- Kapitel 44 -

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Als June im Park eintraf, waren bereits alle da. Obwohl sie sonst zu denjenigen gehörte, die meistens schon eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit kam, war sie bei den Cliquen-Treffen immer die Letzte. Warum auch immer.

"Hey Leute!", rief June den anderen aus einiger Entfernung zu.
Wie gewöhnlich bekam sie eine Mischung aus allen möglichen Begrüßungsfloskeln zurückgerufen. Bei den anderen angekommen, setzte sie sich zu ihnen auf den Rasen. Es dämmerte bereits allmählich, was für Anfang September nicht ungewöhnlich war. Trotzdem herrschten noch angenehme Temperaturen. Eine kurze Hose und ein Sweatshirt waren ausreichend. Sicherheitshalber hatte June sich noch eine Jacke eingepackt, welche sie sich mit den Ärmeln um ihre schmale Taille geknotet hatte.

Markus hatte wie so oft seine Bluetooth-Box dabei, über die er, wie June fand, schreckliche Musik abspielte.

„June, kann ich mal kurz mit dir reden?", fragte Anne.
„Ja klar, setz dich doch zu mir.", entgegnete June und machte keine Anstalten, sich zu erheben.
„Ich meine alleine... unter vier Augen...", ergänzte Anne.

Stöhnend, wie eine 80-jährige, stand June schließlich auf, klopfte sich den vermeintlich an ihr klebenden Dreck von der Hose und lief Anne nach, die sich bereits ein ganzes Stück von den Anderen entfernt hatte.

„Hey, warte mal!", rief June ihr nach.

Als June endlich zu Anne aufschloss, fiel diese direkt mit der Tür ins Haus: Läuft was zwischen dir und Alex?"

„Bitte? Nicht du auch noch. Ich habe das Marielena vorhin schon gesagt: Da war nichts, da ist nichts und da wird nie etwas sein – WIRKLICH!", betonte June.
„Okay, dann will ich dir das glauben. Das sollte auch so bleiben.", entgegnete Anne und auch sie ließ June nach diesem merkwürdigen Gespräch einfach stehen und steuerte wieder auf die Gruppe zu, deren Stimmung durch den nötigen Alkohol und den ein oder anderen Joint ziemlich angeheitert war.

„Du auch?", wandte sich Alex an June und hielt ihr den Joint hin, der gerade die Runde machte.
„Ich weiß nicht... gab letztes Mal ziemlichen Stress zu Hause...", entgegnete sie zögerlich.
„Ach komm, entspann dich. Einmal ziehen, dann geht es dir bestimmt besser.", ermutigte Alex und hielt ihr den Joint noch ein Stück dichter unter die Nase, sodass June schlussendlich doch nachgab. Die anderen der Runde, bis auf sie und Anne waren schon ziemlich high. June fragte sich, wie viel Gras die schon geraucht haben. Das bedeutete aber gleichzeitig auch, dass der Joint bei June blieb. Anne hatte es ihrer Aussage nach, die letzten Tage übertrieben und musste nun „ganz dringend eine Pause einlegen". ‚Na super...', dachte June. Doch von Zug zu Zug, sah June die Situation entspannter. ‚Als ob meine Eltern das früher nicht auch gemacht hätten...'

„Ey du Spacken! Verpiss dich aus unserem Land du Stück Dreck!", pöbelte Alex auf einmal los.

June hatte überhaupt nichts mitbekommen, also wollte sie Markus fragen, was soeben passiert war, doch auch er saß nicht mehr neben ihr, sondern stand bei Alex und pflichtete ihm bei.

Nach näherem Betrachten der Situation, sah June, dass die Jungs einen farbigen, jungen Mann, etwa in ihrem Alter, anbrüllten. Dieser beschleunigte seine Schritte verängstigt und versuchte sich dennoch nicht anmerken zu lassen, dass ihm in dieser Situation nicht ganz wohl zu Mute war.

