3-1 Femolais Fluch

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Drittes Buch

Das Reich der Nacht

Femolais Fluch

Die Königin der Dunkelheit lehnt sich auf ihrem Thron zurück und unterdrückt ein Gähnen. Sie ist so müde, dass selbst ihr schlecht unterdrückter Ärger sie kaum wachzuhalten vermag. Es geht bereits gegen Abend und sie konnte einmal mehr den ganzen Tag über kein Auge zutun. Trotz ihrer Eile, zurück nach Penira zu kommen, dauerte die Rückreise eine unerträglich lange Reihe schier endloser Tage. Tage, in denen sie in ihrer Sänfte hin und her geschüttelt wurde, nur um sich während der erzwungenen Nachtrast zu Tode zu langweilen. Sie bereute in dieser ganzen Zeit ununterbrochen, sich auf diese Reise eingelassen zu haben. Wie konnte sie nur so dumm sein! Aber was geschehen ist, ist geschehen. Sie muss sich nun mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Immerhin erreichte Pentim mit seinem Gefolge, zu dem sie wohl oder übel zählt, heute Nachmittag endlich Penira, für alle im Palast ziemlich überraschend.
Jetzt wartet sie auf den Hauptmann ihrer Wache und seinen Bericht, bereits zu lange. Gereizt streckt sie eine Hand aus. Talisha lässt sich gehorsam neben dem Thron nieder. Femolai legt der weißen Wölfin die Hand auf den Kopf, um sie zwischen den Ohren zu kraulen, eine Geste, die sie beruhigt. Dann fragt sie zum dritten Mal mit herrischer Stimme nach Hauptmann Jonaim. Der Diener, der an der Tür steht, zuckt ängstlich zusammen. Er beeilt sich, den Saal zu verlassen um nach dem Offizier zu schicken und kommt nicht zurück. Femolai zittert vor Zorn. Talisha duckt sich mit gesträubtem Fell. Die Königin atmet tief durch. Es hat keinen Sinn, ihre Bediensteten zu verängstigen. Sie sollen sie fürchten, aber dabei nicht in die Hosen machen wie dieser Mann eben. Typisch für einen dieser Weichlinge aus Pentims Dienerschaft. Sie wird ihn versetzen lassen müssen, aber nicht zurück zu Pentim. Sie will nicht, dass der König glaubt, sie behandle die ihr zugeteilten Angestellten schlecht.
Bevor sie eine Lösung findet, öffnet sich die Tür und der Hauptmann ihrer Wache betritt den Saal. Der kahlköpfige Mann geht wie immer sehr gerade und stolz aufgerichtet. Es ist schwer, auf seinem von zahlreichen Schwertkämpfen und Schlägereien zernarbten Gesicht einen Ausdruck zu erkennen. Wenn Femolai zu einem ihrer Männer Vertrauen hat, dann zu Jonaim. Er steht in ihren Diensten, seit er groß genug ist, ein Schwert zu halten. Das ist lange her, inzwischen ist der Hauptmann nicht mehr der Jüngste. Trotzdem zählt er noch immer zu den besten Schwertkämpfern Kelèns. Sogar Pentims Waffenmeister begegnet ihm mit Respekt.
Jonaim tritt mit ernstem Gesicht und verkniffenen Augen näher und fällt vor seiner Königin auf ein Knie. Femolai bedeutet ihm ungeduldig, aufzustehen.
«Berichte, was ist in der vorletzten Neumondnacht passiert? Ich konnte die magische Erschütterung bis nach Lellini spüren.»
Die Stimme des alten Kriegers ist wegen einer alten Pfeilwunde am Kehlkopf konstant heiser, aber er spricht deutlich und schaut dabei seiner Königin in die Augen. Er weiß, dass er heute sein Leben aufs Spiel setzt.
«Meine Königin. In der vorletzten Neumondnacht floh die Gefangene aus dem Verlies der Zauberer. Ihr Wächter bemerkte, dass das Essen mehrmals nicht angerührt wurde. Ich ließ daraufhin den Kerker öffnen, aber da lagen nur die geschlossenen Handeisen, von der Gefangenen keine Spur.»
Während des knappen Berichts wird Femolais Gesicht noch blasser als gewöhnlich. Ihr roter Mund ist zu einem schmalen Strich zusammengepresst und ihre schlanken Finger krallen sich um die Armlehnen des Throns. Keinen Moment wendet sie ihren Blick von den Zügen des Hauptmanns. Ihre Stimme ist leise, aber gefährlich scharf.
«Du sagst, diese kleine Hexe, dieses verängstigte Kind, konnte aus unserem sichersten Verlies entkommen, ohne eine Spur zu hinterlassen? Und niemand merkte etwas davon? Von einem Ereignis, das bis ans Nordmeer magische Wellen schlug?»
Jonaim hält den Blick zu Boden gesenkt. Er weiß genau, dass es nichts bringt, seine Herrin mit Widerspruch weiter zu erzürnen. Femolais Stimme wird noch schneidender.
«Und was hast du getan, nachdem du bemerkt hast, dass die Gefangene geflohen war?»
«Meine Königin, ich habe ordnete an jede Person, die die Stadt verlassen wollte, festzuhalten und zu untersuchen. Außerdem suchen bis heute Patrouillen Penira ab und kontrollieren alle Verdächtigen. Leider erfolglos, das Mädchen bleibt verschwunden.»
«Bring mir die beiden Wachen her, die mit ihrem Kopf dafür garantiert haben, dass ich sie heil wieder vorfinde. Ich werde sie bei ihrem Wort nehmen.»
Jonaim schaut seiner Königin ohne zu blinzeln in die Augen.
«Die beiden Männer sind geflohen, meine Königin, sobald bekannt wurde, dass das Mädchen nicht mehr da ist. Wir suchten sie ebenfalls, aber sie müssen die Stadt verlassen haben, bevor wir die Tore abriegeln konnten. Es tut mir leid.»
Sehr langsam steht die Königin der Dunkelheit auf. Ihre schwarzen Augen blitzen. Sie hebt die Hand und zeigt mit dem Finger direkt auf das Herz des Hauptmanns. Dieser bleibt regungslos stehen. Wenn seine Strafe für dieses Geschehen der Tod ist, wird er ihn wortlos akzeptieren. Talisha verlässt ihr Versteck hinter dem Thron, um sich neben ihre Herrin zu stellen. Mit goldenen Wolfsaugen blickt sie von der Königin zum Hauptmann und zurück. Schließlich senkt Femolai die Hand und stößt hörbar die Luft aus.
«Nein, dich zu töten wäre einfach. Bring mir diese Krieger, auch wenn du ganz Kelèn nach ihnen absuchen musst. Von mir aus Lellini, Eshte und Atara noch dazu. Ich will sie haben und ich will dieses Mädchen haben. Wer immer sie ist, sie besitzt mehr Macht als sie uns glauben ließ. Talisha!»
Während Jonaim bewegungslos verharrt, erleichtert, mit dem Leben davongekommen zu sein, wendet die Wölfin der Königin fragend den Kopf zu.
«Talisha, schick die Kaedin los. Sie müssen die Schwingungen in der Macht gespürt haben. Diesmal kann sie nicht so einfach untertauchen. Irgendwann wird sie einen Fehler machen und sich durch ihre Magie verraten. Und Jonaim, schaff mir diesen Narren Gorenim her, augenblicklich.»

SilànWo Geschichten leben. Entdecke jetzt