11.

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Bereits die Vorbereitungen gestalteten sich als anstrengend. Erst war es ein schönes Gefühl, Misty zu striegeln und Strohfetzen aus der Mähne und dem Schweif zu entfernen, doch als es dann ans Hufe auskratzen ging, lernte ich, dass es ein hartes Stück Arbeit war, sich rundrum um ein Pferd zu kümmern. Nach allen vier Beinen einzeln anheben und säubern hatte ich all meine Armkraft verloren. Und mein Apfelschimmel scheinbar die Geduld. Unruhig tänzelte sie auf dem Steinboden herum.

"So, ich glaube, das reicht mit fein herausputzen!", meinte Tim und strich sich demonstrativ den Schweiß von der Stirn, "Nur noch Sattel und Zaumzeug und dann kommt deine erste Reitstunde!" Er war da echt tausend Mal optimistischer als ich. Und auch schneller, wie ich mit einem kurzen Blick zu seinem Gigantenpferd bemerkte. Das war schon komplett fertig ausgerüstet und schnaubte laut und tief, als könne es gar nicht mehr abwarten, an die frische Luft zu kommen. Tim klopfte mir auf die Schulter, bedeutete mir mit ihm zu kommen und führte mich zu der Kammer, in der ich ihn heute zuerst gefunden hatte. Die leise Musik lief mittlerweile wieder und gab den Raum eine heimelige Atmosphäre. In der Mitte stand ein großes Holzgerüst mit einem abgerundeten Stammstück darauf, von dem die Rinde geschält war. An den Wänden hingen sechs verschieden große Sättel, darunter quetschten sich Flaschen aus dicker undurchsichtiger Plastik in ein niedriges Regal. Aber es stank furchtbar stark nach Chemikalien und der Geruch drohte mich beim Eintreten zu erschlagen.

"Was ist das?", fragte ich und hielt mir vorsichtshalber die Nase zu. Tim lächelte schmal. "Gerbmittel, Zeug zum Polieren von Leder, sowas. Nicht angenehm, ich weiß, aber es muss halt gemacht werden. Holen wir schnell ne Decke und den passenden Sattel und dann raus hier!" Und das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Ich war dem jungen Mann echt dankbar, dass er mir den schweren Teil abgenommen hatte und ich bloß die kratzige Wolldecke zu tragen brauchte. Jedenfalls bis zu Misty. "Na los, und jetzt noch den Sattel hinterher!"

"D-das schaffe ich doch niemals!", protestierte ich mit weit aufgerissenen Augen. Tim widersprach mir: "Doch, das schaffst du. Lass dich nicht davon einschüchtern, ich wette du bist viel kräftiger, als du gerade denkst!"

Oh... Meinte er das ehrlich so, wie er das sagte? Überrascht über seine Worte nahm ich den Sattel widerstandslos entgegen, strengte mich an und hievte das schwere Ding nach oben. Aufgeschreckt hob mein Pferd den Kopf und wandte ihn zu mir, blieb aber ansonsten ruhig stehen und ermöglichte es mir, zusammen mit Tims ermutigenden Anfeuerungsrufen, meine Aufgabe erfolgreich zu erfüllen. Stolz rückte ich alles noch ein wenig umher, bis es gerade saß, dann trat ich leicht keuchend ein Stück zurück. Ich hatte es geschafft! Ich hatte ein Pferd gesattelt! Naja, nicht ganz, Tim war jetzt eine halbe Runde um Misty gedreht, klappte einen Teil des Leders nach oben und zog noch einen Gürtel fest, der unter ihrem Bauch entlangführte. Und auch das Anlegen des Zaumzeugs nahm er mir ab, obwohl es sehr viel leichter aussah als das, was ich gerade vollführt hatte. Um ehrlich zu sein ging es aber so schnell, dass ich nicht einmal genau gesehen hatte, was Tim da anstellte.

Er musste meinen verwunderten Blick bemerkt haben. "Du hattest gemeint, du hast Angst davor, dass die gute Dame hier zubeißt. Deshalb übernehme ich heute noch diese Aufgabe für dich. Es gibt einen Trick dabei, wie du das Maulstück zwischen ihre Zähne bekommst, ohne lange gegen den Sturschädel zu kämpfen. Guck", er fuhr ihr mit seinem Daumen in das Maul, sehr weit hinten, wo das Pferdegebiss scheinbar zuende war, "wenn du hier vorsichtig mit einem Finger reingreifst, nimmt sie vorne fast automatisch die Beißerchen auseinander. Aber das üben wir wann anders, jetzt sind wir fast fertig! Nur noch eine Sache."

Für zwei Sekunden verschwand er hinter einer Ansammlung an Fässern, die randvoll mit Futtermitteln gefüllt waren, dann warf er mir einen großen, runden und schwarzen Gegenstand zu. "Nicht ohne Helm aufs Pferd, sonst gibts Beulen!", belehrte er mich mit schelmischem Grinsen, ehe er die Führstricke losband und mit mir und den Tieren im Schlepptau durch ein zweites großes Tor ins Freie trat.

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