10.

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Am Nachmittag stand ich dann wieder im Stall, besser gesagt in einem Gang ein wenig abseits, in dem mehrere Bürsten und andere Geräte lagerten, die, wie Tim mir erklärt hatte, alle für Pferde bestimmt waren. Mir gegenüber waren außerdem drei Exemplare im Kinderformat angeleint, jedes kaute auf einer handvoll Heu und bekam eine letzte Streicheleinheit von dem schlaksigen Jungen, bevor er sich wieder neben mich stellte. "So, die anderen wären dir vermutlich alle ein wenig zu temperamentvoll. Du hast jetzt die Auswahl!" Nacheinander zeigte er auf die verschieden gemusterten Reittiere. "Der Rappe da, also das schwarze Pferd, ist ein Friese und heißt Kyle. Kleiner Dickkopf, jetzt zehn Jahre alt und hat echt viel Kraft und Ausdauer. Daneben Misty, die grau-weiß gescheckten nennt man Apfelschimmel. Eine echte Diva, hat aber einen unglaublich angenehmen Trab und einen noch schöneren Galopp. Sie ist erst fünf Jahre alt, also ein wenig eingewöhnen müssen wir sie noch. Und dann haben wir hier einen Opa unter den Pferden: Tsunami, der Braune da. Ein Mustang Mischling, wenn ich mich richtig erinnere, gute siebenundzwanzig Jahre alt. Gemütlicher Kerl, hat noch nie Ärger angezettelt, aber der wird sofort anfangen den Rasen zu kürzen, wenn du die Zügel locker lässt. Und das wollen wir ja nicht alle paar Meter. Sagt dir schon eins von den dreien zu?"

Irgendwie nicht. Aber ich hatte auch Angst, dass als nächstes die Riesen dran waren, von denen Tim gemeint hatte, sie wären zu temperamentvoll. Also wog ich ab, der Rappe sah eigentlich ganz nett aus, Tsunami dagegen unbeeindruckt und ein wenig müde. Misty war auch verlockend, keine Ahnung warum aber ich glaubte, die Mädchen wären vielleicht nicht so bockig wie die Jungs. Also deutete ich schließlich auf den Apfelschimmel.

"Misty? Okay, gute Wahl. Lass mich noch kurz die beiden Herrschaften zurückbringen, dann lernst du erstmal, wie man Pferde richtig bürstet."

Uff, man konnte Pferde auch falsch bürsten? Verunsichert sah ich Tim hinterher, der mit beiden Stricken in der Hand den Gang hinunter lief, dann näherte ich mich vorsichtig meiner neuen Freundin. Aus großen, scheuen Augen schaute sie mir entgegen, schnupperte mit ihrer Schnauze in meine Richtung. "H-hey Misty. Du bist echt hübsch... eine wunderschöne junge Dame", murmelte ich und kam mir dämlich dabei vor, wie ich meinen Arm ausstreckte, um sacht über ihr knochiges Gesicht zu streicheln. Misty schnaubte und schüttelte ihren Kopf, weshalb ich lieber hastig meine Hand aus ihrer Reichweite zog.

"Fürs erste Mal nicht schlecht, lass sie sich ein wenig an dich gewöhnen", rief mir Tim entgegen, während er ein neues Pferd mitbrachte, auf dem er wahrscheinlich heute reiten würde. Ein Monster an Körpermasse und Fell, gefühlt doppelt so groß wie ich. Nachdem er es festgebunden hatte, erklärte er mir: "Pferde sind sehr sensible Wesen. Sie haben so gut wie nichts, um sich gegen Feinde zu verteidigen, sie sind Fluchttiere und eigentlich von Natur aus sehr scheu. Lass ihr Zeit um dich zu beschnuppern und dich als ungefährlich abzustempeln."

"Und wo kann ich sie streicheln, ohne dass sie meine Hand so abschüttelt?"

Tim griff nach meinem Handgelenk, legte seine Finger über meine und führte mich so vor zur Schnauze des Pferdes. Ich hatte Angst, vorhin beim Kauen hatte ich ihre Zähne gesehen und die machten doch den Eindruck, als könnten sie ziemlich doll wehtun. "Hier vorne an den Nüstern, da wo die Haut weicher ist. Da merken sie deine Berührungen problemlos. Überall wo viel Fell ist, musst du ein wenig stärker aufdrücken, hier am Kinn zum Beispiel." Da fing es schon an, das ich mich strecken musste, um an Mistys Kopf vorbei zu kommen und sie an der weichen Stelle unter ihren großen Backenknochen zu kraulen. Tatsächlich hielt sie jetzt still und ich verlor langsam die Angst vor ihr. War doch eine ganz liebe, jedenfalls noch. Im nächsten Moment senkte sie ihren Kopf und stupste mir mit ihrer Nase in den Bauch. Erschrocken sprang ich weg und versteckte mich hinter Tim, der herzhaft zu lachen begann. "Wollte sie mich beißen? Hab ich was falsch gemacht?"

Mein neuer Mentor verneinte. "Ich glaube, sie wollte sich mit dir anfreunden. Vergiss nicht, sie können es dir schlecht anders mitteilen. Jetzt sollten wir uns aber ans Bürsten und Aufsatteln machen, sonst ist es Nacht bevor wir draußen sind."

Zeig mir was Leben ist! (#Stexpert)Where stories live. Discover now