43.

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„Im Stall übernachten? Warum das denn?", fragte ich verwirrt lächelnd. Tim wirkte verlegen und schaute zur Seite: „Nur so, war bloß so ein Gedanke. Wir haben noch eine freie, saubere Box und warme Decken drüben. Ich dachte, das wäre vielleicht, naja, romantisch...? Also... möchtest du?"

Das letzte Mal, als ich im Stall übernachtet hatte, war ich vor Tim dorthin geflüchtet, weil er sich sonst an mir vergangen hätte. Ich schluckte und erinnerte mich selbst, dass das Vergangenheit war. Tim benutzte den Lederreiniger nicht mehr und würde dieses Mal nichts dergleichen tun! So war er normalerweise nicht. Ich nickte also. „Okay."

Tim strahlte mich an. „Wirklich? Dann komm, bevor es zu dunkel wird und wir nichts mehr sehen draußen!", drängte er mich und lief beschwingt voraus, als wäre er der jüngere von uns beiden, der sich auf ein Abenteuer freute. Süß! Ich folgte ihm und musste mir ein Kichern bei seinem Anblick verkneifen.

Während Tim noch hastig die Email an seine Bekannten verschickte, suchte ich die Decken und schleppte sie zu der Box, in der wir heute schlafen würden. Hier waren bei schlechtem Wetter immer mal Pferde untergestellt. Jetzt war sie aber tatsächlich leer und außerdem mit frischem Stroh ausgepolstert. Bis mein Freund fertig war und zu mir stieß, hatte ich es uns mit zwei provisorischen Schlafstellen gemütlich gemacht und wartete auf ihn. Er grinste zufrieden und krabbelte unter die Decke neben mir. „Kuscheln?"

Ich stimmte zu und rutschte näher, damit er seine Arme um mich schlingen konnte. So aneinander geschmiegt vergrub ich mein Gesicht an Tims Schulter und merkte schon gar nicht mehr, wie ich allmählich in den Schlaf überglitt.

POV Tim

Am nächsten Morgen musste ich Stegi früh wecken. Ich hatte es davor geschafft, aufzustehen ohne ihn zu stören, und hatte meine Emails gecheckt. Die Bauarbeiter wollten heute schon kommen, genauer gesagt schon in zwei Stunden. Bis dahin sollten wir besser frühstücken, uns umziehen und die Spuren unserer Übernachtung hier vernichten. Zwar hatten wir wirklich nur miteinander gekuschelt, aber das mussten meiner Meinung nach weder die Kerle, noch Molly wissen. Und ich wollte noch ein paar Vorbereitungen treffen, damit wir nachher direkt mit der Arbeit anfangen konnten!

Stegi war wie immer ein wenig grummelig am Morgen, wurde aber schnell munter und versprach mir, ein paar meiner Aufgaben heute mit zu übernehmen, sodass ich bei der Planung mithelfen konnte. Dafür war ich ihm unendlich dankbar. Seit der Treppe im Haupthaus hatte ich nichts mehr gebaut oder repariert und mittlerweile juckte es mich wieder in den Fingern, meine Werkzeuge zu benutzen oder etwas zu basteln. Bald, hielt ich mich selbst zurück. Sobald der Prozess durch war und wir das Geld hatten, würde ich eine ganze Baustelle vor mir haben und mehr Arbeit, als gut war für meinen Enthusiasmus.

Der Erste, der auf dem Hof eintraf, war Harry, ein alter Kollege von Mollys Mann und außerdem derjenige, dessen Familie uns das Babyfon geliehen hatte. Jetzt brauchten wir es nicht mehr und ich gab es ihm nach der Begrüßung zurück. „Dankeschön nochmal, es hat uns wirklich sehr geholfen!", sagte ich.

Harry lachte: „Was, so schnell ist es groß geworden? Unglaublich. Glückwunsch übrigens, und sag mal, ists ein Junge oder Mädchen? Und Sandra hatte was von ner heißen Sängerin erzählt, die de um den Finger gewickelt hast mit deinem Charme!"

Ich musste prusten. Sie waren also wirklich drauf reingefallen. "Mensch Harry! Das war doch bloß ein Scherz! Ich bin nicht Vater geworden und Chrissy Costanza ist auch nicht meine Freundin! Nenene, Cora hat Ferkel bekommen und die Geburt leider nicht überstanden. Also haben mein Kumpel und ich sie zusammen großgezogen."

