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Ich winkte Tim nach, als er auf Rexi in den Wald verschwand. Die Schatten der niedrigen Baumkronen verschluckten sie beinahe augenblicklich, fast als hätte es sie niemals gegeben. Gruselige Vorstellung!

Ich wandte mich leicht schaudernd ab und umklammerte den Griff des Kunststoffeimers fester. Während seiner Abwesenheit hatte Tim mir nämlich aufgetragen, die Hühner zurück in ihren Verschlag zu bringen und anschließend noch zu füttern. Laut seiner Aussage keine große Sache, sie kannten die Routine und würden keine Mätzchen machen. Im Gegensatz zu den anderen Tieren interessierte sie nicht, ob ich fremd war oder nicht, solange ich das Futter dabei hatte, war ich ihr bester Kumpel. Mal sehen, ob das wirklich so klappte, wie er sich das gedacht hatte.

Den Weg zu der Hühnerwiese fand ich schnell wieder und tatsächlich hatten sich die Hennen nicht großartig von ihrem Fleck heute morgen wegbewegt. Einmal mit dem Eimer rascheln genügte auch schon, um sie aufblicken und mir dann im Gänsemarsch folgen zu lassen. Der Hebel an der Tür zum Hühnerstall klemmte etwas, aber ansonsten verlief alles reibungslos, wie Tim versprochen hatte. Ein Tier nach dem anderen schlüpfte über die Schwelle, während ich zählte. Auf fünfundvierzig musste ich kommen, sonst gab es Ausreißer. Oder der Fuchs hatte sich bedient, das passierte angeblich auch nicht gerade selten. Glücklicherweise waren sie vollzählig und starrten mich jetzt erwartungsvoll aus allen Richtungen an. Achja, die Körner! Rasch holte ich einige Handvoll aus dem Eimer und streute sie im weiten Bogen, bis die Schar von mir abrückte und ich noch den Rest vor mir auf die Steinfliesen kippte. Eigentlich auch ganz putzig, dachte ich, während ich sie von draußen noch ein wenig beobachtete. Einfach gestrickt, aber das war gut so. So konnte ich auch etwas tun, ohne mir ständig von Tim alles erklären zu lassen. Ich mochte ihn und seine unbekümmerte, lässige Art zwar, aber ich musste ihm doch sicherlich jede Menge Zeit rauben. Am besten suchte ich mir morgen eine einfache, aber langwierige Arbeit hier auf dem Hof, mit der ich ihn so gut wie möglich entlasten konnte! Sozusagen als Dankeschön für die Reitstunden und seine Einweisung von heute.

Zufrieden ging ich zum Haupthaus zurück. Vielleicht hatte Molly noch einen Auftrag für mich oder ich konnte ihr anderweitig noch helfen. Aber als ich eintrat, stellte sie gerade den letzten Topf auf dem Esstisch ab, auch das Geschirr und das Gesteck lag schon bereit. "Ist Tim noch im Stall, mein Junge?", wollte sie wissen, als er mir nicht durch die Tür folgte. Ich schüttelte den Kopf: "Er wollte nochmal ausreiten."

"Auf welchem Pferd denn Stegi? Weißt du noch die Fellfarbe?" So schnell wie sie diese zwei Fragen hinterher schob, klang sie eher besorgt als nur oberflächlich interessiert, wie sie eigentlich hatte wirken wollen. Ich war ein wenig überrumpelt. Würde Tim etwas unangenehmes erwarten, wenn ich ihr die Wahrheit erzählte?

"Ehm, das Shire Horse glaube ich, Rexi oder so", antwortete ich zögernd und versuchte, eine Reaktion an ihrem Gesicht abzulesen. Aber ich schien zum Glück nichts falsches gesagt zu haben. Molly wirkte erleichtert. "Gut, ich hoffe er ist zurück, bevor die Kartoffeln kalt werden. Komm, ich zeig dir noch, wo du heute Nacht schlafen kannst."

Sie führte mich eine leicht krumme Treppe ein Stockwerk nach oben, die uns in einen Flur mit drei angrenzenden Zimmern brachte. "Geradeaus ist das Badezimmer, wir haben auch eine Dusche. Die kannst du jederzeit benutzen, aber Warmwasser funktioniert leider nur zehn Minuten am Stück. Hier auf der rechten Seite ist Tims Zimmer. Ich hab noch eine warme Decke und eine Matratze vom Dachboden aufgetrieben, hoffentlich stört dich das nicht, wenn ihr euch das Zimmer teilt. Sollte etwas nicht stimmen, dann ist da gegenüber mein Arbeits- und Schlafzimmer."

"Und Tim wird es sicher nicht stören?", fragte ich, skeptisch darüber, ob nicht sehr viel eher der Ältere von uns beiden Einwände dagegen haben könnte. Aber Molly winkte lächelnd ab. Vorsichtig drückte ich die Türklinke herunter und sah mich in dem Raum um.

Es war in etwa so groß wie mein altes Zimmer, aber, wie es zumindest auf den ersten Blick aussah, sogar noch spärlicher eingerichtet. Ein Schrank aus massivem Holz, der wie selbst gebaut wirkte, eine hohe Stehlampe in einer Ecke und ein niedriger Tisch, auf dem Zettel verstreut lagen. Erst als ich ein paar Schritte eintrat, erkannte ich noch mehr Einzelheiten. Meine Matratze auf dem Boden zum Beispiel. Und als ich mich etwas verwirrt umschaute, entdeckte ich schließlich auch Tims Schlafstelle. Ich konnte mir vorstellen, dass er auf dieses Bett unglaublich stolz war. Es sah aus wie eines dieser raffinierten modernen Möbelstücke aus einer Designerzeitschrift, eine nach oben geöffnete halbkreisförmige Ausbuchtung in der Wand, Koje hieß das glaube ich. Sie war gefüllt mit weichen Kissen und einer Decke, die angenehm nach Seife und nach Tim dufteten. Wusste ich dass es sein Geruch war, weil er mich vorhin getragen hatte? Oder bildete ich mir das ein, weil das hier nunmal sein Bett war? Über mich selbst verwundert schüttelte ich meinen Kopf, um die seltsamen Gedanken loszuwerden. "Das ist echt nett Molly, Dankeschön. Vielen Dank!", sagte ich, während ich mich wieder zur Zimmertür umdrehte, aber dort wartete sie schon gar nicht mehr. Naja, sicher hatte sie auch noch viel zu tun. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um mich noch ein wenig in dem Zimmer umzusehen.

Der Lichtschalter für die Lampe war schnell gefunden und in ihrem Licht wirkte alles nochmal eine Spur einladender und auch gemütlicher. Auf dem Boden lag ein flauschiger Fellteppich, dessen Form mich an Schaf denken ließ. Der Tisch und auch der Schrank waren mit feinen, geritzten Mustern übersehen, wie Ranken schlangen sich die helleren Linien umeinander. Auf dem Tisch konnte ich sogar ein kleines, eingerahmtes Portrait von einem Pferdekopf entdecken. Tim hatte echt wahnsinniges Talent! Und ich entdeckte sogar noch mehr. Vor dem einzigen Fenster im Raum standen auf dem schmalen Sims kleine angemalte Figürchen. In einer erkannte ich einen Hasen mit aufgestellten Ohren, eine andere bildete eine Männchen machende schwarze Katze ab. Auch ein Fohlen mit dünnen angewinkelten Beinen war dabei. Als ich sie auf den Kopf drehte, entdeckte sich Jahreszahlen in ihren Sockeln. Der Hase war schon ein paar Jahre alt, die Katze dafür erst vor wenigen Wochen oder Monaten entstanden. Begeistert stöberte ich weiter.

"Na, gefallen die dir?"

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