1-20 Femolai

2K 130 16
                                    

Femolai

Der große Saal hallt wieder von den lauten Gesprächen und dem fröhlichen Lachen der zahlreichen Gäste. Die Musiker zeigen erste Zeichen der Erschöpfung und des Alkohols, der heute in großen Mengen fließt. Sie verlieren allmählich den Kampf um die Aufmerksamkeit der angeheiterten Zuhörer und zunehmend schleichen sich falsche Töne in ihre Interpretationen.
Die neu gekrönte Königin lehnt sich mit einem zufriedenen Lächeln in ihren samtgepolsterten Sessel zurück. Das Fest ist in jedem Punkt ein gelungener Anlass. Die Anwesenden werden sich noch lange an diesen Abend erinnern. Und solange genug Getränke vorrätig sind, solange sich die Tische unter der Last der Speisen biegen, spielen auch die falschen Töne der Musiker keine Rolle. Der Sonnenkönig lehnt sich mit einem wohlgefälligen Schmunzeln zu ihr hinüber. In seinem goldenen Bart hängen noch einige Krümel des Nachtischs.
«Nun, Fem, meine Schöne, bist du zufrieden mit deinem Fest?»
Femolai lächelt kalt.
«Nenn mich nicht Fem. Ich habe einen Namen und einen Titel. Ja, ich bin sehr zufrieden. Die Dunkelheit hat wieder eine Königin. Niemand wird das in Zukunft vergessen.»
Pentim aus dem Haus Diun, König von Kelèn, nickt gedankenvoll und betrachtet ihr perfekt geschnittenes Gesicht, ihre schlanke, wie immer in Schwarz gekleidete Gestalt, ihre dunklen tiefgründigen Augen. Sein Traum ist es, eines Tages ihre beiden Königreiche zu vereinen, das Reich der Sonne und jenes der Dunkelheit. Gäbe es eine bessere Kombination? Und vielleicht lässt sich das nicht nur auf der politischen Ebene arrangieren. Femolai neigt den Kopf, als ob sie seine Gedanken lesen könnte. Ihre geschmeidigen Finger spielen mit der schweren Halskette aus blutroten, in Gold gefassten Steinen. Sie blickt den Sonnenkönig aus halbgeschlossenen Augen verführerisch und gleichzeitig abschätzend an.
«Und du, mein König, was hältst du von meinem Fest?»
Ihre Stimme ist sanft und dunkel wie ihre Augen. Pentim lacht, ein raues, warmes Lachen.
«Jeder Grund zum Feiern ist gut. Und wenn deine Krönung zur Königin der Nacht dem Reich mehr Ruhe und Stabilität verspricht, ist das der beste Grund zum Feiern, den ich mir wünschen kann.»
Femolai runzelt ihre weiße Stirn. Gibt der König ihr zu verstehen, dass der Grund für das Fest begrüßenswert ist, die Feier selber ihm aber nicht gefällt? Sie will gerade eine entsprechend spitze Frage formulieren, als ihr unvermittelt ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Ihre Augen rollen zurück, bis nur noch das Weiße sichtbar ist. Ein Zittern erfasst ihren Körper und ihre Hände verkrampfen sich um die Sessellehnen.
«Was ist los mit dir? Femolai?»
Pentim greift entsetzt nach ihrer rechten Hand. Ihre Finger sind eiskalt und halten die Lehne fest umklammert.
Femolai antwortet nicht. Sehr langsam und mit sichtlichem Kraftaufwand entspannt sie sich und streicht sich mit der linken Hand über die Augen. Jemand übte große Magie aus, zertrümmerte einen ihrer stärksten Zauber buchstäblich. Wie immer war ihr Handwerk mit einem doppelten Spruch geschützt und sie erhielt soeben eine entsprechende Warnung.
Jemand öffnete gewaltsam das Tor zwischen den Welten, das versteckt in einem kleinen Tal in den Hügeln von Atara liegt. Sie war sicher, dass von dort keine Gefahr mehr drohte, seit sie vor Jahren ihre Gegnerin Tanàn von Silita in jene magielose fremde Welt verbannte. Trotzdem erneuerte sie den Bannspruch am Tor kurz vor ihrer Krönung, nur um wirklich sicher zu sein, dass nichts aus jener Welt in diese hinübergreifen kann, niemals wieder. Aber soeben wurde das Tor mit Gewalt aufgerissen, mit einer Menge an roher Magie, wie sie in diesen Tagen kaum jemand mehr aufbringen kann.
Femolai überlegt fieberhaft, wer eine solch unglaubliche Macht besitzen könnte. Aber außer dem ausgestorbenen Haus von Silita fällt ihr niemand ein. Die wenigen noch lebenden Schattenwandler verfügen niemals über soviel Energie und würden bei einem solchen Einsatz innerlich ausbrennen.
«Talisha!»
Mit einer gebieterischen Handbewegung zischt sie den Namen des reglosen Schattens unter ihrem Sessel. Die weiße Wölfin erhebt sich lautlos und legt den Kopf auf die Lehne des Throns ihrer Herrin. Zwei goldene Wolfsaugen blinzeln fragend. Femolais Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, aber scharf wie ein Messer. So sehr sich Pentim bemüht, ihre Worte zu verstehen, seine Anstrengungen bleiben vergeblich. Femolais Botschaft erreicht nur die empfindlichen Ohren der Wölfin, für die sie bestimmt sind.
«Talisha, meine Blockade in diesem abgelegenen Tal hinter Himenar wurde gebrochen. Erinnerst du dich?»
Wieder blinzeln die goldenen Wolfsaugen.
«Gut. Ich will wissen, wer das war. Bring diesen Magier hierher, wenn möglich lebend. Die Kaedin werden dir helfen.»
Talishas Mund verzieht sich zu einem scharfzahnigen Wolfslachen. Mit einem letzten Blinzeln ihrer goldenen Augen wendet sie sich ab. Die Jagd beginnt.

SilànWhere stories live. Discover now