3-9 Herausforderung

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Herausforderung

König Pentim blickt zufrieden über die ordentlichen Reihen seiner Truppen. Seine Offiziere haben gute Arbeit geleistet, seine Armee ist bereit. Diese Inspektionen gehören zu den seltenen Momenten, in denen er sich wirklich als König fühlt. All die Krieger in ihren glänzenden Rüstungen und farbigen Uniformen zu sehen, schön nach Waffengattung geordnet, gibt ihm ein wohltuendes Gefühl der Macht.
Auf seinem schwarzen Hengst reitet er die endlose Reihe der Kavalleristen entlang. Das ist seine Lieblingstruppe, die stolzen Reiter stehen ihm seit jeher am nächsten. Die meisten der Männer sind jung wie er selber und brennen darauf, ihre Kampfkunst unter Beweis zu stellen.
Dann folgen die Lanzenträger. Für sie empfindet er Respekt. Es gehört Mut dazu, einen Schilderwall zu halten und zu Fuß feindlichen Reitern entgegenzutreten. Einige Veteranen dieser Truppe kämpften schon für seinen Großvater. Sie sind dem Haus Diun treu ergeben.
Als nächstes kommen die Bogenschützen. Mit ihnen hat er am wenigsten gemein. Seine Lehrer der Kriegskunst wurden niemals müde zu betonen, wie grundlegend die Bogenschützen die Schlacht von Geai beeinflussten. Aber gerade wegen dieser Entscheidungsschlacht im Krieg der Kälte hasst Pentim alles, was einen Bogen trägt. War es nicht der Pfeil eines Tannaríbogenschützen, der seinem geliebten Vater das Leben nahm? Sein Mund ist deshalb zu einem schmalen Strich zusammengepresst, als er seine Bogentruppen inspiziert. Der Heerführer und alte Freund an seiner Seite schüttelt fast unmerklich den Kopf. Aber Pentim ändert seinen Ausdruck nicht. Er akzeptiert, dass Bogenschützen notwendig sind. Aber lieben wird er sie nie.
Erst als er die Armbrustschützen erreicht, entspannt sich sein Gesicht. Es herrscht noch Uneinigkeit über diese neuste seiner Truppen. Einige seiner Berater behaupten, es dauere zu lange und sei zu aufwendig, eine abgeschossene Armbrust wieder zu spannen. Andere sind überzeugt, dass die höhere Durchschlagskraft einen Armbrustbolzen einem Pfeil unendlich überlegen macht. Diese Geschosse durchdringen problemlos eine Rüstung, wie sich Pentim kürzlich bei einer eindrücklichen Demonstration überzeugen konnte. Wie auch immer, er zieht diese modernste seiner Truppen den traditionellen Bogenschützen weit vor.
Sein Rundgang geht dem Ende entgegen. Er bestätigt seinen Hauptleuten, wie zufrieden er mit ihrer Arbeit ist. Aber in Gedanken ist er längst wieder bei der Planung des anstehenden Feldzugs. Femolai ist überzeugt, dass die Lelliní noch vor dem Sommer angreifen werden, und er will sich nicht von ihnen überraschen lassen. Allerdings vermitteln seine Kontakte kein klares Bild der Absichten der Nordländer. Eigentlich hatte er den Eindruck, der Rat in Lelai sei zufrieden mit dem neuen, soliden Handelsabkommen zwischen Lellini und Kelèn. Nun berichten Femolais Spione, das Land Lellini rüste heimlich zum Krieg. Pentim hasst es, sich auf das Informationsnetz der Königin der Dunkelheit zu verlassen. Ihre Botschaften reisen mit übernatürlicher Geschwindigkeit und beinhalten Dinge, die Pentim unheimlich sind. Aber er würde das Femolai gegenüber nie zugeben. Er weiß, dass sie heimlich ein eigenes Heer zusammenzieht. Es gelang ihm, einige zuverlässige Männer darin einzuschleusen. Gegen seine gut organisierten und kampferprobten Truppen sind ihre Anstrengungen vernachlässigbar. Zumindest hier ist er seiner schönen Verbündeten überlegen. Er lächelt beim Gedanken daran, dass die stolze Femolai in militärischer Hinsicht auf seine Unterstützung angewiesen ist.

