habe vorhin ihre ‚Freunde' gesehen. Die sehen alle ziemlich furchteinflößend aus. June hat noch nie die Schule geschwänzt, geraucht oder sogar gekifft. Das ist alles erst passiert, seit wir hier sind und seit sie die kennengelernt hat..."
„Schatz beruhige dich. Wir bekommen das schon hin. Ich rede mit ihr.", redete Junes Vater beruhigend auf seine Frau ein.

Kurz danach hörte June Schritte, die sich auf die Treppe zubewegten. Schnell schloss sie leise die Tür, legte sich in ihr Bett und tat so, als würde sie schlafen.

„June? Aufstehen, wir müssen reden. Komm' mit runter. Jetzt!", sagte ihr Vater monoton und mir wütendem Unterton.

Wiederwillig schlug sie ihre Bettdecke zurück und folgte ihrem Dad die Treppen hinunter ins Wohnzimmer. Dort wurde sie bereits von ihrer Mutter erwartet. Offensichtlich hatte sie geweint, denn ihre Schminke war verlaufen und sie hielt ein zerknäultes, benutztes Taschentuch in der Hand. Junes Vater setzte sich neben seine Frau.

Wie hingestellt und nicht abgeholt stand June nun ihren Eltern gegenüber. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Jeder Zeit zum Angriff bereit." So gepannt war jede Muskelzelle in ihrem Körper.

„June, es geht so nicht weiter. Du setzt sowohl deine, als auch unsere Zukunft aufs Spiel. Diese Leute sind kein guter Umgang für dich.", begann Junes Vater.
Diese Leute sind meine Freunde! Sie mögen und akzeptieren mich, so wie ich bin!", keifte June zurück.
„Das kann nicht dein Ernst sein! Erst kommst du bekifft nach Hause, dann äußerst du dich sehr rechtsradikal und jetzt schwänzt du seit neuestem auch noch die Schule und fängst morgens an Alkohol zu trinken. June!"
„Mein Gott. Als ob ihr immer die perfekten Vorzeigekinder gewesen wärt! Das könnt ihr mir nicht erzählen. Und nur, weil ich mal kiffe, mal nicht zur Schule gehe und meine Meinung äußere, wird da keiner von sterben. Das ist ein freies Land und ich bin ein freier Bürger. Ihr könnt mir gar nichts!"
„Oh doch June! Du bist noch minderjährig, falls du das über deine ganzen Eskapaden vergessen hast. Wir sind deine Erziehungsberechtigten und haben sehr wohl noch etwas zu sagen. Du wirst diese Leute nicht mehr wieder treffen. Wir verbieten dir den Umgang mit denen!"
„Das ist nicht euer Ernst!! Das könnt ihr nicht machen!", brüllte June verzweifelt.

In demselben Moment legte sich ein Schalter in Junes Kopf um, der sie zum Laufen brachte. Ein Glück hatte sie vorhin die Schuhe nicht ausgezogen. Sie griff nach ihrem Schlüssel und rannte los. Sie ließ sich nicht einmal die Zeit, um die Haustür hinter sich zu schließen.

Ihr Vater rannte ihr nach, doch June war gut im Training und ihr Vater hatte in der letzten Zeit ziemlich zugenommen und so verlor er den Anschluss zu seiner Tochter binnen kürzester Zeit. June rannte und rannte. Ihre Lungen brannten wie Feuer, als sie im Stall ankam und endlich stehen bleiben konnte. Mit dem Stehenbleiben schossen ihr Tränen in die Augen und sie begann zu schreien und um sich zu schlagen.

Sofort kam Miloš angelaufen, der die Schreie seiner Freundin gehört hatte.

„June?! June, was ist los?", rief er und versuchte die um sich schlagende June zu beruhigen. Als er ihre Arme packen und sie still halten konnte sprach er weiter: „June! Beruhige dich! Was ist los?" Er sah ihr tief in die Augen, doch June wich seinen durchdringenden Blicken aus.

Ihre Atmung verlangsamte sich allmählich und sie versuchte das eben geschehene in Worte zu fassen:

„Meine Eltern...verbieten...Freunde...schwänzen..."

Brockenweise purzelten die Worte aus Junes Mund, welche Miloš jedoch nicht in einen sinnvollen Zusammenhang bringen konnte.

„June. Tief durchatmen. Nochmal, was ist passiert?", fragte Miloš und atmete mit June ein und aus. Als sie sich beruhigen konnte und auch ihr Atemtempo wieder normal war, versuchte sie erneut, alles in Worte zu fassen.

„Also... Ich war heute nicht in der Schule. Wir haben uns im Wald getroffen und ein paar Bier getrunken. Wir hatten keine Lust auf Schule und wollten uns einen netten Tag machen. Ja, wer ahnt denn auch, dass ausgerechnet heute meine Mutter da vorbeigeht? Shit happens und meine Mutter hat mich natürlich gesehen. Es gab ein riesiges Theater eben. Meine Eltern meinen, dass ich mich total verändert hätte. Ich sei nicht mehr ‚die Alte'. Nur, weil ich mal gekifft habe und meine Meinung sage. Das machen die anderen, also Alex und so auch. Warum ist das dann bei mir so schlimm? Miloš, ich verstehe die nicht.", erklärte June.

„Du kiffst? June... So leid es mir tut, aber deine Eltern haben recht... Du hast dich wirklich verändert. Wo ist die June, in die ich mich verliebt habe? So sehr kannst du dich nicht verändert haben...", gab Miloš zu.

„Na ganz toll. Sogar mein Freund ist auf der Seite meiner Eltern. Herzlichen Dank!", fluchte June, riss sich los und machte auf der Stelle kehrt.

Miloš blieb wie angewurzelt stehen. Er rief seiner Freundin zwar nach, doch er versuchte nicht, sie aufzuhalten, außer noch mehr Streit, hätte das sowieso nicht viel gebracht.

‚Ich gehe einfach zu Alex. Der versteht mich wenigstens.', dachte June.

Als sie vor seiner Tür stand, redete sie wie ein Wasserfall und erklärte ihm alles, was in der letzten Zeit passiert war. Erstaunlicher Weise hörte er aufmerksam zu und versuchte June zu trösten. Aus dem eiskalten, gefühllosen Alex, war plötzlich ein empathischer, lieber Alex geworden. Er nahm sie in den Arm und wartete geduldig ab, bis sie sich beruhigt hatte.

„Was mache ich denn jetzt? Mein toller ‚Freund' hat sich auf die Seite meiner Eltern geschlagen und nach Hause will ich nicht.", sagte June.
„Du kannst heute Nacht hier schlafen, wenn du möchtest. Hier ist genug Platz.", entgegnete Alex.
„Echt? Das wäre toll." Dankend nahm June sein Angebot an. Denn unter keinen Umständen wollte sie heute nach Hause.

„Hast du Hunger?", fragte er. June nickte. Ohne Kommentar stand Alex auf und holte ein Stück Pizza und ein Glas Wasser aus der Küche.

„Ist noch warm."

June schlang das Essen hinunter und spülte es mit dem Wasser hinunter. „Danke!"

„Gerne doch. Für dich würde ich alles tun.", entgegnete er und strich June die Haare aus dem Gesicht.

Der Weg zum Licht [***Abgeschlossen***]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt