- Kapitel 22 -

30 5 0
                                    

June saß auf ihrer Matratze und lehnte sich an die angrenzende Wand. Sie legte den Kopf in den Nacken, starrte die Zimmerdecke an und kaute währenddessen auf ihrem Stift herum. Eine schreckliche Angewohnheit, wie sie fand. Doch June bildete sich ein, dass es ihr beim Denken half. Stöhnend klappte sie ihr Tagebuch zu und stand auf. "So wird das nichts!", fluchte June. Sie holte sich einen Kaffee und Kekse, setzte sich wieder auf ihre Matratze und klappte erneut ihr Tagebuch auf. June setzte die Hand auf die leere Seite und machte sich zum Schreiben bereit. Noch ein Bissen vom Keks und sie schrieb los:

"Liebes Tagebuch,

Dienstag war ich mit Em in der Stadt ein bisschen shoppen. Danach hat sie mir geholfen zu planen, wie ich mein Zimmer in Rostock einrichten möchte. Vor einigen Wochen hatte ich noch das Gefühl, dass mir noch viel Zeit hier in Hamburg bleibt. Doch nun habe ich nur noch einen Tag. Am Samstag haben meine Eltern damit angefangen die Möbel und Kartons nach Rostock zu fahren. Die Wohnung ist nahezu komplett leer und es ist ein komisches Gefühl. Ich habe kein Bett mehr und schlafe daher auf einer Luftmatratze. Es hallt, wenn man in den Räumen spricht. Die Wohnung hat etwas von einer Geisterstadt. An den Wänden kann man genau sehen, wo all die Bilderrahmen hingen, die nun ein weißes Rechteck zurückgelassen haben. Morgen sehe ich dann auch Emily und die anderen das letzte Mal für eine unbestimmte Zeit. Ich glaube der Abschied wird von Emily das schlimmste und tränenreichste an dem ganzen Umzug. Ich habe jetzt schon wieder einen Kloß im Hals, wenn ich nur daran denke. Ich bin es nicht gewohnt ohne sie zu sein. Von klein auf an sind wir beste Freundinnen und waren noch nie länger als einen Sommerurlaub voneinander getrennt und nun soll ich in eine fremde Stadt ziehen? Unvorstellbar. Aber es muss sein. Leider. Samstagmorgen fahren wir noch in den Stall um Mon Cœur abzuholen. Auch für sie wird es nicht einfach. Die lange Fahrt, der neue Stall und die neuen Pferde. Aber ich glaube (und hoffe natürlich), dass sie sich dort recht schnell einleben wird. Ich wüsste gerne, wie es meinen Eltern damit geht. Sie behaupten zwar, dass sie sich auf Rostock freuen, doch ich glaube, dass auch sie mit einem weinenden und einem lachenden Auge Hamburg verlassen. Schließlich lassen auch sie Familie und Freunde hier zurück. Mama denkt vielleicht, dass ich ihre traurigen Blicke nicht sehe, wenn sie die leere Wohnung betrachtet, aber das tue ich. Jeden einzelnen Blick mit der Leere in ihren Augen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie immer noch denken, dass ich ein kleines Kind sei. Aber das bin ich nicht mehr. Vermutlich liegt es daran, dass sie meine Eltern sind und in mir immer ihr kleines Baby sehen werden, was ich vor 17 Jahren war. Aber das bin ich nicht mehr. Auch ich werde irgendwann erwachsen. Und das geht wahrscheinlich schneller, als meinen Eltern lieb ist.

Aber das ist ja jetzt auch egal. Fakt ist, dass mir Donnerstag zum ersten Mal richtig bewusst wurde, was ich hier alles verlieren werde. Wir haben mit unserer Clique im Stadtpark gegrillt und bis spät in die Nacht geredet, gegessen und gefeiert. Früher haben wir das im Sommer oft gemacht, doch seit wir die Oberstufe besuchen und wir auf unterschiedliche Schulen gehen, schaffen wir es so gut wie gar nicht mehr, einen Termin zu finden, an den wir alle 6 Zeit haben.

Bis Donnerstag wussten sie (bis auf Emily natürlich) nicht, dass ich umziehe. Ich wollte es ihnen persönlich sagen und das nicht über WhatsApp klären. Im ersten Moment waren sie glaube ich ziemlich sauer, dass ich es erst so spät sage. Immerhin geht es übermorgen schon los. Aber dann haben sie verstanden, dass ich die Nachricht lieber persönlich überbringen wollte. Wir haben uns schon einen Termin ausgesucht, an dem sie mich alle in Rostock besuchen kommen. Darauf freue ich mich schon riesig. Aber bis zum Umzug Samstag gibt es noch viel zu tun. Vor Allem muss ich mich intensiv um Mon Cœur kümmern, damit sie für die lange Fahr ausgelastet und nicht so überdreht ist. Und genau deswegen werde ich jetzt auch zu ihr fahren. Also bis dann!

June"

June klappte ihr Tagebuch zu und verstaute es in ihrem kleinen Koffer. In dem befanden sich die letzten Klamotten, die noch nicht in Rostock waren.

Während sie zu Mon Cœur fuhr dachte sie darübernach, wie sie ihr Zimmer finden würde. Zwar hatte sie sich alle Möbel selbst ausgesucht, doch aufgebaut hat sie ihr Vater und ihre Mutter hat das Zimmer dekoriert.

Als sie im Stall ankam wurde sie wiehernd von ihrer Schimmelstute begrüßt.

Sie putze sie und ritt dann mit Mon Cœur in den Wald um sich auch hiervon zu verabschieden. Und um den Kopf auf der langen Galoppstrecke frei zubekommen. Während sie durch den Wald galoppierte schloss sie kurz die Augen und atmete die erfrischende Waldluft ein. June hatte das Gefühl, dass sie in diesem Moment den Wald so genau wahrnahm wie noch nie zuvor. Sie bemerkte jede einzelne Bewegung im Unterholz und an den Bäumen. June versuchte sie möglichst viel einzuprägen, um den Wald so genau wie möglich in Erinnerung zu behalten. Sie ritt ihre übliche Strecke, wenn sie alleine unterwegs war, da diese zwar eine recht lange Galoppstrecke beinhaltete, June aber doch nicht allzu lange unterwegs war.

Mon Cœur schwitzte und war sichtlich geschafft, als die beiden wieder im Stall eintrafen. June kümmerte sich noch um Mon Cœurs Box und ihr Heu und fuhr dann, ebenfalls ziemlich müde, nach Hause um den Schweiß und den Dreck abzuwaschen.

Obwohl es Sommer war, fand June eine warme Dusche erfrischend. Ihre Haare ließ sie am liebsten an der Luft trocknen. So wie heute. Als sie aus dem Bad kam, meldete sich Junes Magen zu Wort. Sie brauchte jetzt schnell etwas zu Essen. Also ging sie in die Küche, wo June auf ihre Mutter traf, die Bereits das Abendessen vorbereitete. „Wann essen wir? Ichverhungere.", sagte June und prompt knurrte der Magen wieder in einer enormen Lautstärke. „In 5 Minuten. Du kannst schon einmal den Tisch decken.", entgegnete Junes Mutter.

Also schnappte June sich Besteck und Gläser und begann den Tisch zu decken.

Wenig später kam auch Junes Vater dazu, um seiner Frau beim Befüllen der Teller zu helfen. Es gab eine Quinoa-Pfanne mit Tomaten und Spinat. Als alle am Tisch saßen, begann June mit dem üblichen Gesprächsthema, welches sich seit einer Woche konstant hielt.

Vor einer Woche hat June ihren Eltern von einer Internetseite erzählt, mit der man ohne teure Einzelstunden Klavierspielen lernen kann. Seit dem stellt sie sich jeden Tag vor, wie es wohl wäre, wenn sie doch endlich Klavier spielen könnte. Somit lag sie auch ihren Eltern damit ständig in den Ohren, dass sie sich zu Weihnachten ein E-Piano wünscht. Das sei schließlich zum einen nicht so teuer und zum anderen konnte sie dann mit Kopfhörern üben und ihre Eltern müssten das anfängliche „Geklimper", wie Junes Vater es bezeichnete, nicht ertragen. Manchmal träumte sie sogar nachts davon als bekannte Pianistin ein Konzert zu geben. Doch wenn sie aufwachte, wusste sie, dass das nur ein Traum bleiben wird.


----------------------------

ENDLICH!! Ich kann endlich wieder etwas brauchbares schreiben. Wuhu! Danke für's Lesen. Lasst doch ein Kommentar da oder stimmt für das Kapitel ab.

Dankeschööööön.

Der Weg zum Licht [***Abgeschlossen***]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt