25.

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Tim hielt sein Versprechen. Am nächsten Tag waren die Eimer, Kisten, Fässer und Bretter von der Reitfläche verschwunden und er trug wieder seine normalen, lässigen Klamotten. Er brauchte auch gar nicht mehr lange zu warten, bis ich Misty fertig gestriegelt, ihr Zaumzeug angelegt hatte und sie nach draußen führte.

"Fühlst du dich wieder bereit für nen Pferderücken? Oder tasten wir uns lieber langsam wieder an alles heran?"

"Geht schon!", meinte ich optimistisch, griff in den Sattel und hievte mich mit viel Schwung nach oben. Misty machte einen kurzen erschrockenen Schritt von mir weg, trotzdem schaffte ich es und saß mit aufgeregt pumpendem Herzen kurz darauf oben. Tim nickte anerkennend. "Na dann, mal sehen wie weit wir kommen!", er schwang sich auf sein riesiges Shire Horse und begann, vor mir zu traben. Automatisch geriet meine Stute ebenfalls in Bewegung, versuchte die Lücke vor sich zu schließen. "Halt sie zurück Stegi! Noch hast DU ihr nicht den Befehl zum Loslaufen erteilt!"

Hastig zog ich an den Zügeln und brachte sie zum Stehen. Misty schüttelte ihren Kopf und wollte direkt weiterlaufen, aber wieder gab ich ihr zu verstehen, dass sie gegen meinen Willen handelte. Sie verstand, wartete geduldig und schaute Rexi hinterher, die eine gesamte Runde drehte und dann neben uns wieder hielt. Tim zeigte mir seinen hochgestreckten Daumen.

"Machen wir heute eigentlich noch Galopp?", fragte ich, nachdem wir die Übung noch ein paar Mal wiederholt hatten und Misty perfekt auf meine Signale gehorchte. Irgendwie hoffte ich, dass mir noch ein wenig Zeit bis dahin blieb, dass wir weiter diese relativ einfachen Sachen üben und vielleicht irgendwann noch einen Reitausflug machen würden. Und mein Wunsch wurde erhört.

"Heute noch nicht, keine Angst! Aber ich hab noch eine Überraschung, wenn alles gut klappt."

Ausreiten, ich war mir hundertprozentig sicher! Das Blut schoss in meine Wangen vor Freude und aufgeregt rutschte ich im Sattel umher. Das wäre das erste Mal, dass ich die Lichtung wieder verließ und etwas von der Umgebung bei Tageslicht sah! Also gab ich mir alle Mühe, um Tims Anforderungen gerecht zu werden und am Ende war er wirklich zufrieden mit mir. "Na dann, wie wärs wenn wir-"

"Ausreiten? Bitte!"

Er lachte. "Ich wusste, dass dir der Vorschlag gefallen würde! Auf gehts!"

Ich musste mich echt zurückhalten, um Tim nicht sofort um den Hals zu fallen, als wir nochmal absteigen mussten, unsere Pferde durch den Stall hinaus ins Freie führten und dann nebeneinander herritten, denselben Weg den er sonst auch immer eingeschlagen hatte, direkt auf den Wald zu, der seine Äste bereits erwartungsvoll nach uns auszustrecken schien. Angst hatte ich keine! Schließlich war Tim ja bei mir, mein Bruder und mittlerweile bester Freund! Fasziniert ließ ich meine Blicke schweifen, als wir in die Schatten der hohen Nadelbäume eintauchten. Es war so friedlich hier. Auf dem Hof gab es immer etwas zu tun, kaum war man mit einer Sache fertig, wartete auch schon die nächste Aufgabe. Hier war das mit einem Schlag ganz anders. Als wäre die Zeit stehen geblieben.

Überrascht wich ich ein paar Zweigen aus, die auf den Weg hingen. Neben mir hörte ich unterdrücktes Kichern: "Träumst du etwa?"

Meine Wangen wurden fleckig rot und ich konzentrierte mich wieder mehr auf den Weg. Die häufigen Besuche durch die Pferde hatten einen Trampelpfad zwischen den Bäumen hinterlassen, den Rexi und Misty auswendig zu kennen schienen und ohne viel Gezicke einschlugen. Nur Tim navigierte ab und zu kurz an Kreuzungen, wovon ich aber bloß unterschwellig Notiz nahm. Ich hatte aber das Gefühl, dass der Junge heute mit mir eine ganz bestimmte Strecke reiten wollte, dafür schaute er viel zu oft sehnsuchtsvoll auf einen Punkt in der Ferne, der einzig und allein für ihn sichtbar war. Jedenfalls noch.

Hoch über uns hörte ich pausenlos Vögel singen. Der Wald war voller Leben. Misty und Rexi schnaubten im Gleichtakt und ihre Hufe erzeugten einen dumpfen Rhythmus auf den Wurzeln und dem Moos, der sich ständig veränderte, auf dem Erdboden anschwoll und auf den weiten Flächen aus Nadeln und braun verfärbten Blättern wieder abklang. Wo entlang ich wohl gestolpert war auf meinem Weg, der mich schließlich hierher gebracht hatte? Wenn wir bereits daran vorbeigeritten waren, hatte ich es jedenfalls nicht wiedererkannt. Naja, aber wie auch, es war stockfinster und kalt gewesen und ich hatte nur daran gedacht, so schnell wie möglich zu verschwinden. Vielleicht würde ich meine eigenen Spuren auch nie wieder finden, aber dann war das vollkommen in Ordnung. Leider hatte ich da meine Rechnung ohne Tim gemacht.

"Huh? Guck mal, da glänzt was!" Schnell stieg er von seinem Pferd, wühlte in einem Haufen aus Blättern herum und zog eine im schwachen Licht blitzende und teuer wirkende Uhr heraus. Ich bekam einen Schreck. "Wer sowas wohl verliert?", grübelte mein Kumpel, dann sah er mich fragend an. "Du weißt es auch nicht oder?"

Und ob ich es wusste. Ich hatte nur nie wirklich gemerkt, dass sie fehlte, da ich sie auf dem Hof nicht gebraucht hatte.

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