3-18 Der Fluch von Silita

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Der Fluch von Silita

Femolai steht am Bug ihres Schiffes und betrachtet den mondbeschienenen Fluss. Ihre Ruderer lösen sich seit Tagen pausenlos ab, um so schnell als möglich voranzukommen. Die Königin will unbedingt den Schattenwandler stellen, bevor ihre Gegnerin etwas von ihrem Vorhaben erfährt. Talishas Späher meinen, Silàn sei noch immer mit den Verhandlungen zwischen Pentim und dem Rat von Lelai beschäftigt. Aber diese Nachricht wurde von gewöhnlichen Nachttieren übermittelt und ist deshalb schon einige Nächte alt. Femolai hätte lieber die Kaedin losgeschickt, die schnell große Strecken zurücklegen können. Aber sie traut den kleinen Dunkelheiten seit dem Duell im Grasland nicht mehr richtig. Außerdem haben sie sich in den letzten Nächten nicht blicken lassen, was Femolais Befürchtungen bestätigt. Der Königin ist bewusst, dass sie ihre Gegnerin ein für alle Mal schlagen und vernichten muss, wenn sie ihren Titel und die Achtung Pentims und der Wesen der Nacht behalten will. Der Sonnenkönig dürfte nicht begeistert sein, dass sie ihm die versprochene Unterstützung bei Linar nicht gewährte. Wenn er erfährt, dass sie ihre Macht über die Wesen der Nacht einbüßt, wird er seinen Respekt vor ihrer Magie verlieren und sie als Verbündete fallen lassen.
Mit einem Seufzen wendet sie sich Talisha zu, welche zusammengerollt hinter ihr im Boot liegt. Die Wölfin hasst es, auf dem Schiff eingesperrt zu sein und verbringt fast all ihre Zeit dösend. Aber nun erreichen sie das Gebiet, in welchem laut Femolais Schätzung Antim unterwegs sein müsste, deshalb braucht sie zusätzliche Informationen. Entweder folgt sie dem Nebenfluss des Girit aufwärts, an dem sie sich mit Silàn das erste magische Duell lieferte, oder sie bleibt auf dem Girit und versucht Antim bei der Brücke Keritaja abzufangen. Talishas Späher berichteten, der Schattenwandler sei zu Pferd unterwegs. Er ist also an eine mehr oder weniger gute Strasse gebunden, wenn er schnell reisen will. Nun geht es darum, die richtige Stelle für einen Hinterhalt zu finden.
«Talisha, ich muss wissen, wo der Schattenwandler ist. Ruf deine Verbündete!»
Die Wölfin blinzelt träge, bevor sie sich aufrichtet und den Kopf zurückwirft, um ein lang getragenes Heulen auszustoßen. Kurz darauf lässt sich ein struppiges Käuzchen auf der Bordwand nieder und blinzelt Talisha mit runden Augen an, ohne Femolai eines Blickes zu würdigen. Die beiden unterhalten sich ohne einen Laut, etwas, das die Königin nicht ausstehen kann. Aber im Moment ist sie auf Talishas Kontakte angewiesen, da sie sich nicht auf die Kaedin verlassen will. Bisher lieferte die Wölfin immer, was von ihr verlangt wurde.

~ ~ ~

Antim wirft einen besorgten Blick über die Schulter zurück zu Onish. Der Junge kann sich vor Müdigkeit kaum noch im Sattel halten. Sie sind seit dem Morgengrauen unterwegs. Trotzdem will der Schattenwandler noch keine Rast einlegen. Der Gedanke an Silàn, die möglicherweise bereits in diesem Moment ohne Unterstützung Femolai gegenübersteht, treibt ihn voran. Er und Onish sind seit über einem halben Mond unterwegs, und immer wieder quält ihn der gleiche Gedanke, immer wieder schilt er sich für seine Kurzsichtigkeit. Natürlich ist der Mondstein gefährlich. Aber er hätte sich von seiner Angst vor der unbekannten Magie niemals blenden lassen dürfen. Er hätte erkennen müssen, dass der Stein das einzige Mittel zum Bezwingen der dunklen Königin ist. Zögernd verlangsamt Antim das Tempo seines Pferdes. Wenn er die Tiere weiter so antreibt, werden sie nicht mehr lange durchhalten. Onish schließt etwas auf und blickt seinen Meister fragend an. Der Junge schwankt im Sattel, sein blondes Haar ist vom Wind zerzaust und sein Gesicht von der Sonne gerötet, dass sich die Haut von seiner Nase schält. Aber über seine Lippen kommt keine Klage. Der Schattenwandler lächelt müde.
«Die Pferde sind erschöpft und du auch. Wir werden bald rasten. Ich möchte aber noch zum Fluss reiten, damit wir frisches Wasser haben. Es kann nicht mehr weit sein.»
Onish nickt. Seine Kehle ist trocken, seine Feldflasche längst leer. Außerdem wird bald die Sonne untergehen. Der Junge liebt die Nacht nicht und zieht es vor, in einem festen Haus zu schlafen. Aber selbst ein improvisiertes Lager ist besser, als in der Dunkelheit unterwegs zu sein.
Antim lenkt sein Pferd geschickt um einige Schlaglöcher im Weg herum. Er besorgte bereits in Himenar Reittiere. Es liegt ihm viel daran, so schnell wie möglich voranzukommen. Obwohl er seit vielen Zyklen nicht mehr geritten ist, fällt ihm der Umgang mit der lebhaften Stute leicht. Sie spürt seine Magie und bemüht sich, seinen Wünschen zu entsprechen. Er überlies Onish bewusst das ruhigere, etwas ältere Tier. Sein Schüler ist noch jung, seine Schattenmagie noch nicht genug entwickelt, um mit dem freundlichen braunen Hengst direkt zu kommunizieren. Als dieser vor wenigen Tagen bei der Überquerung von Keritaja wegen eines entgegenkommenden Wagens scheute, stürzte Onish hart auf die Brücke und fiel nur durch Zufall nicht in den Fluss. Seither hinkt der Junge, und sein aufgeschlagenes Knie heilt unterwegs nur schlecht, trotz Antims Heilkünsten und einer regelmäßigen Behandlung mit Nashi. Das ist mit ein Grund, warum der Schattenwandler erst am Fluss rasten will, selbst wenn es bedeutet, in der Nacht noch ein Stück weiterzureiten. Das Nashikraut wächst am liebsten in der Nähe von Wasser. Antim muss dringend seinen Vorrat ergänzen.

SilànWhere stories live. Discover now