Harry wirkte enttäuscht, aber nicht lange. Ihm hätte die Version mit der heißen Sängerin scheinbar deutlich besser gefallen. "Wusste ich natürlich", zwinkerte er und räusperte sich, „So, ihr wollt also anbauen? Ich habe zwar noch nie bei etwas so großem mitgemacht, aber ich kenne jemanden der wen kennt, der uns Baugerüste stellen könnte. Und mein Sohn hat immer mal mit Dachdeckern zu tun-"

„Sehr gut Harry, aber immer langsam. Zuerst müssen wir einen Plan machen!", musste ich ihn in seiner Vorfreude stoppen. Außerdem waren noch nicht alle da und ich wollte unser Projekt nicht doppelt und dreifach erklären müssen. Auf meinen Vorschlag hin stimmte Harry zu, bei Molly vorbeizuschauen und einen Tee mit ihr zu trinken und ich machte mich nochmal auf den Weg in mein kleines Büro. Ich hatte noch ein paar Bestellungen zu erledigen, bevor ich das über den Tag noch vergaß.

Glücklicherweise verzichtete die Technik heute auf Spinnereien und ich schaltete ihn gerade wieder aus, als ein Schatten in der Tür auftauchte. Verwundert blickte ich auf und erschrak ein wenig. "Ihr? Was gibts? Habt ihrs euch doch nochmal anders überlegt wegen dem Unterhalt?"

Konstantin lächelte nur kurz und eisig kalt, seine Frau klebte ihm wie eine Umhängetasche an der Schulter. Er trat ein, betrachtete unbeeindruckt und naserümpfend die spärlichen Möbel und das Chaos auf meinem Schreibtisch, dann stand ich auf und er blieb direkt vor mir stehen. Ich überragte ihn, aber er hatte den kräftigeren Körperbau. Im Falle einer Auseinandersetzung würde ich vermutlich den kürzeren ziehen.

"Ja, das haben wir. Wir zahlen keinen Cent und du erklärst dem Gericht, dass du das Verfahren zurückziehst. Sonst kriegen wir euch wegen Kindesentführung dran!"

Ungläubig zog ich eine Augenbraue in die Höhe: "Ach ja? Kindesentführung? So habe ich das aber nicht in Erinnerung. Hast du ihm das in den Kopf gepflanzt, Mutter? Molly hat mich gerettet, nicht entführt!"

Ich bekam zwei kräftige Hände vor die Brust gestoßen und stolperte einen Schritt rückwärts, fing mich jedoch sofort wieder. "Wir reden hier nicht von dir!", höhnte mein Stiefvater. Dann winkte er einmal auffordernd hinter sich und zwei weitere Personen betraten mein Büro.

Der junge Mann hatte seine dunkelblonden Haare mit viel Gel fixiert, sodass sie zu leuchten schienen. Sein Anzug war maßgeschneidert und passte perfekt zu den makellosen schwarzen Lederschuhen. Seine Begleitung war etwa im selben Alter wie ich, schätzte ich jedenfalls. Sie hätte locker eines der Models auf den Covern sämtlicher Mode- und Schönheitszeitschriften sein können. Ihre Haare waren tiefrot gefärbt und gaben einen verführerischen Glanz in ihre Umgebung ab. Man musste neidlos anerkennen, dass sie schön war. Nur ihre Augen waren es nicht. Sie wirkten seltsam kalt in ihrem zeitlosen Gesicht. Genauso wie die des anderen Fremden. Trotzdem erkannte man auf den ersten Blick, dass sie dem gehobenen Stand angehörten. Der Art von Leuten, vor denen man im Staub kniete, wenn sie einen Wunsch aussprachen. Und solche Leute waren jetzt hier auf dem Hof? Mir hatte es für ein paar Sekunden die Sprache verschlagen.

"Uns wurde von den beiden gesagt, dass hier ein Junge lebt, den ihr Stegi nennt, ist das korrekt?", wandte sich das Mädchen mit vor Ehrerbietung heischender Stimme an mich, als sei sie es gewohnt, Befehle zu erteilen. Irritiert nickte ich. "Aber auch er wurde nicht entführt! Er ist freiwillig zu uns gekommen und hat um Obdach gebeten!"

"Das ist irrelevant. Aussagen lassen sich ändern, genauso wie Urteile, wenn man die Mittel dafür hat", mischte sich nun der Schnösel ein. Gekonnt zupfte er sich die Ärmel gerade und betrachtete mich hochnäsig. "Wir sind hier, um unseren kleinen Bruder wieder mit nach Hause zu nehmen!"

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