2-18 Silita-Suan

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Silita-Suan

Ranoz landet vorsichtig auf der Klippe vor seinem Horst. Es ist eine Weile her, seit er eine Reiterin trug. Obwohl die Ahranan zuletzt entspannter wirkte, will er sie nicht versehentlich bei der Landung verletzen. Er faltet seine Flügel, während Silàn sich geschickt von seinem Rücken gleiten lässt. Mit steifen Beinen macht sie einige unsichere Schritte und dreht sich zu ihrem Retter um.
«Vielen Dank, Ranoz. Wo sind wir hier?»
Sie fühlt sich müde und zerschlagen. Die kalte Luft brennt in ihren Lungen und sie wickelt sich enger in ihren Schal. Da fällt ihr siedendheiß ein, dass sie keine Ahnung hat, wo A'shei steckt. Der Gedanke, dass sie ihn vielleicht nie wiederfindet, löst in ihr Panik aus. Ranoz betrachtet sie kritisch. Sie ist schmutzig, von der Haft ausgemergelt und scheint kurz davor, in Tränen auszubrechen. In seiner Stimme schwingt Besorgnis mit.
«Wie geht es dir, Ahranan?»
Silàn setzt zu einer Antwort an, als ihre Knie nachgeben und sie besinnungslos zu Boden stürzt. Der Drachenschatten schnaubt erschrocken und dunkler Rauch kräuselt sich um seine Nüstern. Vorsichtig beugt er sich über das Mädchen, das auf einmal sehr jung und verletzlich aussieht, und ruft mehrmals seinen Namen. Aber Silàn antwortet nicht. Vorsichtig hebt Ranoz die letzte Tochter von Silita vom Boden hoch und trägt sie mit schwankenden Schritten zu seiner Höhle. Die starke Magie, welche die junge Ahranan verwendete, verlangt ihren Tribut. Es wird eine Weile dauern, bis sie wieder erwacht. Sorgfältig bettet er sie auf sein mit Heu gepolstertes Lager. Dann legt er sich neben sie, um sie mit einem Flügel zuzudecken. Silàn drückt sich unwillkürlich gegen seinen warmen Körper. Der Drachenschatten lässt ein zufriedenes Rumpeln hören. Es ist soweit, das Haus Silita hat wieder eine Herrin, die Hrankaedí haben eine Ahranan. Alles wird gut werden. Ranoz steckt den Kopf unter seinen Flügel, darauf bedacht, mit seinem heißen Atem dem schlafenden Mädchen keinen Schaden zuzufügen. Silàn drängt sich unruhig näher an ihn heran. Ranoz legt den Flügel enger um ihren vor Kälte zitternden Körper. Sie stöhnt im Schlaf auf und ruft einen Namen. Ranoz wundert sich, wer wohl A'shei ist. Er hofft, dass sich die Ahranan während den Tagesstunden genügend erholt, um seine unzähligen Fragen zu beantworten.

