2-9 Ein überflüssiger Bericht

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Ein überflüssiger Bericht

Femolai sitzt am offenen Fenster ihres Schlafzimmers hoch oben im Palast von Penira und schaut hinaus über die Stadt. Die Sonne ist endlich untergegangen, die langen Schatten fließen in der Dämmerung zusammen, bald wird es dunkel sein. Ein Licht nach dem anderen erhellt die Fenster der Häuser. Verächtlich verzieht die dunkle Königin das Gesicht über die Menschen und ihr ständiges Bedürfnis nach Helligkeit. Sie ist gerade erst aufgestanden und wartet darauf, dass endlich ihre Mahlzeit geliefert wird. Um sich die Zeit bis dahin zu vertreiben beschließt sie, sich mit den neusten Berichten ihrer Späher zu beschäftigen. Seit Monden ist im Reich alles ruhig und niemand wagt, sich gegen die Königin der Dunkelheit aufzulehnen. Trotzdem nagen immer noch Zweifel an ihr, eine unbestimmte Angst. Das ist so, seit sie vor über zwei Jahren in der Nacht ihrer Krönung diese unheimliche Erschütterung in der Magie verspürte. Trotz aller Anstrengungen brachte Talisha den verantwortlichen Magier nicht zur Strecke. Femolai ließ mehrere Monde lang erfolglos den Ort bewachen, wo ihre magische Blockade eingerissen worden war. Schließlich wurden die Bauern in Atara auf Talishas Wölfe aufmerksam und fingen an, sie zu jagen. Die Königin musste sie deshalb abziehen und die Bewachung einer Gruppe Kaedin anvertrauen. Aber Kaedin sind für waldige Gegenden nicht geschaffen, sie verlieren unter den Bäumen ihre Kraft. Zuerst wollte Femolai das Tor wieder magisch verschließen. Aber wenn ihr Bann einmal gebrochen werden konnte, war das auch ein zweites Mal möglich. Ausserdem verlangte es viel Kraft, ihn längere Zeit aufrecht zu erhalten. Deshalb verzichtete sie darauf. Vermutlich war der fremde Magier inzwischen ohnehin längst weit weg von diesem Tor.
Seither haben die Patrouillen der Kaedin und Wölfe im ganzen Land die Aufgabe, jede auffällige Anwendung roher Magie sofort zu melden. Aber auch diese Maßnahme blieb bisher erfolglos.

Angewidert wirft die Königin die Blätter mit den neuesten Berichten auf den Tisch. Sie hält alles für unbrauchbare Meldungen. Sie berichten über einen Schattenwandler in Eshte, der erfolgreich eine Seuche bekämpft, eine falsche Seherin in Nirah und einige herumziehende Tannarí mit geringen magischen Fähigkeiten. Da meldet doch tatsächlich ein Kae, es habe in den Hügeln von Gerin zwei Tannarí mit schwacher magischer Ausstrahlung beobachtet, die nachts mit Pfeil und Bogen durch den Wald zögen. Als ob Tannarí nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit unterwegs wären! Allein die Tatsache, dass sie weder den Sonnenkönig Pentim noch Femolai als Autorität anerkennen, macht sie noch nicht verdächtig. Und geringe magische Fähigkeiten sind allen Kindern der Dämmerung angeboren. Außerdem dürfte es schwer fallen, irgendwo Tannarí ohne Pfeil und Bogen zu finden. Immerhin leben die Letzten dieses Volkes fast ausschließlich von der Jagd.
Femolai steigert sich richtig in Wut. Warum bezahlt sie eigentlich all die Schreiber, Späher und Spione, wenn niemand von ihnen Wesentliches von Belanglosem unterscheiden kann? Sie knüllt den Bericht zusammen und wirft ihn in den großen offenen Kamin. Wann kommt endlich ihr Frühstück? In diesem Moment klopft es leise an der Tür. Sie ist immer noch aufgebracht.
«Wenn das mein Essen ist, bring es herein. Wenn nicht, will ich nichts hören.»
Die Tür öffnet sich vorsichtig und ein schlankes Mädchen betritt mit einem vollbeladenen Tablett den Raum. Es hält den Blick gesenkt und bleibt zögernd stehen. Femolai kennt das Kind nicht, vermutlich ist das eine der jüngeren Dienerinnen des Palasts. Sie hat das goldene Haar und die blauen Augen der Sonnenkinder und ist völlig verängstigt. Unwillkürlich lächelt die Königin. Ihr Ton ist schon viel freundlicher.
«Komm her, stell das Tablett auf den Tisch. Dann kannst du die Papiere im Kamin für mich verbrennen und mein Bett machen.»
Während das Mädchen wortlos gehorcht, macht sie sich mit Appetit über das Früchtekompott her. Es hat Vorteile, in Pentims Palast zu wohnen. Mit Befriedigung hört sie das Knistern, als der unsinnige Bericht des Kae aus Gerin in Flammen aufgeht, und wendet sich wieder dem ausgezeichneten Essen zu.

SilànWhere stories live. Discover now