~ ~ ~

Antim schöpft dampfenden Eintopf in kleine Schüsseln und verteilt sie. Silàn taucht hungrig den Löffel ins Essen. Sie verbrachten fast den ganzen Tag mit rätseln, was weiter geschehen soll oder geschehen wird und welche Rolle Silàn dabei spielt. Sie ist deshalb froh, dass sich im Moment alle aufs Essen konzentrieren. Schließlich blickt der junge Onish sie mit strahlend blauen Augen an.
«Silàn, was möchtest du jetzt am liebsten tun?»
Sie seufzt und schüttelt traurig den Kopf.
«Am liebsten möchte ich hier bei euch bleiben, im Garten arbeiten und in Antims Büchern lesen. Aber das geht nicht. Femolai wird nicht zulassen, dass ich mich hier verstecke, jetzt wo sie von meiner Existenz weiß. Ich hoffe, dass die Xylin oder Silmira mir einen guten Rat geben können. Schade, dass wir nicht wissen, wo Dánirah steckt. Ihre Träume könnten vielleicht weiterhelfen.»
Antim schaut sie nachdenklich an. Er würde gern helfen, aber im Moment scheinen die Fäden der Geschichte zu verworren. Er weiß nur, dass eine direkte Konfrontation zwischen Silàn und Femolai in naher Zukunft bevorsteht.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit zieht Silàn los, um die Xylin zu suchen. Auf seine Bitte hin erlaubt sie A'shei, sie zu begleiten. Sie besuchen eine der Lichtungen, wo sie den Lichtkugeln früher oft begegneten, und setzen sich ins Moos. Es dauert nicht lange, bis ein feines Glockenklingen die Xylin ankündigt. Elegant lässt sich eine Kugel auf Silàns linker Handfläche nieder.
«Silàn ist nach Atara zurückgekehrt. Xylin sind froh, Königin zu sehen.»
«Danke, wir freuen uns auch, euch zu sehen. Ist es möglich, dass A'shei mithören kann?»
Ein Regenbogenleuchten zieht über die gläserne Oberfläche der Xyl.
«Sternenwanderer hat von Silfanus Frucht gekostet. A'shei darf mich berühren.»
Silàn nimmt A'sheis linke Hand in ihre Rechte. Sanft lässt sich die Xyl auf dieser Verbindung nieder. A'sheis Augen weiten sich überrascht, als er zum ersten Mal die Stimme einer Xyl vernimmt.
«Xylin grüßen Sternenwanderer, letzten Jäger der Tannarí. Xylin hörten vom Verrat der Nsilí.»
«Verrat? Ich denke, sie wollen sich einfach aus allem heraushalten. Das scheint mir verständlich, wer zieht freiwillig in den Krieg?»
«Silàn ist großherzig wie Haonàn. Silàn wird gute Königin werden. Silmira ist beschämt über Verhalten ihres Volkes.»
«Wo steckt Silmira? Wir haben sie seit Ramenar nicht gesehen.»
«Silmira ist Mondlicht, taucht auf, verschwindet. Femolai rüstet zum Krieg. Femolai weiß, dass Silàn in Atara ist. Silàn muss nächsten Schritt planen.»
«Ach ja? Und in welche Richtung sollte mich mein nächster Schritt führen? Ich bin gerne bereit, mein Schicksal zu erfüllen, aber ich weiß leider immer noch nicht, was von mir erwartet wird.»
«Silàn ist jung und ungeduldig. Xylin sind Botengänger, sehen nicht in Zukunft. Femolai will Pentim überreden, Krieg zu beginnen. Silàn muss ihr entgegenstehen. Xylin werden ihre Botschaften tragen.»
Silàn versucht diese Informationen zu ordnen. Die Xylin erwarten tatsächlich von ihr, den bevorstehenden Krieg zu verhindern. Sie schluckt bei dem Gedanken daran. Unerwartet meldet sich A'shei zu Wort.
«Silàn, wenn die Xylin recht haben, brauchen wir mehr Informationen aus Penira. Wir müssen wissen was Femolai und Pentim planen. Ich habe dort Freunde, ich könnte mich umhören.»
«Ich weiß nicht, A'shei. Das ist gefährlich, wie willst du deine Informationen weitergeben?»
«Xylin sind Botengänger. Xylin werden Pfad von Sternenwanderer folgen und Nachrichten tragen. Silàn wird richtige Entscheidung treffen.»
Damit wirbeln die Lichtkugeln davon. A'shei betrachtet sorgenvoll Silàns ernstes Gesicht. Erst nach einer Weile schaut sie ihm in die Augen.
«Denkst du wirklich, es ist eine gute Idee, nach Penira zu gehen?»
A'shei zuckt resigniert die Schultern.
«Es ist, was ich tun kann. Wenn die Xylin recht haben, müssen wir Femolais Pläne kennen.»

SilànWo Geschichten leben. Entdecke jetzt