~ ~ ~

A'shei studiert die mächtigen Mauern des Palastes während er auf Hamain wartet. Er lehnt sich gegen eine Hauswand, die Arme verschränkt, den Hut ins Gesicht gezogen, und versucht, einen gelangweilten Eindruck zu erwecken. Eine Gruppe von Femolais Kriegern kommt die Straße entlang. Sie sind noch übler gelaunt als sonst. Von Zeit zu Zeit bleiben sie stehen, um einen Passanten kritisch zu mustern oder anzuhalten und von Kopf bis Fuß zu untersuchen. Sie arbeiten dabei ohne erkennbaren Plan, nehmen sich einmal eine junge Frau und dann wieder einen älteren Mann vor. A'shei wird nervös. Diese Krieger suchen jemanden. Er hat deutlich Hamains Warnung im Ohr. Langsam löst er sich von der Hauswand und schlendert die Gasse entlang, als habe er nichts Besonderes vor. Er achtet darauf, von den Kriegern wegzugehen, ohne einen Blick in ihre Richtung zu werfen. Erleichtert atmet er auf, als er um die nächste Ecke biegt. Aber er freut sich zu früh. Hier kommt ihm eine weitere Gruppe Krieger mit schwarzen Mänteln entgegen. A'shei blickt sich erfolglos nach einem anderen Fluchtweg um. Deshalb geht er kurz entschlossen der Patrouille entgegen, als sei er ohne Eile unterwegs zu einem bestimmten Ziel. Die Krieger sind dabei, eine Frau aus dem Norden zu überprüfen. Das lange braune Haar der jungen Lellin gibt zu reden. In ihrem Gesicht steht panische Angst. Aber A'shei getraut sich nicht, ihr zu Hilfe zu kommen. Wie alle andern wendet er den Blick ab und geht scheinbar unbekümmert weiter. Dabei plagt ihn das schlechte Gewissen. Er ist fast erleichtert, als einer der Krieger ihn im vorbeigehen am Arm packt. Mit zusammengekniffenem Mund bleibt er stehen. Der Krieger mustert ihn kritisch. A'shei hält den Blick gesenkt. Da lässt ihn der Krieger überraschend los und stürzt sich auf ein junges Mädchen, das schwer beladen mit einigen Körben der Häuserzeile entlang hastet. Es trägt ein buntes Kopftuch. A'sheis Krieger reißt dem Kind das Kopftuch ab, während seine Kollegen gespannt zuschauen. Die Körbe des Mädchens fallen zu Boden und Äpfel rollen auf die Strasse. A'shei und die Lellin werfen sich einen kurzen Blick zu, bevor sie unauffällig in der Menschenmenge untertauchen. Als er in der nächsten Gasse eine dritte Gruppe von Femolais Männern entdeckt, weiß A'shei, dass er besser sofort zu Fjenis Stall zurückkehrt. Die Königin lässt die ganze Stadt durchsuchen. Noch dreimal muss er Patrouillen ausweichen, bevor die schwere Stalltür hinter ihm ins Schloss fällt. Er atmet erleichtert auf. Außer ihm ist niemand im Stall. Er nimmt eine Bürste und beginnt, die Pferde zu striegeln. Einerseits weil ihn das beruhigt, andererseits weil es im schlimmsten Fall seine Anwesenheit erklärt, sollte jemand in den Stall kommen.
Es dauert lange, bis Fjenis mit Hamain nach Hause kommt. A'shei ist mit den Stallarbeiten fertig und hat sich im Stroh zusammengerollt, um unruhig zu schlafen. Als Fjenis leise seinen Namen ruft, wacht er sofort auf. Der Stallbursche macht ein besorgtes Gesicht.
«Hier bist du! Wir dachten schon, Femolais Schergen hätten dich erwischt. Hamain bringt Neuigkeiten!»
Gespannt schaut A'shei die junge Frau an. Sie erwies sich tatsächlich als gute Freundin, genauso wie Raill und Fjenis andere Kollegen.
«A'shei, ich glaube, wir haben Glück. Ich war heute im Palast, weil mein Dienst wieder begann. Als ich ankam, herrschte helle Aufregung. Offenbar ist deine Freundin ausgerissen. Niemand hat eine Ahnung wie, aber sie ist nicht mehr in ihrer Zelle. Der Wächter, welcher ihr Essen brachte, wunderte sich, dass sie ihre Mahlzeiten stehen ließ. Deshalb ließ der Hauptmann die Zelle öffnen. Sie war leer, nur die Handfesseln sollen am Boden gelegen haben. Nun sind alle Krieger der Königin unterwegs, um dein Mädchen zu suchen. Dein Mädchen und die beiden Krieger, denen Femolai den Tod androhte, falls die Gefangene fliehen sollte.»
A'shei blickt seine Freunde mit blitzenden Augen an. Silàn hat einen Weg gefunden, Dánirahs Traum zu erfüllen! Nun muss er sie nur noch finden. Hamain versteht seinen Blick.
«Ich bin sofort umgekehrt, um dich zu warnen. Du musst die Stadt verlassen, es ist endgültig zu gefährlich hier. Ich bin sicher, dass deine Freundin nicht mehr in Penira ist. Wer aus dem Kerker fliehen kann, findet auch einen Weg aus der Stadt. Ich weiß nur nicht, wie auch du hier rauskommen sollst.»
A'shei würde am liebsten sofort losrennen. Aber Hamain hat recht. Die Kontrollen am Tor werden jetzt strenger sein als je. Fieberhaft sucht er nach einem Fluchtweg. Da räuspert sich Fjenis nachdenklich.
«Ich weiß vielleicht einen Weg.»

SilànWhere stories live. Discover now