June stand auf und ging zu ihren Freunden.

„Alles okay hier?", fragte sie vorsichtig.
„Bis auf diese Parasiten, die sich hier überall breit machen schon, ja.", antwortete Alex barsch. Schweigen machte sich breit, bis Markus sich einmischte:
„Da kommt noch einer. June, du bist dran, wir haben unsere Arbeit getan."
„Ich? Aber findet ihr das nicht ein bisschen unfair?", fragte sie.
„Mäuschen, das Thema hatten wir doch vorgestern schon. Da waren wir uns doch einig. Komm' mach' schon. So schlimm ist das nicht und danach geht es dir besser – glaube mir.", warf Alex ein.
„Und was soll ich bitteschön sagen?!"
„Lass' dir was einfallen. Falls du dich nicht traust, denk an etwas, was dich richtig wütend macht, das hilft bei den ersten Malen."
„Hmm... Okay."

June wandte sich der jungen Frau zu, welche auf die Clique zusteuerte.

„Hey du! Ja genau du! Was willst du hier? Dich durchfressen, fette Kohle kassieren, während du uns eine Wohnung wegnimmst und dich durchfüttern lässt? Soll ich dir mal was sagen? Verpiss' dich! Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist!", pöbelte June, was ihr erstaunlich leicht viel.

„Nicht schlecht. Das war echt gut. Haha, guck mal wie die rennt!" Amüsiert und siegessicher lachten die Jungs. June war froh über die Anerkennung und sie hatten recht, ihr ging es tatsächlich besser. Vielleicht war das auch durch die einsetzende Wirkung des Joints bedingt.

Alex griff nach Junes Handgelenk und riss es in die Höhe, mit den Worten: „Die hat's drauf."

Die Zeit verging, es wurde langsam dunkel und Marielena und Anne hatten sich bereits auf den Weg gemacht. June saß mit den Jungs noch eine Weile da und unterhielt sich über alles Mögliche: Schule, Freunde, Freizeit und über Mädels. Zu letzterem konnte June nicht viel beisteuern, doch die nächste Frage riss sie aus ihrem Gedankengang.

„Hast du eigentlich einen Freund?", fragte Alex.

Junes Puls beschleunigte sich und sie dachte an Marielenas Worte: „...pass auf, dass Alex das mit Miloš nicht mitbekommt. Miloš ist zwar hier geboren, aber wie du weißt interessiert Alex das nicht. Wenn er das rausbekommt, kann das ziemlich schwerwiegende Folgen für dich und Miloš haben." Was sollte sie nun antworten? Nein? Damit wäre das Thema erledigt, aber sie würde ihren Freund verleugnen, von dem sie vorhin noch behauptet hat, dass sie ihn liebte. Doch ist das wirklich Liebe? Alleine die Tatsache, darüber nachdenken zu müssen, ob sie ihren Freund leugnen sollte, bereitete June Bauchschmerzen. Doch wenn sie Alex' Frage bejahte, würde sie sich weiteren Fragen stellen müssen: Wie heißt er? Woher kennt ihr euch? Wie lange seid ihr zusammen? Ist er Deutscher?

Bei der ersten und letzten Frage würde June in ziemliche Erklärungsnot geraten und Lügen herbeiziehen müssen. Lügen haben bekanntlich kurze Beine, also war es nur eine Frage der Zeit, bis sie herausfanden, dass Junes Freund Miloš hieß, zwar hier geboren war, aber seine Eltern „Ausländer" waren. Dann würde es, wenn Marielena recht behielt, richtig Stress geben.

June entschied sich dafür, Miloš komplett aus der Angelegenheit rauszuhalten. Was offenbar nicht existiert zieht keine Aufmerksamkeit an, redete sich June ein, als sie betont gelassen antwortete:

„Nein, ich habe keinen Freund."


Der Weg zum Licht [***Abgeschlossen***]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt