33.

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Auf dem gesamten Rückweg durch den Wald klammerte ich mich mit beiden Armen auf Tims Brusthöhe so stark an ihn, als wolle ich mit ihm verschmelzen. Einerseits des Schocks wegen, andererseits weil Tim auf einen Sattel verzichtet hatte und als Zaumzeug ebenfalls notdürftig das Halfter und den Führstrick verwendete, dessen Ende er vorne am Maul des Pferdes mit einem der Riemen verknotet hatte. Es wirkte, als hätte er alles stehen und liegen gelassen, um mir nachzureiten.

Irgendwann sprach er dann wieder das erste Wort mit mir, seit wir uns vorhin im Stall uneins getrennt hatten. Seine Stimme war leise und belegt: "Der Weg ist wegen Erdrutschen und Steinschlägen inoffiziell rund ums Jahr gesperrt. Jedes Jahr stellt hier jemand ein Warnschild auf und Tage später hat es ein anderer entfernt, es ist zum Verzweifeln. Ich hätte dich warnen sollen, dass du hier nicht entlang reiten darfst, aber ich hab nie daran gedacht. Wenn dir etwas passiert wäre, hätte ich mir das niemals verziehen..."

Ich nickte nur kurz und vergrub mein verheultes Gesicht in sein Hemd. Mir war es im Moment gleich, ob ich vor einer Stunde noch vor ihm hatte flüchten wollen. Er hatte mich eben gerettet und seinen Entschuldigungsversuch damit mehr als nur ausgeglichen. Und ich war auch nicht gerade fair zu ihm gewesen. Vielleicht war der Grund für Tims emotionale Ausbrüche so intim oder persönlich, dass er ihn wirklich nicht mit mir teilen konnte. Dann war das sein gutes Recht und ich musste das respektieren, vor allem weil ich ja auch mein eigenes, dunkles Geheimnis besaß. Ich war nicht der Unschuldsengel, als der ich mich heute aufgespielt hatte. Das durfte ich nicht vergessen!

Vor uns lichteten sich langsam die Bäume und keine Minute später erreichten wir den Waldrand zu den Wiesen um den Hof. Nie war ich glücklicher gewesen als jetzt, unbeschadet wieder hier zu sein. Tim ließ Rexi bis zum Stalltor laufen, bis er sie zum Anhalten brachte, etwas umständlich sein rechtes Bein über den Pferdehals schwang, da ich ja noch immer hinter ihm saß, dann aber doch recht elegant von ihrem Rücken glitt und mir die Arme entgegenstreckte. "Na komm, ich fang dich auf", grinste er.

Ein Blick nach unten reichte mir vollkommen. Ich würde nicht eher von der Stute steigen, bis mich jemand mit Gewalt an den Füßen runterzerrte! Nicht mit meiner Höhenangst! Zugegeben, Misty hatte mir am Anfang auch einiges an Überwindung abverlangt und mittlerweile hatte ich diese Hemmschwelle überwunden, aber das Shire Horse übertraf mein kleines Pony um Weiten! Daran hatte ich in dem Moment, als Tim mir hochgeholfen hatte, gar nicht gedacht.

Ihm musste mein ängstlicher Blick aufgefallen sein, er legte den Kopf schief und sah mich fragend an: "Ich lass dich nicht fallen, versprochen! Vertraust du mir?"

Ja, eigentlich schon. Aber da waren zwei Meter freier Sturz zwischen mir und den trockenen Gräsern am Boden. Und Tim selber erreichte von unten auch nur meine Unterschenkel. Das war alles so unsicher, wer sagte mir, dass ich ihm nicht doch entgleiten könnte, wenn ich gleich panisch herumzappelte?! So mutig war ich nicht, war ich selten gewesen. Warum konnte ich nicht noch ein paar Minütchen auf Rexi sitzen bleiben und mich wieder beruhigen?

Mein Bruder ließ seine Arme traurig sinken. "Tschuldigung. Ich kann auch verstehen, wenn du mir noch nicht wieder trauen kannst", murmelte er verletzt. Da endlich bekam ich auch meinen Mund auf: "Es liegt nicht an dir! I-ich hab Höhenangst! Was wenn ich dir wegrutsche? Oder dir zu schwer bin und wir beide uns wehtun?"

Tim schaute auf, ein Hoffnungsschimmer blitzte in seinen Augen auf. Sofort streckte er mir wieder die Hände entgegen. "Ich fang dich, du bist nicht schwer, rede dir das bloß nicht ein! Mach die Augen zu und denke an etwas schönes! Auf drei rutschst du runter zu mir, okay?"

Ich wollte ja gerne, aber es waren zwei Meter! Und ich hatte nichts zum Festhalten!

"Eins..."

Warum zählte Tim schon?! Ich hatte noch gar nicht mein Einverständnis gegeben!

"Zwei..."

Okay, okay, ruhig, ganz ruhig atmen! An etwas schönes denken! Aber an was? Mir fiel in der Panik nichts ein!

"Drei!"

Tim! Ich schloss verzweifelt die Augen und dachte an Tim. Wie er mich gerettet hatte. Dann drückte ich mich ein Stück vom Pferderücken herunter und spürte sofort, wie es abwärts ging. Ich presste meine Lippen zusammen, damit ich nicht schreien konnte, und wurde tatsächlich nach wenigen Zentimetern von zwei starken Armen aufgehalten, die sich knapp unter meinem Po um meine Oberschenkel schlangen. Vorsichtig blinzelte ich. Ich schwebte etwa eine Kopfhöhe über Tim, der mich glücklich ansah und dann den restlichen Weg zum Erdboden sinken ließ. Erschöpft klammerte ich mich weiter an ihn. Meine Beine würden mich heute bestimmt keinen Schritt mehr tragen können!

Zeig mir was Leben ist! (#Stexpert)Where stories live. Discover now